Mein Konto
    Die Legende der Prinzessin Kaguya
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Legende der Prinzessin Kaguya
    Von Ulf Lepelmeier

    Im Jahre 1988 entschied sich die Anime-Schmiede Studio Ghibli zur gemeinsamen Veröffentlichung von Hayao Miyazakis fantasievollem Kinderfilm „Mein Nachbar Totoro“ und Isao Takahatas tieftraurigem Antikriegsdrama „Die letzten Glühwürmchen“. 25 Jahre nach der Double-Feature-Veröffentlichung der Animationsfilmklassiker sollte sich diese besondere Veröffentlichungsstrategie für die zwei (wahrscheinlich) letzten Werke der beiden Animationskünstler eigentlich wiederholen, doch letztlich benötigte Takahata mehr Zeit zur Fertigstellung einer Adaption des wohl bekanntesten japanischen Volksmärchens, so dass beide Filme unabhängig voneinander in die japanischen Kinos kamen. Während Miyazakis „Wie der Wind sich hebt“ als Biopic über den Flugzeugkonstrukteur Jiro Horikoshi dem Traum von der Freiheit des Fliegens huldigt, erweckt Takahata das jahrhundertealte Märchen „Die Legende der Prinzessin Kaguya“ in einer impressionistisch anmutenden, wunderschönen Pastelloptik zum Leben und widmet seinen Animationsfilm dabei den kleinen alltäglichen Naturwundern.

    In den Wäldern findet ein alter Bambussammler in einem leuchtenden Bambusstamm eine kleine Prinzessin, die er voller Stolz zu seiner Frau bringt. Als diese das wunderschöne kleine Wesen berührt, verwandelt es sich in ein Baby. Das kinderlose Paar nimmt das Kind bei sich auf, um es liebevoll großzuziehen. Das Mädchen genießt das unbeschwerte Leben in der Natur zusammen mit den anderen Dorfkindern, doch ihre Entwicklung geht schneller vonstatten als die ihrer Spielgefährten. Da der Bambussammler nun auch erlesene Stoffe und Gold in den abgeschlagenen Bambusstämmen vorfindet, geht er davon aus, dass die Götter für die Bambusprinzessin ein würdiges Leben wünschen. So lässt er für seine Prinzessin ein herrschaftliches Anwesen in Tokio errichten und lässt sie durch eine strenge Lehrerin in der höfischen Etikette unterrichten. Das einst fröhlich- unbeschwerte Kind muss sich als junge Frau nun strengen gesellschaftlichen Regeln unterordnen. Dann stellen sich die ersten vornehmen Bewerber ein, die um die Hand der für ihre Schönheit gepriesenen Bambusprinzessin werben. Doch Prinzessin Kaguya ist an einer Heirat nicht interessiert...

    In seinem vorherigen, episodenhaft strukturierten Spielfilm „Meine Nachbarn die Yamadas“ hatte Isao Takahata mit einem einfachen Stil experimentiert, in dem die comichaft gehaltenen Figuren vor grob umrissenen Hintergründen in Pastelltönen agierten. In „Die Legende der Prinzessin Kaguya“ verfeinert der Regisseur diese Technik und erzeugt Bilder, die an Aquarelle erinnern und ganz in ruhigen Pastelltönen gehalten sind. Die in achtjähriger Kleinstarbeit entstandenen Bildkompositionen verleihen dem Film mit ihrer eigenwilligen Schlichtheit eine zeitlose Optik, die Assoziationen zu traditionellen japanischen Tuschezeichnungen hervorruft und hervorragend mit der Märchenthematik harmoniert. Und auch in anderen Bereichen bedient sich Takahata bei seiner Version des jahrhundertealten Volksmärchens einer minimalistisch anmutenden Konzeption, so dass aus Bildern, Geschichte und der musikalischen Untermalung eine schlichte, aber in ihrer reduzierten Einfachheit betörende impressionistische Gesamtkomposition entsteht, die tief berührt.

    Die Rückbesinnung auf eine naturverbundenere Lebensweise thematisierte Takahata bereits in seinem Film „Pom Poko“ und auch hier zelebriert er mit den im Stil altjapanischer Wasserfarbmalereien von Hand animierten Bildern förmlich die Schönheit der Natur mit all ihren Details, die oft übersehen werden. Nicht für die Animation von Menschen, sondern für einfache Naturschauspiele wie das Schlüpfen eines Schmetterlings, das Schwanken der Blumen im Wind oder einen Fisch fangenden Vogel werden die feinsten Pinselstriche verwendet, was Takahatas Wunsch auf eine Rückbesinnung zur Natur widerspiegelt.

    Viel Zeit lässt sich Takahata dabei für die Darstellung einzelner Entwicklungsschritte der kleinen Bambusprinzessin, die Darstellung bäuerlicher Arbeiten oder die Illustrierung von alten Bräuchen und Kinderspielen. Die strengen Regeln der japanischen Oberschicht werden dagegen mit distanziertem Blick eingefangen, zeichnen sie sich doch durch eine Abkehr von jedweder Natürlichkeit aus. Doch auch wenn sich Kaguya in der Welt des Hochadels fremd fühlt und sich nach dem freien ländlichen Leben sehnt, will sie sich nicht gegen den Wunsch ihres Zieh-Vaters auflehnen, der davon überzeugt ist, dem Willen der Götter zu folgen. So lernt die Prinzessin in dem herrschaftlichen Anwesen, sich gemäß der gesellschaftlichen Norm zu verhalten und wird dabei immer melancholischer.

    In einer Sequenz – Kaguya ist bereits seit einiger Zeit in dem für sie erbauten Anwesen in Tokio – entflieht die Protagonistin der nun von Zwängen und Regeln dominierten Welt und läuft dem Mond entgegen. Gleichermaßen von Wut und Trauer getrieben, wirft sie ihre feinen Kleider von sich und hastet durch die Nacht, wobei in der Dynamik ihrer Bewegungen die Zeichnungen immer skizzenhafter werden, bis auch jede zeichnerische Leichtigkeit verloren ist und ein nur noch schemenhaft erkennbares Wesen durch eine farblose Welt hetzt. Dieser auch animationstechnisch herausragende Ausbruch der Prinzessin aus den gesellschaftlichen Zwängen verdeutlicht eindringlich ihre Verzweiflung und stellt einen vehementen Kontrast zu den vorhergehenden detailverliebten Naturdarstellungen dar.

    Fazit: Mit seinem minimalistischen Gesamtkonzept erweist sich Isao Takahatas Animationsfilm „Die Legende der Prinzessin Kaguya“ als kunstvolle Ode an die Schönheit der Natur.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top