1996 drehte Barry Levinson (Wag the Dog, 1997; „Liberty Heights“, 1999) die auf dem autobiografischen, in der Öffentlichkeit heiß umstrittenen Bestseller von Lorenzo Carcaterra basierende Geschichte der vier Jugendfreunde John (Geoffrey Wigdor), Shakes (Joseph Perrino), Tommy (Jonathan Tucker) und Michael (Brad Renfro).
1966. Die vier Freunde leben zwischen der 34. und 56. Straße westlich der 8. Avenue in New York, einem Bezirk, der „Hell’s Kitchen“ genannt wird. Lebensumstände und Familienverhältnisse sind hart. Das Milieu ist einerseits geprägt vom Einfluss der katholischen Kirche – repräsentiert durch Pater Bobby (Robert de Niro), der „seine“ Jungen liebt –, zum anderen durch die Kriminalität – verkörpert durch den Mafia-Boss King Benny (Vittorio Gassman) – in den Straßen, Hinterhöfen, in den Bars und dunklen Ecken des Stadtteils. Alle vier gehen in die Kirche, spielen mit Pater Bobby Basketball und geben sich auf der anderen Seite der Kleinkriminalität hin, stehlen hier und da und überbringen Schmiergelder an korrupte Polizisten.
Als die vier einem Straßenverkäufer den Hot-Dog-Wagen stehlen und der die Treppen zur Metro-Station hinunterrollt und einen Mann schwer verletzt, werden sie vom Gericht zu 12 bzw. 18 Monaten Heimaufenthalt in der „Wilkinson Reform School“ verurteilt. Dort müssen sie unter den sadistischem Aufsichtspersonal leiden. Besonders der Wärter Nokes (Kevin Bacon) misshandelt die Insassen brutal. Vergewaltigung steht bei ihm ebenso auf der Tagesordnung wie Schläge mit dem Knüppel. Diese schrecklichen Erfahrungen prägen das weitere Leben der vier jungen Männer.
1981. Lorenzo (Jason Patric), der schon als Jugendlicher gern gelesen hat, ist Reporter bei den New York Daily News geworden. Michael (Brad Pitt) arbeitet als Staatsanwalt. Tommy (Billy Crudup) und John (Ron Eldard) sind zu Kriminellen geworden, drogen- und alkoholabhängig, mordverdächtig. Als sie in einem Restaurant zufällig Nokes an einem Tisch beim Essen wiedererkennen, ziehen sie ihre Waffen und töten Nokes mit etlichen Schüssen in Körper und Kopf.
Michael entwickelt zusammen mit Lorenzo einen ausgefeilten Plan, ihre beiden Freunde vor einer Verurteilung zu bewahren. Mit Hilfe der Sozialarbeiterin Carol (Minnie Driver), Johns Freundin, und dem alkoholabhängigen, etwas heruntergekommenen, aber gewieften Anwalt Danny Snyder (Dustin Hoffman), den King Benny engagiert hat, wollen sie die Zustände in Wilkinson ins Zentrum des Mordprozesses stellen und zugleich über eine Falschaussage Pater Bobbys, der Tommy und John ein Alibi verschaffen soll, einen Freispruch erreichen. Snyder kommt die Aufgabe zu, die Zeugen des Mordes, die Restaurantgäste, auseinander zu nehmen und die ehemaligen Aufseher aus „Wilkinson“ in die Mangel zu nehmen ...
Der Wahrheitsgehalt des angeblich autobiografischen Romans Carcaterras wurde bei dessen Erscheinen und erst recht nach der Premiere von „Sleepers“ bestritten. Für die Beurteilung von Buch und Film ist dies insofern unwichtig, als die Umstände, die gezeigt werden, durchaus realistisch sind. Zudem griff man Levinson an, weil er in dem Film Selbstjustiz rechtfertige. Dieses Argument ist schon relevanter, denn tatsächlich steht im Zentrum des Films die Rache, die Tommy und John an ihrem Peiniger nehmen, und vor allem der Versuch ihrer beiden Freunde, eines Anwalts, eines Mafiabosses, eines Priesters, sie durch einen betrügerischen Prozess freizubekommen – was auch gelingt. Und noch ein Mord spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle.
