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    Unknown Identity
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Unknown Identity
    Von Carsten Baumgardt

    Welch passenderen Rahmen hätte die Premiere von Jaume Collet-SerrasUnknown Identity" haben können, als das größte deutsche Filmfestival, die Berlinale – zwar im Wettbewerb, aber natürlich außer Konkurrenz. Der in Los Angeles lebende Spanier drehte schließlich komplett in Berlin und im Studio Babelsberg-Potsdam. Obwohl die Story arg hanebüchen ausfällt, macht „Unknown Identity" einen Heidenspaß, denn Collet-Serra inszeniert seine wenig plausible Handlung mit launigem Augenzwinkern und garniert sie mit rassiger Action.

    Dr. Martin Harris (Liam Neeson) reist mit seiner bildhübschen Frau Liz (January Jones) nach Berlin, um dort bei einem biotechnischen Kongress zu referieren. Gerade als der Wissenschaftler im Hotel einchecken will, bemerkt er, dass ihm bei der Fahrt vom Flughafen in die Stadt sein Aktenkoffer abhandengekommen ist. Hektik bricht aus. Ohne seiner Frau Bescheid zu sagen, setzt Harris sich in das Taxi der illegalen bosnischen Einwanderin Gina (Diane Kruger), unterwegs haben die beiden jedoch einen Unfall und landen mit dem Auto in der Spree. Harris erwacht nach vier Tagen Koma im Krankenhaus und kann sich an kaum etwas erinnern. Den Unfall hat er völlig ausgeblendet. Niemand erkundigte sich nach ihm. Harris entlässt sich gegen den Rat seines Arztes Dr. Farge (Karl Markovics) selbst und stellt auf dem Kongress mit Schrecken fest, dass nichts mehr ist, wie es war. Seine Frau Liz erkennt ihn plötzlich nicht mehr wieder und ein Mann (Aidan Quinn) gibt sich als Dr. Martin Harris aus. Als die Polizei anrückt, flieht Harris und versucht mit Hilfe der Taxifahrerin Gina und dem Detektiv Ernst Jürgen (Bruno Ganz) die Hintergründe der Verschwörung aufzudecken, um seine Identität wiederzuerlangen. Doch Killer Jones (Stipe Erceg) setzt alles daran, Harris zu liquidieren.

    Die Handlung der Romanvorlage von Didier van Cauwelaert verlegte Jaume Collet-Serra („House of Wax", „Goal II", „Orphan") von Paris nach Berlin. Die französische Hauptstadt sei als Schauplatz ausgereizt und Berlin dem amerikanischen Publikum weniger bekannt und damit spannender, so der Regisseur. Für die deutschen Zuschauer gilt das Gegenteil: Die Übersiedlung der Geschichte beschert den heimischen Kinofans das Vergnügen, einen Hollywoodfilm in vertrauter Umgebung zu erleben, Collet-Serra findet dekorative Berlin-Bilder an diversen zentralen Schauplätzen. Die Action-Schnitzeljagd in der deutschen Hauptstadt folgt einem arg konstruierten Plot, in dem es nur darum geht, den Helden in eine bedrohliche Situation nach der anderen zu bringen. Ähnlich wie bei Roman PolanskisFrantic" erinnert das alles leise an Collet-Serras Idol Alfred Hitchcock und auch beim Großmeister des Thrillers gibt es bisweilen an den Haaren herbeigezogene Storys, die man nicht zu ernst nehmen sollte – sonst funktionieren die Filme nicht. Spannend sind sie natürlich trotzdem und das ist „Unknown Identity" auch.

    Vor allem mit Bruno Ganz‘ („Der Untergang", „Satte Farben vor Schwarz") Auftritt wird grotesker Humor ins Spiel gebracht. Seine Figur Ernst Jürgen ist eine echte Spaßgranate. Der Detektiv und stolze ehemalige Stasi-Scherge, der genüsslich von den guten alten Tagen schwärmt, haut einen krachenden Oneliner nach dem anderen heraus. Der Schweizer Ganz chargiert hemmungslos drauflos und vermittelt ein merkwürdig schiefes Deutschland-Bild, über das man sich trefflich amüsieren kann. Da erscheint die Stasi als Spaßgesellschaft, die Krankenschwester heißt Gretchen Erfurt und als illegaler Einwanderer wohnt es sich in Berlin auch nicht unbedingt gemütlich. Liam Neeson („Schindlers Liste") spielt den klassischen Mann ohne Identität mit seiner ihm ureigenen Präsenz gradlinig und griffig. Über seinem Charakter schwebt ständig die latente Möglichkeit, dass er sich in den Berserker aus „96 Hours" verwandeln könnte.

    Was hinter dem Mysterium der Verschwörung steckt, ist relativ schnell zu erahnen, aber damit ist die Story noch nicht auserzählt. Denn die Drehbuchautoren Oliver Butcher und Stephen Cornwell haben noch einen schönen Twist in petto, der dem Film noch einmal einen Kick gibt. Der hält zwar auch keiner Plausibilitätsprüfung stand, folgt aber wie der ganze Film einer höheren Genre-Logik. Und zu dessen ungeschriebenen Gesetzen gehört auch die zuweilen unerklärliche Präsenz schöner Frauen. So ist Deutschlands Hollywood-Export Diane Kruger („Inglourious Basterds", „Troja") als bosnische Illegale für die Geschichte nicht unbedingt notwendig und die Figur hat auch nur ganz grobe Konturen, aber das Ex-Model ist mit Spaß bei der Sache und das genügt hier vollkommen.

    Die Actionszenen hat Collet-Serra souverän im Griff, besonders eine rasante Verfolgungsjagd im Zentrum des Films sticht heraus. Aber auch sonst folgt alles der Maxime kurzweiliger Unterhaltung und das Ganze ist in kühlen Bildern vor eiskalter, winterlicher Berlin-Kulisse auch noch schick fotografiert. Das Tempo hält der Regisseur bewusst hoch, um so wenig wie möglich Raum zum Nachdenken zu lassen, dabei ist auch die Handschrift von Action-Produzent Joel Silver („Matrix"-Trilogie, „Lethal Weapon"-Reihe, „Stirb langsam") deutlich zu erkennen.

    Fazit: Bei der Pressevorstellung der Berlinale wurde gejohlt und gejubelt: „Unknown Identity" ist eben ein reinrassiger Spaßfilm. Jaume Collet-Serra serviert puren Kintopp, einen grotesken Action-Thriller mit hohem Unterhaltungswert. Wer allerdings ernsthafte Ansätze sucht, der ist ganz klar im falschen Film.

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