Mit Literaturverfilmungen ist das so eine Sache. Sie laufen immer Gefahr, das Kinopublikum, oder die Fans des Buches zu enttäuschen. Entweder wird an der Vorlage heftig gekürzt, damit alles auf der Leinwand rund wirkt, oder aber man hält verbissen am Original fest und riskiert somit den Erfolg an der Kinokasse. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen diese Gratwanderung mit Bravour gemeistert wird. Auch Clint Eastwood versucht sich mit John Berendts „Mitternacht im Garten von Gut und Böse“ an einem besonders schwierigen, weil komplexen Stoff und droht sich bei seinem Spagat zwischen Film-Drama und Roman die (symbolischen) Beine zu brechen.
Der New Yorker Journalist John Kelso (John Cusack) soll für das Magazin „Town & Country“ über die Weihnachtsparty von Jim Williams (Kevin Spacey) berichten, einem neureichen und exzentrischen Kunsthändler aus Savannah, Georgia. Dieses Ereignis lockt jedes Jahr viele der wichtigsten Persönlichkeiten der Provinzstadt an und ist nur einem elitären gesellschaftlichen Kreis zugänglich, was es so interessant für die Presse macht. Genauso interessant ist auch Williams selbst, der den jungen Reporter von Anfang an beeindruckt. Als die beiden am Abend des Weihnachtsempfangs im Musikzimmer plaudern erscheint der junge Billy Hanson (Jude Law), ein Draufgänger und Liebhaber Williams’, und bricht einen Streit vom Zaun. Noch in derselben Nacht wird Billy erschossen in Jims Arbeitszimmer aufgefunden und Kelso wittert mehr als nur einen Gossipartikel. Im Verlauf der Mordermittlungen und des Prozesses gegen den mutmaßlichen Mörder Williams recherchiert er weiter und ist davon überzeugt, dass an dieser Geschichte mehr dran ist, als es auf den ersten Blick den Anschein hat…
Sowohl das Buch als auch der Film werden durch das Flair der Stadt Savannah und deren eigentümliche Bewohner mit ihren Marotten und Extravaganzen zum Leben erweckt. Gerade in der ersten Hälfte des Films spürt man fast die warme Luft in den Straßen und die behagliche Südstaatenatmosphäre. Man sitzt in gemütlichen Bars bei Bourbon und Blues oder trifft die Damen der Oberschicht bei Kartenspiel und Tratsch. Da lernt man seltsame Menschen kennen, die mit ihren verstorbenen, unsichtbaren Hunden einen Spaziergang im Park wagen und den Stadtmisanthropen, der ständig damit droht, dass er Gift ins Trinkwasser schütten wird. Kurzum: Alles wirkt lebendig.
Dazu tragen auch die Schauspieler bei, allen voran der hochtalentierte Kevin Spacey (American Beauty, Die üblichen Verdächtigen), dem man anmerkt, dass er sich auf seine Rolle intensiv vorbereitete. Er spielt den homosexuellen, höflichen Williams bemerkenswert gut und mit einer großen Gelassenheit. Doch auch John Cusack (Zimmer 1408, Identität, Con Air) muss sich nicht verstecken. Zwar ist die Figur des John Kelso recht unkompliziert und scheint ihm auf den Leib geschrieben (was vielleicht vielleicht daran liegt, dass die Figur extra für den Filmplot erfunden wurde und somit auch einen gewissen Freiraum hat), doch das ändert nichts an seinem sympathischen Auftreten. Der wahre Geheimtipp des Films ist aber zweifellos „Die Lady Chablis“, ein transvestitischer Entertainer und eine Lokalberühmtheit aus Savannah, die sich in dem Film selbst spielt. Sie macht nicht nur John Kelso Avancen, sondern übernimmt auch eine wichtige Rolle in dem Prozess um den Angeklagten Williams.
Aber ein Film besteht aus mehr als nur schönen Bildern und guten Darstellern. Die Handlung ist gerade bei der Verfilmung eines literarischen Werkes, das auch noch auf wahren Ereignissen aus den 1980er Jahren beruht, von entscheidender Bedeutung. Jedoch ist das leider der große Minuspunkt bei Eastwoods Umsetzung. John Lee Hancock, der schon für Eastwoods „Perfect World“ das Drehbuch schrieb, hätte gut daran getan, wenn er seinem anfänglichen Gefühl getraut hätte. Denn zuerst wollte er das Drehbuch nicht schreiben, weil er die Geschichte für zu komplex für die Leinwand erachtete.
Und damit sollte er auch Recht behalten, denn die Komplexität und Vielschichtigkeit der Geschichte und Figuren von Berendts Vorlage schaffen es nicht in den Film. Sie müssen unterwegs verloren gegangen sein, denn was übrig bleibt, ist ein halbgarer Mix, der weder die Kinozuschauer, noch die Leser des Buches fesseln kann. Das kommt nicht nur daher, dass (wie so oft) viele Elemente des Buches geschnitten und für das Medium Film abgeändert wurden. Auch ist die Länge von 155 Minuten in Verbindung mit dem konstanten Fehlen jeglicher Spannung unglaublich einschläfernd. Der Zuschauer wird nicht überrascht und weiß oftmals schon vorher, was passieren wird. Hätte man hier nicht die Möglichkeiten der Leinwand nutzen und konsequent eine Spannung aufbauen können? Zwar wurden die verschiedenen Gerichtsverhandlungen und Prozesse des Buches auf eine einzige zusammengestaucht und viele Nebencharaktere, die mit der Haupthandlung nicht unbedingt etwas zu tun hatten, wurden entfernt, aber dafür führt man dummerweise neue Handlungsstränge ein, wie eine völlig deplatzierte kleine Liebelei mit der Sängerin Mandy, (gespielt von Eastwoods Tochter Alison) womit das Kürzen des Originals wiederum völlig ad absurdum geführt wird.
Und genau diese Unsinnigkeiten merkt man dem Film an. Als Zuschauer wartet man eigentlich zweieinhalb Stunden darauf, dass es endlich richtig losgeht und ist enttäuscht, wenn man den Abspann sieht. Selbst das furiose Ende mit seinem Storytwist wird dadurch irgendwie in den Sand gesetzt. Schade, denn genug Potential war durchaus vorhanden.
So verwunderte es wohl niemanden, dass der Film nicht annähernd so erfolgreich war wie seine Romanvorlage, die 216 Wochen auf der Bestsellerliste der New York Times stand. Zum Glück wissen wir, dass Clint Eastwood später mit Filmen wie Million Dollar Baby, Mystic River und Letters from Iwo Jima ein besseres Händchen und mehr Erfolg hatte. Jedoch kann sich die Musik des Films durchaus hören lassen. Für den Soundtrack zeichnet sich der talentierte Johnny Mercer verantwortlich. Mit souligen Balladen und tollem Southern-Swing trägt er seinen Teil zur wundervollen Atmosphäre des Films bei.
Fazit: Das Thriller-Drama lässt einen mit gemischten Gefühlen zurück. Zum einen ärgert man sich, dass die spannende Story recht langweilig umgesetzt wurde und das damit das Talent der Schauspieler regelrecht vergeudet wurde. Zum anderen aber hat Eastwoods „Mitternacht im Garten von Gut und Böse“ eine wirklich großartige Atmosphäre und hält für geduldige Menschen durchaus einige tolle Szenen bereit. Als Sonntagnachmittagsfilm oder als Quasi-Dokumentation für die Ereignisse um Jim Williams’ Savannah also durchaus zu empfehlen. Für diejenigen jedoch, die einen echten Film mit Handlung sehen wollen: Hände weg!