Levinson schildert im ersten Teil des Films überzeugend und wirklichkeitsnah die von Michael Ballhaus eindrücklich photographierten Lebensumstände der vier Jungens. Es wird deutlich, wie sie in einer Atmosphäre aufwachsen, die von Nachbarschaftshilfe, Freundschaft, Glauben und Ehrbegriffen aus dem Milieu der Mafia geprägt ist. Für sie ist die Tätigkeit als Messdiener hier, als Kleinkriminelle dort kein Widerspruch, bilden eine einheitliche Mentalität – eine gefährliche Mischung, wie sich später herausstellen soll. Pater Bobbys Kampf gegen den Rutsch in die Kriminalität ist eine Lebensaufgabe; gerade die vier jungen Männer liegen ihm am Herzen.
Levinson zeigt im zweiten Teil ebenso überwältigend die brutalen Verhältnisse in Wilkinson. Er zeigt die sexuellen Misshandlungen nicht direkt; Ballhaus photographiert aus der Distanz, aus dem Verborgenen, deutet nur an, was sich im Heizungskeller abspielt.
Rache und Selbstjustiz im dritten Teil des Films wirken – oberflächlich betrachtet – als Legitimation des Verhaltens der vier Männer. Aber der Film ist komplizierter angelegt. Roger Ebert fragte in seiner Besprechung des Films, ob diese Form der Selbstjustiz auch möglich gewesen wäre, wenn die Jungen nicht sexuell misshandelt, sondern „nur“ geschlagen worden wären. Ich halte diese Frage für nicht gerechtfertigt. Denn allein schon die Demütigungen durch die brutalen Schläge – etwa nach einem Basketballspiel, in dem sich die Heiminsassen an den Wärtern rächen wollen, indem sie dem einen ein Bein stellen, den anderen in den Bauch boxen usw.– und die psychische Gewalt der Aufseher – wenn sie die Insassen zwingen, herunter gefallenes Essen vom Fußboden zu verzehren – lassen Rachegedanken aufkommen. Oft reicht weniger aus, um unter bestimmten Umständen Racheakte auszulösen.
Dennoch bleibt am Schluss des Films ein widersprüchlicher Eindruck. Feiert Levinson die Ehrbegriffe der von der Mafia beeinflussten Umgebung in Hell’s Kitchen? Hat er zu viel Verständnis für die zwei Mörder und ihre beiden Freunde? Verachtet er die Justiz, die nur die Tat sieht, aber nicht die Umstände, die auch dazu geführt haben? Stellt er Freundschaft und Solidarität über das Recht?
Ich konnte nach Ende des Films und ich kann auch jetzt diese Fragen nicht beantworten. Meine Gefühle ähneln denen, wie ich sie nach dem Film „Die Jury“ (1996, Regie: Joel Schumacher) nach dem gleichnamigen Roman von John Grisham hatte, der ähnliche Fragen aufwirft. Als die vier Freunde nach dem Freispruch ihren letzten gemeinsamen Abend zusammensitzen, feiern, lachen, Witze machen, überkam mich ein zwiespältiges Gefühl. Da ist zum einen das Verständnis für die Rache, zum anderen der Ekel vor der Selbstjustiz.
Man kann „Sleepers“ allerdings auch unter der Fragestellung betrachten, welche Momente zu einem solchem Verhalten – sowohl dem Mord an Nokes, als auch der Rache im Gerichtssaal – beigetragen haben. Man kann die Frage von Schuld völlig personalisieren und damit „Sleepers“ eindeutig den Vorwurf der Rechtfertigung von Selbstjustiz machen. Man kann die ersten beiden Teile des Films als Argument dafür nehmen, dass „die gesellschaftlichen Umstände“ schuld am Verhalten von John und Tommy seien und sie damit von jeglicher zurechenbarer Schuld freisprechen. Beides wäre in meinen Augen einseitig, würde Teile der Handlung, der Geschichte, der Biografie ausblenden und wäre deshalb falsch. Der enorme Vorteil des Films besteht meinem Gefühl nach darin, dass er diese Vereinseitigungen unterlässt. Man darf hier konkrete Handlung, die Erzählung, und die Bewertung dieser Handlung nicht verwechseln. Levinson entzieht sich einer eigenen Wertung. Ich sehe keine Stelle in diesem Film, an dem er wertet. Er erzählt eine durchaus glaubhafte Geschichte in ihren widersprüchlichen Dimensionen. Was wir damit anfangen, ist unsere Sache.
