Was für eine traumhafte Trefferquote: Mit seinen ersten vier Filmen („Thank You For Smoking“, „Juno“, „Up In The Air“, „Young Adult“) hat der Kanadier Jason Reitman ausschließlich gute bis herausragende Werke vorgelegt und sich als Kritikerliebling, Oscar-Kandidat und Arthouse-Aushängeschild etabliert. Für sein neuestes Husarenstück verlässt der Regisseur nun erstmals die vertraute Dunstglocke des ironisch-hintersinnigen Independent-Kinos und wagt sich an die Verfilmung von Joyce Maynards schwülem Frauenroman „Der Duft des Sommers“. Was genau jenes „ganz Besondere“ war, das der Filmemacher nach eigener Aussage in dem Buch entdeckte, ist in seinem fertigen Liebesdrama „Labor Day“ nur zu erahnen. Aber weil Kate Winslet und Josh Brolin großartige Schauspieler sind und Reitman selbst ein hervorragender Regisseur, geht die schwülstige Melange aus klassischem Hollywoodkino, Groschenroman und großen Gefühlen nach Art von Rosamunde Pilcher oder Nicholas Sparks trotz der trivialen Geschichte zumindest zum Teil auf.
1987: Häftling Frank (Josh Brolin), ein zu 18 Jahren Freiheitsentzug verurteilter Mörder, nutzt eine Behandlung in einem Krankenhaus zur Flucht. Verletzt strandet er in der Kleinstadt Holton in Massachusetts, wo er die alleinerziehende Mutter Adele (Kate Winslet) und ihren 13-jährigen Sohn Henry (Gattlin Griffith, später: Tobey Maguire) zwingt, ihn in ihrem Haus zu verstecken. Nach ein paar Stunden Ruhe vor der Großfahndung der Polizei will Frank weiterziehen. Adele, ohnehin durch die Scheidung von ihrem Mann Gerald (Clark Gregg) verbittert und völlig verunsichert, hat große Angst und schafft es zunächst nur ihrem Kind zuliebe, sich einigermaßen zusammenzureißen. Doch schnell merkt sie, dass Frank ein gutes Herz hat und die beiden verlieben sich ineinander - eine unmögliche Romanze, die durch Franks allgegenwärtige Häscher bedroht wird.
Ironie wie in „Juno“? Zynismus wie in „Thank You For Smoking“ und „Up In The Air“? Oder Sarkasmus wie in „Young Adult”? Von all dem ist hier nichts zu spüren, die mal mehr und mal weniger spöttische Halbdistanz seiner vorherigen Filme hat Jason Reitman bei „Labor Day“ aufgegeben. Stattdessen schmeißt er sich ohne Vorbehalte in eine auf die ganz großen Gefühle abzielende, ungebrochen melodramatische Herzeleid-Geschichte. Die Aufnahmen von Kameramann Eric Steelberg („Juno“, „(500) Days Of Summer“) sind dabei so malerisch wie das idyllische Massachusetts eben malerisch sein kann, das stimmige Produktionsdesign fügt sich perfekt in dieses geradezu träumerische Bild und die schauspielerischen Leistungen der beiden Hauptdarsteller sind großartig-gefühlvoll. Die Leinwandchemie zwischen den beiden gegen alle Vernunft Turtelnden ist unzweifelhaft vorhanden und die knisternde Spannung zwischen den Protagonisten hilft immer wieder über den abgeschmackt-vorhersehbaren Handlungsverlauf hinweg, sehr schön wird auch Franks mysteriöse Aura etabliert, der Zuschauer wird geschickt im Unklaren darüber gehalten, ob der raue Flüchtling sich öffnen und seiner weichen Seite nachgeben kann.
Ein entflohener Sträfling trifft auf eine emotional Gefangene – die Liebesgeschichte ist melodramatisch zugespitzt (inklusiver geballter Klischees und bedeutungsschwangerer Rückblenden in Franks Vergangenheit), die Handlung droht zwischendrin in seichten Gewässern zu versinken. Es sind die Schauspieler, die hier für eine gewisse Bodenhaftung sorgen und ihren Figuren trotz aller Stereotypen eine ausreichende innere Glaubwürdigkeit verleihen. Kate Winslet („Titanic“, „Divergent“) gibt ihrer Adele ein scharfes Profil und macht sie trotz ihrer offensichtlichen Schwächen sympathisch (dafür erhielt sie eine redlich verdiente Golden-Globe-Nominierung). Auf der anderen Seite hält der immens charismatische Josh Brolin („No Country For Old Men“, „Oldboy“) die Klischees in Schach, wenn er seinen Frank als verhinderten Gutmenschen herausputzt, als Wahrheitsfanatiker, der mit unangenehmen Dingen nicht hinter dem Berg hält. Doch nicht selten agieren die Liebenden auch am Rande der unfreiwilligen Komik, wenn simples Törtchenbacken wie ein Pfirsichkuchen-Softporno inszeniert ist, Frank mit inbrünstiger Leidenschaft den Boden bohnert oder Sätze wie „Ich würde weitere 20 Jahre absitzen, nur um drei Tage mit dir zu haben“ heraushaut. In diesen Szenen ist der Grat zwischen einer brutal zündenden Emotionsbombe (wie etwa „Die Brücken am Fluss“) und einem rohrkrepierenden Schmonzetten-Blindgänger à la Rosamunde Pilcher gefährlich schmal.
Fazit: „Labor Day“ ist eine in ihrer melodramatisch überspitzten Schlichtheit wenig plausible Liebesgeschichte, die durch ihre superben Hauptdarsteller aufgewertet wird: ein Film wie ein süßer Pfirsichkuchen, eine kulinarische Sünde, aber eine schöne!