Denis Diderots posthum erstmals 1792 veröffentlichter Roman „Die Nonne" ist eine gnadenlose Abrechnung mit den Zwängen und Ungerechtigkeiten des Klosterlebens – und ein ziemlich starker Filmstoff. Bereits 1966 wagte sich die französische Nouvelle-Vague-Legende Jacques Rivette an eine Leinwandumsetzung, die damals in Cannes für die Goldene Palme nominiert wurde und der französischen Zensur arg zu schaffen machte: Der Film verletze Gefühle und Gewissen der katholischen Bevölkerung, so die Sittenwächter. Fast ein halbes Jahrhundert und viele Missbrauchsskandale später ist Kritik am katholischen Regime nicht nur salonfähig, sondern gilt vielmehr als moralische Selbstverständlichkeit. Seinen einstigen Schockwert mag das Material eingebüßt haben, zeitgemäß ist es traurigerweise immer noch. Und so hat Guillaume Nicloux den geschichtsträchtigen Roman noch einmal neu verfilmt – ein ehrbares Unterfangen, bei dem sich allerdings zeigt, dass der Franzose seinem Landsmann Rivette nicht das Weihwasser reichen kann. Zwar begeistert Hauptdarstellerin und Anna-Karina-Nachfolgerin Pauline Etienne mit ihrem aufopferungsvollen Spiel als wahrheitsliebende Protagonistin, die spröde Inszenierung ist dabei allerdings kaum aufregender ausgefallen als ein Sonntagsspaziergang im klösterlichen Kreuzgang.
Die 16-jährige Suzanne Simonin (Pauline Etienne) wird von ihren adeligen Eltern ins Kloster abgeschoben, da die Mitgift der beiden älteren Schwestern die Familie bereits zu sehr belastet. Die Novizin fühlt sich trotz ihrer Gottesfurcht nicht zur Nonne berufen, muss aber nach inständigem Bitten ihrer kaltherzigen Mutter (Martina Gedeck) schließlich einlenken. So gerät die Unglückliche zuerst in die Obhut der sanft-manipulativen Oberin Madame de Moni (Francoise Lebrun). Als Madame de Moni verstirbt und eine sadistische Fanatikerin (Louise Bourgoin) zur Äbtissin aufsteigt, rückt die ersuchte Annullierung ihres Klostergelöbnisses plötzlich in ungreifbare Ferne. Auch Nahrungsentzug und andere Foltermethoden können die junge Frau jedoch nicht brechen. Schließlich erwirkt sie zumindest eine Verlegung in ein anderes Kloster. Zwar hat sie in St. Eutrope unter ihrer neuen Ordensmutter (Isabelle Huppert) keine Folter mehr zu befürchten, dafür bringt sie die ältere Frau jedoch mit sexuellen Annäherungsversuchen in Bedrängnis...
Anders als Rivette begnügt sich Nicloux in seiner „Die Nonne"-Adaption damit, die Vorlage schlichtweg als schnurgerade Chronologie eines Leidensweges abzufilmen, statt eigene erzählerische Akzente zu setzen. Lediglich mit der das Klosterleben einklammernden Rahmenhandlung weicht er von der Vorlage ab, wenn er seiner Protagonistin anders als Autor Diderot eine weitaus mildere und hoffnungsvollere Zukunft jenseits gesellschaftlicher Zwänge in Aussicht stellt. Während Nicloux die inszenatorische Eleganz seines Vorgängers abgeht, ist sein thematischer Fokus aber jederzeit klar gesetzt. Nicht Glaubensfragen oder die explizite Darstellung der Vergehen einer christlichen Institution stehen hier im Vordergrund. Vielmehr skizziert Nicloux das Klosterleben als Sinnbild für ein abgeschlossenes totalitäres System: Die drei Oberinnen, die im Handlungsverlauf für Suzanne verantwortlich sind, üben eine unhinterfragbare Willkürherrschaft aus und instrumentalisieren den Glauben schamlos, um ihren Bedürfnisse durchzusetzen und ihre Beschlüsse zu rechtfertigen.
Die junge Suzanne erweist sich dabei noch als frommste aller Seelen – daran können auch die vordergründig liebevolle Überredungskunst der ersten Oberin, die physischen wie psychischen Foltermethoden der Glaubensfanatikerin oder die fleischlichen Gelüste der Herrin von St. Eutrope nichts ändern. Diese innere Stärke wird mitreißend von der jungen belgischen Schauspielerin Pauline Etienne („Black Heaven") zum Ausdruck gebracht. Etienne verkörpert Suzanne als mal etwas naiv scheinende, tatsächlich aber sehr aufgeklärte Novizin, die zwar als moderne Frauenfigur auftritt, dabei aber nie anachronistisch wirkt. Louise Bourgoin („Ein freudiges Ereignis") kostet derweil die für sie untypische Rolle als bedrohliche Folternonne taktvoll aus, während Isabelle Huppert („8 Frauen") als lüsterne Alte am Rande zur Karikatur agiert. Das liegt allerdings weniger an der Schauspiellegende als an ihrer unsäglichen Figur, die bereits im Roman überzeichneter als das restliche Figurenensemble ist. Die zwischen Scham und Begehren in den Wahnsinn taumelnde Oberin wirkt dabei wie ein mit dem Holzhammer vorgetragener Punkt in einer Argumentation, die doch eigentlich ein System totaler Disziplinierung und Verheimlichung zum Gegenstand hat.
Fazit: Nah, gelegentlich auch zu nah an der Romanvorlage des Aufklärers Denis Diderot entlang erweist sich „Die Nonne" von Guillaume Nicloux als etwas spröde inszenierte Leidensgeschichte hinter hohen Klostermauern, deren Hauptdarstellerin nichtsdestotrotz einnimmt und begeistert.