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    Allein gegen das Gesetz
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Allein gegen das Gesetz
    Von Björn Becher

    Erinnert sich noch jemand an „Doppelmord“? Die unfreiwillig trashige Gurke von Regisseur Bruce Beresford (Miss Daisy und ihr Chauffeur, The Contract) lief im Jahr 2000 in den deutschen Kinos und erzählt von einer Frau (Ashley Judd), die wegen Mordes an ihrem Mann (Bruce Greenwood) zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird und entdeckt, dass alles nur ein Komplott war. Da es ein Gesetz gäbe, wonach sie nicht noch einmal für dieselbe Tat bestraft werden könne, beschließt sie nach ihrer Freilassung, nun wirklich ihren Mann umzubringen. Der Film hatte nicht nur unter seiner miserablen Inszenierung zu leiden, sondern auch unter der Prämisse, die purer Humbug war. Besagtes Gesetz gibt es nicht einmal in den USA, wo die Justiz eigentlich besonderes kreativ ist, bzw. die Autoren David Weisberg und Douglas Cook haben den bekannten Rechtsgrundsatz „Ne bis in idem“ einfach völlig falsch verstanden. Besser machte es da rund drei Jahrzehnte früher Eriprando Visconti. Der Neffe von Luchino Visconti (Rocco und seine Brüder, Der Leopard, Ludwig II.) nahm 1972 eine ähnliche Storyidee als Aufhänger für seinen Film „Allein gegen das Gesetz“. Und der ist „Doppelmord“ schauspielerisch mindestens ebenbürtig und in allen anderen Belangen deutlich überlegen. Zwar gibt es hier keinen Tommy Lee Jones, aber dem einzigen Glanzlicht von „Doppelmord“ steht mit Frauenschwarm Terence Hill und Oscar-Preisträger Martin Balsam ein schlagkräftiges Duo gegenüber.

    Als sich in dem verschlafenen kleinen Ort Latina, 100 Kilometer von Rom entfernt gelegen, endlich mal ein aufregender Fall ereignet, sieht Staatsanwalt Turisi (Martin Balsam) die Chance gekommen, die überfällige Beförderung klar zu machen. Luisa Santini (Paola Pitagora) soll angeblich die Geliebte (Shirley Corrigan) ihres Ehemanns (Adalberto Maria Merli) getötet haben. Die Indizen sprechen dafür, nur die Angeklagte beteuert ihre Unschuld. Unerbittlich peitscht Turisi das Verfahren durch und erreicht einen Schuldspruch wegen Totschlags im Affekt, und damit seine Beförderung gen Rom. Der junge Strafverteidiger Marco Manin (Terence Hill) legt daraufhin enttäuscht von Justiz, Strafprozessordnung und der Einseitigkeit des Verfahrens seinen Beruf nieder und wechselt in die Wirtschaft. Sieben Jahre später wird Luisa Santini entlassen. Als sie entdeckt, dass ihr Ex-Mann und die tot geglaubte Geliebte in Rom zusammenleben, erschießt sie kurzerhand die Frau. Sie wird verhaftet und ausgerechnet Turisi, der zu allem Überfluss vor einer erneuten Beförderung steht, übernimmt den Fall. Daraufhin ergreift auch Manin wieder die Robe und übernimmt die Verteidigung. Er will erreichen, dass auch der alte Fall wieder komplett aufgerollt wird, doch das kann Turisi nicht recht sein. Denn, wenn ihm Fehler nachgewiesen werden, kann ihn das seine Karriere kosten.

    „Das Urteil war leider frei von Rechts- und Verfahrensfehlern.“ – „Mit Ausnahme von einem: Dass ich unschuldig bin. Aber das ist das Letzte, was zählt, nicht wahr?“ - [...] „Die ermittelten Fakten im Urteil sind nun für jeden allgemeingültig. Mit anderen Worten, laut Gesetz müssen sie als Tatsachen angesehen werden.“

    „Allein gegen das Gesetz“ ist ein Justiz-Thriller, wie er im Buche steht. Ein Großteil der Szenen spielt vor Gericht, die sich stark beharkenden Turisi und Manin werfen mit Paragraphen, Rechtsgrundsätzen, Einsprüchen und Schlussfolgerungen um sich und liefern sich ein beeindruckendes Duell. Daneben gibt es noch einige Szenen, welche die geführten Ermittlungen begleiten, was sich aber auch mit sehr viel Ruhe und ohne jeden Anflug von Action abspielt. Passend dazu ist die Inszenierung von Visconti sehr schlicht und nimmt sich merklich gegenüber dem Sujet zurück. Die Story und deren Dramatik sollen für sich alleine wirken, auf eine zusätzliche Verstärkung durch den Einsatz filmischer Mittel wird recht selten und dann meist außerhalb des Gerichtssaals gesetzt. Zu nennen sind dabei vor allem Rückblenden, die sich aus den Erzählungen der Zeugen entwickeln und bei denen man sich immer unsicher ist, ob sie nun objektiv oder subjektiv sind.

    Der Stil von „Allein gegen das Gesetz“ bringt es mit sich, dass es eine gewisse Affinität des Zuschauers zu solchen ruhigen Courtroom-Dramen braucht. Wer die nicht mitbringt, wird sich wahrscheinlich unglaublich langweilen. Der Rest dürfte dagegen an Viscontis hochinteressantem Film seinen Gefallen finden. Denn dessen Plädoyer für eine gerechtere Justiz wird nicht nur verbunden mit realen Fehlurteilen und ist somit auch eine Anklage gegen die damalige (und auch heute noch) sehr fehlerhafte italienische Gerichtsbarkeit, sondern sie behandelt auch eine interessante moralische Frage: Wie ist in einem solchen Fall zu verfahren? Welches Urteil ist das gerechte für Luisa Santini, die nun wirklich die Geliebte ihres Ehemanns erschossen hat? Was Beresford in „Doppelmord“ rein gar nicht interessiert, sondern nur als Anlass für einen exploitationartig ausgeschlachteten Rache-Plot dient, ist der zentrale Punkt bei Visconti. Hier wird es jedem Zuschauer selbst überlassen, eine Antwort zu finden. Das Ende vermeidet hier erfreulicherweise eine Lenkung, genauso wie eine unrealistische, zuckersüße Wendung.

    Für Terence Hill, der vorher einige dreckige Italo-Western mit seinem langjährigen Filmpartner Bud Spencer gedreht hat, war die Rolle natürlich eine 180-Grad-Drehung. Er passt aber perfekt auf den Part des gut gekleideten, idealistischen Anwalts, der auch ein wenig steif ist (vor allem im Umgang mit seiner Mandantin). Für die Rolle von Hills Gegenspielern gelang den Produzenten mit der Besetzung durch US-Star und Oscarpreisträger Martin Balsam (Die 12 Geschworenen, Psycho, Little Big Man, Die Unbestechlichen) ein echter Coup. Balsam hatte schon im Jahr zuvor in Damiano Damianis Meisterwerk „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“ eine Rolle übernommen und kam im späteren Verlauf seiner Karriere immer öfter nach Italien, um dort vor der Kamera zu stehen und zu leben. Überdurchschnittliche Nebendarsteller wie Adalberto Maria Merli und Paola Pitagora runden diese Produktion ab, die Freunden von ruhigen und trotzdem spannenden Gerichtsfilmen ans Herz gelegt werden kann. Nur wer es gerne krachen sieht, sollte sich von einem bewaffneten Terence Hill auf dem DVD-Cover nicht in die Irre leiten lassen.

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