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    Plastic Planet
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Plastic Planet
    Von Sascha Westphal

    „Better living through chemistry!“ – Ein besseres Leben durch Chemie versprach eine der größten amerikanischen PR- und Image-Kampagnen der 50er und frühen 60er Jahre. In diesen Zeiten des weltweiten Booms stand die chemische Industrie mit all ihren bahnbrechenden Entdeckungen und ihren neuartigen Produkten mehr noch als jede andere für ewigen Fortschritt und eine strahlende Zukunft. Plastik war das neue, von Menschen geschaffene Wundermaterial, das in allen Lebensbereichen Verwendung fand und das Versprechen der berühmten Kampagne allem Anschein nach einlöste. Einer, der damals fest an das Plastik und seine schier unendlichen Möglichkeiten glaubte und zu den europäischen Pionieren dieser Wachstumsbranche zählte, war der Großvater des 1965 geborenen österreichischen Filmemachers Werner Boote. Seither sind mehr als 40 Jahre vergangen. Mittlerweile ist die Welt in der damals in so schönen Farben gemalten Zukunft angekommen, und kaum noch jemand glaubt an ein besseres Leben durch Chemie, am wenigsten Werner Boote und die Wissenschaftler, die er in seiner zutiefst ernüchternden Dokumentation „Plastic Planet“ zu den Auswirkungen und Folgen des immer noch anhaltenden Plastik-Booms befragt.

    Überall auf der Welt wird Plastik verwendet und dann weggeschmissen. Wohin Werner Boote bei seiner Reise um den Plastik-Planeten auch kommt, stößt er auf die direkten oder indirekten Folgen der einst so gepriesenen Innovation. Plastik ist heute genauso wie vor vier oder fünf Jahrzehnten ein Milliarden-Geschäft; und seine Hersteller und Vertreiber wissen genau, wie sie ihre Produkte zu verkaufen haben. Also preist John Taylor, einer der mächtigsten Repräsentanten der europäischen Plastikindustrie, weiterhin die wundervollen Vorzüge dieses Materials und will nichts von dessen Schwächen und Nebenwirkungen wissen. Dabei weisen Forscher in Amerika wie in Europa schon seit Jahren daraufhin, dass die in Plastik enthaltenen chemischen Verbindungen nicht nur die Umwelt extrem belasten, sondern längst den Weg in den menschlichen Körper gefunden haben und dort die unterschiedlichsten Krankheiten und Defekte begünstigen.

    Werner Boote bedient sich genau der Methoden, die der amerikanische Dokumentarfilmer Michael Moore (Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte, Sicko, Bowling For Columbine) zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Wie dieser Streiter für die so genannten kleinen Leute geht auch der Österreicher mit einer Mischung aus Naivität und Chuzpe an seine Interviews mit Wissenschaftlern und PR-Leuten, mit Lobbyisten und Vorstandsmitgliedern heran. Und wie Moore scheut auch Boote nicht vor eher platten Gags und Stunts zurück. Dieser leicht egomane Zug, der Moore eine ganze Schar von Gegnern eingetragen hat, fügt sich allerdings aufgrund Bootes Familiengeschichte und seiner daraus resultierenden Zerrissenheit erstaunlich homogen in das Gesamtkonzept des Films ein.

    Natürlich nervt es irgendwann, wenn der Filmemacher immer wieder an verschiedensten Plastiksorten und -Produkten riecht und dann fast wie ein Weinliebhaber in Verzückung gerät. Aber in dieser noch aus seinen Kindertagen herrührenden Obsession offenbart sich zugleich auch das zentrale Thema seiner Dokumentation. Plastik war nie unschuldig – ganz im Gegensatz zu allem, was uns die Industrie Glauben machen wollte. Nur gab es einmal eine Zeit, in der die Menschen unschuldig mit ihm umgegangen sind. Doch die ist nun für immer vorüber, aber die Sehnsucht nach ihr ist geblieben.

    Wenn John Taylor oder der in den Diensten der Plastikindustrie stehende Futurologe Ray Hammond von den segenbringenden Einsatzmöglichkeiten neuer Plastikarten und -Stoffe sprechen, ist es, als seien die 50er Jahre immer noch nicht vorüber: In der Zukunft wird alles besser. Nur ist die Welt – und das zeigt Werner Boote mit seinen Bildern von Abfallbergen und verdreckten Ozeanen überaus eindrucksvoll – schon heute derart von dem allgegenwärtigen Plastik(müll) und den von ihm freigesetzten chemischen Verbindungen belastet und verseucht, dass die Zukunft eigentlich nichts als Schreckensszenarien bereithält.

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