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    Barbie
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Barbie

    Mehr Kunst als Kommerz

    Von Christoph Petersen

    War es tatsächlich eine visionäre Wahl? Oder einfach nur pure Verzweiflung? Auf jeden Fall klang es zunächst wie ein schlechter Scherz, als das Hollywood-Studio Warner Bros. und der Spielzeug-Gigant MATTEL ausgerechnet Greta Gerwig und Noah Baumbach zur Rettung des schon länger in der Produktionshölle schmorenden „Barbie“-Kinofilms anheuerten. Das ist schließlich in etwa so, als würde VW die nächste Marketing-Kampagne in die Hände von Klimaaktivist*innen der „Letzten Generation“ legen. Es schien also nur eine Frage der Zeit, bis die feministische Regisseurin („Lady Bird“, „Little Women“) und ihr Indie-Ikonen-Ehemann („Frances Ha“) wieder aus dem Projekt aussteigen – oder sonst einer der Beteiligten bei dieser absurd anmutenden Kombination aus Kunst und Kommerz die Notbremse zieht ...

    ... aber Pustekuchen: Der „Barbie“-Film ist da und trotz seiner anti-kapitalistischen Botschaft auf dem besten Weg zum globalen Superhit, der selbst das zeitgleich startende 100-Millionen-Dollar-Epos „Oppenheimer“ von Christopher Nolan an den Kinokassen in seine Schranken weisen wird! Eine anti-patriarchale, anti-faschistische Satire in Pink, die selbst dann noch unglaublich viel Spaß macht, wenn man sich die MATTEL-Verantwortlichen in Erinnerung ruft, die bei all den schmerzhaften Seitenhieben auf die Verfehlungen des eigenen Milliarden-Konzerns wohl nur deshalb brav mitlächeln, weil sie ganz genau wissen, dass sie mit diesem Kinohit im Rücken nur noch viel mehr Puppen und Plastikzubehör verkaufen werden. Und trotzdem: Zumindest was denn Film selbst betrifft, hat die Kunst über den Kommerz gesiegt!

    Ken (Ryan Gosling) existiert nur, um von Barbie (Margot Robbie) angesehen zu werden, dabei kommt sie eigentlich auch ziemlich gut ohne ihn klar.

    Für Barbie (Margot Robbie) und all die anderen Barbies (u.a. Issa Rae, Hari Nef) ist jeder Tag in Barbieland der beste Tag aller Zeiten – und wenn allabendlich die Girls Night in Barbies pinkem Traumhaus ansteht, dann müssen Ken (Ryan Gosling) und all die anderen Kens (u.a. Simu Liu, John Cena) eben zusehen, was sie mit sich anfangen sollen. Doch dann entwickelt Barbie plötzlich Todesgedanken – und beim Strandausflug berühren ihre High-Heels-Hacken das erste Mal den Boden, was bei einigen der angeekelten Anwesenden regelrechte Würgekrämpfe auslöst. Von Weird Barbie (Kate McKinnon) erfährt Barbie, dass es nur einen Weg gibt, die Probleme wieder in den Griff zu kriegen: Sie muss in die echte Welt reisen und dort eine neue Verbindung mit ihrer „Besitzerin“ aufbauen.

    Allerdings steht die Mission von Beginn an unter keinem guten Stern: Nicht nur hat sich Ken auf dem Rücksitz ihres Cabrios versteckt, in der realen Welt haben Frauen auch weit weniger zu melden, als Barbie es gewohnt ist. Dabei war sie sich doch so sicher, dass sich alle Probleme mit universeller Gleichberechtigung und weiblichem Selbstbewusstsein seit Erfindung der Barbie-Puppe längst in Luft aufgelöst hätten. Aber es kommt noch schlimmer: Während Barbie im Firmen-Hauptquartier mit dem CEO von MATTEL (Will Ferrell) aneinandergerät, findet Ken Gefallen an der Idee des Patriarchats – und schleppt diese in Form von Büchern aus der Bibliothek auch zurück nach Barbieland, um dort nun ebenfalls eine männerdominierte bzw. Ken-dominierte Gesellschaft zu errichten…

    Pro & Contra Barbie

    Mindestens ein Mal hat MATTEL dann aber doch Angst vor der eigenen Courage bekommen: Da ist der Präsident und COO Richard Dickson sogar extra zum Set nach London geflogen, um eine besonders kritische Szene zu verhindern. Am Ende haben sich jedoch Greta Gerwig und Margot Robbie durchgesetzt - und so verspricht der „Barbie“-Trailer nicht zu viel, wenn darin ein Film für alle Fans & Hasser der inzwischen auch als Ärztin, Präsidentin und Supreme-Court-Richterin tätigen Glamour-Puppe angekündigt wird: Barbieland ist ein einziger (queerer) Setdesign-Traum, an dem man sich kaum sattsehen kann, in dem aber auch ausgemusterte Modelle wie eine schwangere Barbie ihr Schattendasein fristen. Im Gegensatz dazu ist der MATTEL-Stammsitz ein betongewordenes Phallussymbol, dessen graue Arbeitskabinen an einen proto-faschistischen Architekturstil gemahnen.

