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    The Postman
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    The Postman
    Von Ulrich Behrens

    Gründungsmythen kennt jede Gesellschaft. Nicht nur die amerikanische Politik bedient sich ihrer immer wieder, gerade im Wahlkampf – und dass im Fall der USA nach über 200 Jahren Existenz des jeweiligen Staatswesens. Solche Mythen scheinen eine absolute Notwendigkeit für die Legitimation und Reproduktion von Gesellschaften zu sein, auch und gerade von hoch arbeitsteiligen, „modernen“ und „aufgeklärten“ staatlich-nationalen Gebilden. Die Not, aus der diese Mythen entstehen, schuldet sich einem Defizit, das wiederum vor allem aus der gewaltsamen Gründung moderner Staatswesen resultiert, im Fall der USA der Vernichtung der Ureinwohner des Kontinents, der Sklaverei und einigem anderen. Wahrscheinlich sind auch Filme wie „Postman“ nur vor diesem Hintergrund verständlich. Es wäre geradezu zu trivial, den „geläuterten“ Patriotismus solcher visueller Reproduktionen von Gründungsmythen verbal zu verdammen und ad acta zu legen nach dem Motto: „Das haben wir doch schon lange gewusst.“ Es enthebt einen der Frage, der permanenten Wirkung solcher Filme und ihrer Aussagen nachzugehen.

    „Postman“ operiert stark am US-amerikanischen Gründungsmythos entlang, setzt den damit unumgänglich verbundenen „Werten“ jedoch einen Klacks Alternative hinzu und verlagert die Reproduktion des Mythos in die Zukunft. Diese Art Verfremdungseffekt in bezug auf den Mythos – in Costners „Waterworld“ (1995) und „Der mit dem Wolf tanzt“ (1990) schon angedeutet – hat den ideologiebestimmten Vorzug, einerseits durch eine Art Distanzierung von der Gegenwart, andererseits durch Mystifizierung des Mythos breiter und effektiver zu wirken. „Postman“ handelt von einem namentlich nicht genannten Einzelgänger, eben dem später so titulierten Postman (Kevin Costner), der in einer Welt nach dem GAU, dem dritten Weltkrieg, in einem Land umherzieht (wir schreiben das Jahr 2013), in dem staatliche Strukturen nicht mehr existieren. Das Land ist sozusagen in der Zukunft auf die Vergangenheit zurückgeworfen. Kommunikation, Industrie, Technologien sind bis auf ein Minimum verschwunden. Schon diese Ausgangssituation gestattet die Inszenierung einer Welt, in der „der Mensch“ fast vollständig auf sich zurückgeworfen ist – bis auf die Erinnerungshorizonte, die vom Vergangenen künden.

    Mit Shakespeare und mimischem Talent versucht sich dieser Einzelgänger über Wasser zu halten, gerät jedoch in die Gewalt des Generals Bethlehem (Will Patton) und seiner das Land in einer Mischung aus moderner Diktatur und feudalen Regeln skrupellos beherrschenden Horden. Das Pferd und das Maschinengewehr symbolisieren die Macht des Generals. Die versprengten, in kleineren Dörfern lebenden Menschengruppen, haben ihre Siedlungen wie Forts gesichert, sind jedoch von Bethlehem völlig abhängig. Unserem Einzelgänger – einem Individualisten – gelingt die Flucht. Als er Schutz vor Kälte und Nässe in einem abgestürzten Auto sucht, findet er dort das Skelett eines Postbeamten samt Uniform und Postsack. Fortan zieht er als Postman durch den mittleren Westen, trifft auf das Örtchen Pineview und erhofft sich durch seine Funktion Eintritt. Er behauptet, es gebe wieder einen Präsidenten, die Vereinigten Staaten seien im Wiederaufbau und er und andere hätten die Aufgabe, das Postwesen und damit die Kommunikationsstrukturen als ersten Schritt zur Vergesellschaftung der versprengten menschlichen Ansiedlungen wiederherzustellen. Tatsächlich hat er ein paar wenige jahrealte Briefe dabei, die für einige Einwohner von Pineview bestimmt sind. Während der Sheriff des Ortes Briscoe (Daniel van Bargen) dem Fremdling misstraut, bittet ihn die junge schöne Abby (Olivia Williams) darum, mit ihm zu schlafen, weil sie und ihr Mann Michael (Charles Esten) sich schon lange ein Kind wünschen, Michael aber unfruchtbar sei.

