Eine Welle rollt auf die nächtliche Küste zu, schwillt zu bedrohlicher Größe an und stürzt schließlich tosend und schäumend in sich zusammen. Diese ersten Bilder von „Brighton Rock" beschreiben die wuchtige Dramaturgie des Films schon recht gut. Ein oder zwei Dinge gäbe es allerdings noch zu sagen. Zum Beispiel, dassRowan Joffes Romanadaption wirklich spektakuläre Perfomances seitens seiner zwei Hauptdarsteller bietet. Oder dass das Drama mit einer düsteren Bilderwelt monumentalen Ausmaßes aufwartet. Letztlich reichen aber vielleicht doch zwei Worte: annähernd makellos.
England 1964: Der junge Ganove Pinkie (Sam Riley ) sucht, von Ambitionen zerfressen, unbeirrbar den Weg an die Spitze der Unterwelt Brightons. Der Zeitpunkt für seinen Aufstieg scheint mehr als geeignet, denn alles um ihn herum ist im Umschwung begriffen: Der frühere Boss seiner Gang wurde ermordet, in ganz England toben Jugendkämpfe zwischen Mods und Rockern. Die unbedarfte Kellnerin Rose (Andrea Riseborough) allerdings ist als Mordzeugin ein potentieller Stolperstein, zudem sind ihm die Polizei sowie die konkurrierende Colleoni-Bande dicht auf den Fersen. So scheint alles geradewegs auf eine Katastrophe zuzusteuern...
Die Auszeichnung „European Shooting Star", die Riseborough bei der Berlinale 2011 erhält, klingt nach einem wertlosen Marketingtool. Blöd nur, dass die junge Darstellerin in der Rolle der Rose den Qualitätsnachweis keinesfalls schuldig bleibt. Was Riseboroughs bietet, ist wirklich außergewöhnlich. Auf keine noch so kleine Geste möchte man verzichten, denn mit jedem Moment ihrer Leinwandpräsenz füllt die Jungdarstellerin ihre Figur mit Charisma. Das ist vor allem deshalb so bemerkenswert, weil Rose, gezeichnet als naive Unschuld, ebensogut durch zu viel Zurücknahme auch hätte verblassen oder durch zu wenig Subtilität zur Klischeeheiligen hätte verkommen können. Riseborough jedoch schafft es, Rose zwar allegorisch zu überhöhen, ihr dabei jedoch nie ihre Wahrhaftigkeit zu rauben. Sam Riley ist ihr fast ebenbürtig in seiner gleichermaßen anspruchsvollen Rolle des Pinkie, der zwar zu neun Zehnteln Schuft ist, aber eben auch mit einem Quentchen Sensibilität ausgestattet sein muss – dieses delikate Mischverhältnis bringt Riley chemisch präzise auf die Leinwand.
Ein großer Teil der schwarzen Magie von „Brighton Rock" entsteht durch die Bilder. Es ist erstaunlich, wie anders sich die Kameraarbeit und -philosophie von John Mathieson, der unter anderem auch für die Aufnahmen zu Ridley Scotts „Königreich der Himmel" verantwortlich zeichnet, im Rahmen eines stilbewussten Films wie „Brighton Rock" ausnehmen. Immer variabel und mit einem unerschöpflichen Vorrat guter Ideen photographiert er jede Szene, als müsse sie monolithisch den gesamten Film tragen. Mathiesons tiefseeblau getünchte Aufnahmen schmiegen sich eng an den hervorragenden Score, der jazzige Film-Noir-Anklänge mit klassisch dramatischen Orchestralsätzen verschmilzt.
Joffes Idee, die Handlung der Buchvorlage von Graham Greene von 1930 in die 1960er zu verlegen, erweist sich als effektiv, denn so erfährt die Zerreißprobe der Hauptfiguren einigen zusätzlichen Rückenwind: Der Zuschauer spürt nicht nur den Sturm in der Beziehung zwischen Pinkie und Rose von Beginn an heraufziehen, sondern auch jenen, der die britische Gesellschaft der Sechzigerjahre erfasst; eine synergetische Verbindung, die den Eindruck der drohenden Apokalypse potenziert und das Publikum den gesamten Film über in ängstlicher Erwartung hält.
Kritisch könnte man höchstens anmerken, dass die emotionale Grundlage der Beziehung zwischen Pinkie und Rose kaum erörtert wird, anderseits jedoch erscheint Besessenheit – gerade angesichts des fiebrigen Spiels von Riseborough – als absolut plausibles Motiv. Zudem werden die Figuren durch die dichte Bildsprache und die hervorragenden Darstellerleistung sicher vertaut. Ein beeindruckendes Regiedebüt, das als dunkle Parabel über die verzehrende Gier der Jugend und die Gnadenlosigkeit obsessiver Liebe furchterregend überzeugend geraten ist.