Wenn die Legitimation von Selbstjustiz diesen Film auszeichnen würde, könnte man z.B. mit Fug und Recht von Scorseses „Good Fellas“ behaupten, er legitimiere eine Mafia-Karriere. Das Gegenteil ist dort jedoch der Fall. Levinsons Film ist auch deshalb von Bedeutung, weil dadurch, dass er im zweiten Teil zeigt, wie die vier Freunde mit Unterstützung anderer eine Verurteilung verhindern, das Thema Todesstrafe aufkommt. Nicht nur private Selbstjustiz muss verboten bleiben, auch staatliche Rache. Die Todesstrafe ist eine der letzten Strafen des Rechtssystems, das vom Gedanken der Rache getragen ist: Auge um Auge, Gleiches mit Gleichem vergelten, Leben mit Leben.
Meine Bedenken gegen Levinsons Film bestehen darin, dass der letzte Teil des Films – ab dem Mord an Nokes – deutlich gegenüber der Schilderung der Jugend der vier Freunde abfällt. Levinson konzentriert sich allzu stark auf die Gerichtsverhandlung. Zu rasch ist Pater Bobby entschlossen, gegen seine tiefsten Überzeugungen einen Meineid zu leisten. Zu wenig geht es noch um die emotionalen Momente. Auch die flashbacks ändern daran nichts. Die Rolle von Minnie Driver ist dramaturgisch überflüssig, obwohl sie die Figur der Carol überzeugend spielt. Die tiefgreifenden Fragen des Anfangs werden dem Milieu, in dem sie entstanden waren, entrissen und dem abgekarteten Spiel der Anwälte überantwortet. Hierdurch – durch die Konzentration auf den Prozess selbst und die damit verbundenen Tricks und Schliche, die Metamorphose einer Milieustudie zum Gerichtsdrama – verlieren die Probleme ihre Schärfe, und hierdurch kann dann auch der Eindruck entstehen, es gehe Levinson um Legitimierung der Selbstjustiz. Das hatte Schumacher in „Die Jury“ besser gelöst, wenn auch nicht so subtil und intensiv wie wiederum Grisham selbst in seinem Roman.
Der Film – mit großartigen Schauspielern besetzt – glänzt trotzdem in Haupt- und Nebenrollen durch meisterhafte Leistungen, Dustin Hoffman z.B. in der Rolle des leise, fast flüsternd, langsam sprechenden und sich bewegenden, aber gerissenen Anwalts, de Niro als Pater in einer schwierigen väterlichen Rolle, Bacon als sadistischer Psychopath und auch Brad Renfro als junger Michael.
Levinsons Film erzeugt Unruhe, konfrontiert mit schwierigen Fragen, die sich aus einem problematischen sozialen Milieu ergeben. Er zeigt, wie vier junge Männer sich ganz unterschiedlich entwickeln, aber auch, wie ihre spezifische, durch Glauben und kriminelles Milieu zugleich entstandene Form von Freundschaft und Ehrgefühl zu einer tödlichen Gefahr und zu Selbstjustiz führt. Der Film setzt keine einfachen Lösungen, verliert sich aber, wie gezeigt, am Schluss in einer allzu eingeengten Zuspitzung auf ein Gerichtsverfahren, in dem die aufgeworfenen Probleme an Schärfe verlieren, u.a. auch die Frage, wie es dazu kommen kann, dass in Anstalten wie „Wilkinson“ derartige Verhältnisse möglich sind und die verantwortlichen Schinder nicht zur Rechenschaft gezogen werden.