Der Debütfilm „Der Besucher“ des finnischen Regisseurs Jukka-Pekka Valkeapää ist im radikalsten Sinne filmisch: kaum Dialog, keine Erklärungen, kein klassischer Plot – alles bleibt in einer märchenhaften Schwebe, die sich zwischen den Bildern ausbreitet, als direkte Kommunikation des Films mit den Zuschauern. Sich nun als Kritiker dazwischen zu schalten und den Film – seine seltsam magischen Bilder und die flimmernde Handlung – in einen Text zu gießen, ist zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Nun kann man aber zumindest den Versuch unternehmen, den Film so zu umkreisen, dass er das Interesse des Lesers weckt – verdient hat er dieses nämlich auf jeden Fall.
Finnland, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Ein stummer Junge (Vitali Bobrov) lebt mit seiner lahmenden, von körperlicher Arbeit gezeichneten Mutter (Emilia Ikäheimo) auf einem kleinen Bauernhof, der auf einer nebligen Waldlichtung liegt. Der Vater (Jorma Tommilo) des Jungen ist im Gefängnis – ob und wann er zurückkommt, bleibt unklar. Als nach einem heftigen Regenfall ein mysteriöser Fremder (Pavel Liska, Der Dorflehrer) auftaucht, gerät das eingespielte Gefüge zwischen Mutter und Sohn aus den Fugen…
Erzählt wird das alles aus der Perspektive des Jungen: Er beobachtet seine Mutter und den Besucher durch ein Loch im Zwischenboden, besucht seinen Vater im Gefängnis und befindet sich stets im Zentrum der Erzählung. An ihm wird die zunehmende, erfrischend dezente und unverbindliche Verwischung der Realitätsebenen, das Ausloten der Grenzen zwischen Innen und Außen, dem Jungen und Welt, festgemacht: Er wird zum Motor und Brennpunkt des Films. Auf Vitali Bobrov, dem Darsteller des Jungen, lastet also eine große Verantwortung und es ist erstaunlich, mit wie viel Feingefühl er sein Schauspiel-Debüt meistert.
Das Märchenhafte und Schwebende von „Der Besucher“ wird von zwei Polen bestimmt: dem Plot und der Inszenierung. Ersterer lässt viele Fragen offen (Wer ist der Besucher? Was ist in dem Loch im Wald?) und erlangt so einen Anstrich des Irrealen: Viele kleine, ungewöhnliche Handlungen, etliche Geheimnisse und bisweilen auch Leerstellen der Figuren lassen „Der Besucher“, wenngleich er – scheinbar widersprüchlich – auch geerdet ist, zu einem märchenhaften Filmerlebnis werden.
Die elegante Inszenierung Valkeapääs verdichtet diesen Eindruck durch die Anwendung vieler kleiner, sehr wirkungsvoller Tricks: Die Tonspur mäandert zwischen lauten und leisen Momenten und nutzt Kontraste, um bestimmte Szenen und Momente seltsam zu entrücken. Der sparsame Dialog (bis zur Ankunft des Besuchers wird gar nicht gesprochen, danach sehr wenig) lenkt die Aufmerksamkeit auf die hochgradig symbolischen Bilder. Szenen des harten Alltags auf dem zunächst herbstlichen, dann winterlichen Bauernhof, vom monotonen Kartoffelschälen bis zum Schleppen der Wassereimer aus dem Brunnen, werden immer wieder unvermittelt von krassen Szenen durchbrochen: etwa von einer Großaufnahme der Maden, die aus einer Bauchwunde des Besuchers kriechen. Im wunderschönen Schlussbild des Films wird der Film dann auf den Punkt gebracht, ohne allerdings all seine Geheimnisse preiszugeben.
Sicher verlangt „Der Besucher“ seinen Zuschauern aufgrund der ungewöhnlichen, in vielerlei Hinsicht aus der Zeit gefallenen Machart einiges ab und nicht jeder wird sich auf den Film einlassen können (oder wollen). Wer die Möglichkeit hat, dieses ungewöhnlich starke Spielfilmdebüt auf der großen Leinwand zu sehen und sich für Filme dieser Art begeistern kann, sollte die Gelegenheit aber auf keinen Fall verstreichen lassen: Ein Film - so pur und erhaben wie „Der Besucher“ - läuft nämlich nicht alle Tage im Kino.