    Greta Gerwig hält sich also nicht zurück, wenn es um Seitenhiebe in Richtung MATTEL und Barbie geht. Wobei man sich natürlich schon fragen kann, was das am Ende wirklich bringt: Die Argumente contra Barbie sind gut, die Argumente pro Barbie sind pink – man wird sehen, welche davon beim Publikum hängenbleiben… So richtig persönlich und dann auch erstaunlich düster wird „Barbie“ hingegen, wenn es um eine Bestandsaufnahme der realen Welt und hierbei vor allem die Rolle der Frauen geht. Da nehmen die Macher*innen nämlich ebenfalls kein Blatt vor den Mund, gerade wenn der Tonfall im finalen Drittel auch schon mal von doppelbödig-bissig in geradeheraus-anklagend kippt. Sowieso ist „Barbie“ vor allem eine satirische Komödie für Erwachsene (mit einem Abspann-Song voller „Bitches“), bei der sich jüngere „Barbie“-Fans zwar an den Kulissen und Kostümen erfreuen können, bei der viele der Gags aber auch einfach über ihren Kopf hinweggehen werden.

    Das Barbieland ist ein Setdesign-Meisterwerk! Wenn das hier zufällig ein Superreicher oder eine Superreiche liest: Das wäre doch mal ein spektakuläres Weihnachtsgeschenk für den Milliardärs-Nachwuchs!

    Neben Barbieland sind vor allem die Schauspieler*innen der größte Quell der Freude: Während Margot Robbie („Once Upon A Time… In Hollywood“) das Internet schon vor Kinostart allein mit ihren Füßen in helle Aufregung versetzt hat und ihrer dauerlächelnden Plastikpuppen-Performance in der zweiten Hälfte eine unerwartete emotionale Tiefe abringt, liefert Ryan Gosling als Ken die neben „Drive“ wohl großartigste Leistung seiner illustren Karriere: Seine waschbrettbäuchige, sonnengebräunte, platinblondierte Männlichkeits-Karikatur ist lachhaft und erschreckend, liebenswürdig und verdammenswert, entlarvend und einnehmend – und reicht dabei so viel tiefer als die Gags über seine nicht vorhandenen Genitalien. Die zuletzt in den Sozialen Medien lautgewordenen Rufe nach einer Oscar-Nominierung kommen also nicht von ungefähr.

    Für die Reise von Barbieland nach Venice Beach in Los Angeles braucht es eine Vielzahl von Fahrzeugen, die man sich als Fan in der realen Welt wohl alle einzeln dazukaufen müsste – und trotzdem zählt der Trip mit dem Barbie-Auto über die Barbie-Rakete bis hin zum Barbie-Tandem vor holländischer Windmühlen-Kulisse zu den absoluten Highlights: Irgendwo zwischen einzelnen Seiten eines lebendig gewordenen Bilderbuchs und der neonpinken Antwort auf die Filme von Michel Gondry („Der Schaum der Tage“) ist „Barbie“ inszenatorisch immer dann am aufregendsten, wenn sich Greta Gerwig in visuell abstraktere Gefilde vorwagt – so wie später auch bei der größten Musicalnummer des Films, bei der wir kaum noch abwarten können, sie hoffentlich auch bei der kommenden Oscar-Verleihung (für den Besten Song) live performt auf der Bühne zu sehen.

    Aber wenn man einen „Barbie“-Film schon mit einer ausgedehnten Parodie auf Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ beginnt, in der diesmal nicht Affen mit Knochen aufeinander einprügeln, sondern kleine Mädchen die Schädel ihrer dank einer 50-Meter-Barbie ausgedienten Baby-Puppen an Felsen und Teeservices zerschlagen, dann muss man im Anschluss eben auch liefern – und genau das tut Greta Gerwig in den folgenden knapp zwei Stunden dann auch, und wie!

    Fazit: Kultfilm mit Ansage.

     

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