    Der junge Ford Lincoln Mercury (Larenz Tate) ist derart begeistert von der Idee der Rekonstruktion des Postwesens und der USA, dass er fortan von sich aus – nachdem der Postman Pineview wieder verlassen muss, weil der Sheriff erst einen Beweis für dessen Authentizität haben will – junge und alte Männer und Frauen zu Postbediensteten kürt, die in der Folge in alle Himmelsrichtungen ausschwärmen, um Brief zuzustellen und abzuholen – wobei etliche Opfer des Generals werden. Es versteht sich von selbst, dass die Geschichte nur dadurch in ihrer Logik weiter erzählt werden kann, dass Michael durch Bethlehem ermordet wird, der Postman Abby aus den Klauen des Bösewichts befreit, der Michael ermordete, weil er Abby besitzen wollte, und der Wiederaufbau des Postwesens mit minimalen Mitteln zu einer Gefahr für die Tyrannei Bethlehems stilisiert wird, der an der Rekonstruktion der Vereinigten Staaten selbstredend kein Interesse haben kann. Dies allein garantiert die Entwicklung des neuen, alten Gründungsmythos und die über eine Liebesgeschichte kolportierte Vermittlung der „wahren Werte“, die zur staatlichen Konstitution der USA unentbehrlich sind.

    Der Patriotismus ist der Kitt, der die institutionelle Staatlichkeit (Postboten) mit den versprengten Orten menschlichen Zusammenlebens verkoppelt. Und wer wollte schon behaupten, Kommunikation sei unwesentlich für gemeinschaftliches Zusammenleben? Fahne, Appelle und militärähnliche Grußrituale tun ein übriges neben unverbrüchlichem (Todes-)Mut, um dem Mythos auf den Weg zu helfen. Costner wäre allerdings nicht Costner, würde er unverändert den Ritualen etwa des klassischen Westerns folgen. Dann wäre „Postman“ nicht mehr als die Wiederauflage eines Genres in der Verkleidung des Sciencefiction. Der im Showdown inszenierte Zweikampf mit Bethlehem offenbart die Variation des Mythos: Er lässt Bethlehem leben, um die Friedfertigkeit des Neuen gegenüber dem Alten zu exerzieren. Da der Bösewicht jedoch keine Einsicht zeigt, meuchelt ihn sein eigener Stellvertreter hin, der samt Truppe zum friedlichen neuen Amerika überläuft. Und die gemeinsame Tochter von Postman und Abby enthüllt Jahre später eine Bronzestatue für ihren Vater als Sinnbild des Mythos.

    Diese an die Grenzen der Lächerlichkeit rührende Modifikation des Mythos ist es nicht allein, die „Postman“ zu einem jener Filme werden lässt, die zu der besagten Mystifizierung des Mythos führen, statt eine bitter notwendige Entzauberung solcher Staatsmärchen zu visualisieren. Wie ein dichtes Gewebe aus Spinnenfäden legt sich eine Schicht von Halbwahrheiten und Sagenhaftem, Erfundenem und ideologisch verkleisterten „Wertehierarchien“ über die Geschichte, um den Lebenden ein vermeintlich stolzes Weiterleben zu garantieren. Von dem, was in Filmen wie Scorseses „Gangs of New York“ oder Zinnemanns „High Noon“ (mit dem er den klassischen staatstragenden Western willentlich oder unbewusst entzauberte) enthüllt wird, ist „Postman“ nicht nur weit entfernt. Costner selbst bietet – neben Olivia Williams – eine durchaus passable schauspielerische Leistung, auch wenn so mancher Dialog sich in der Wirrnis des Banalen und Trivialen verheddert. Will Pattons General Bethlehem hingegen ist – wohl vor allem durch die ihm vom Drehbuch vorgeschriebene Rolle – als Bösewicht doch arg überzeichnet. Der Rest der Crew ist kaum erwähnenswert. Dass Costner mit dieser seiner zweiten Regiearbeit (ein Film, der im übrigen sicherlich eine halbe Stunde zu lange ist) keinen durchschlagenden Erfolg hatte, darf kaum verwundern. Apokalyptische Visionen können nur überzeugen, wenn sie wenigstens auch einen Beitrag zur Entmystifizierung leisten.

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