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    White Squall
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    White Squall
    Von Jonas Reinartz

    „Call it ‘Floating Poets Society’, or perhaps ‘Dead Sailors Society’, but this coming-of-age story, circa 1960, has much the same feel as that earlier release, with a group of teenage boys undergoing a rite of passage -- under the tutelage of a stern mentor -- by sailing around the Caribbean for a year.” (Variety, 29.01.1996) [1]

    Die 90er Jahre beschieden Ridley Scott kein Glück, obgleich er für sich dieses Jahrzehnt mit seiner feministischen Phantasie Thelma And Louise spektakulär eingeläutet hatte. Es entwickelte sich ein typisches Zeitgeist-Phänomen, der Film wurde in Windeseile im kulturellen Gedächtnis verankert, Brad Pitt (Fight Club, 12 Monkeys) machte die ersten Schritte auf seinem Weg zum umschwärmten Weltstar und Scott erhielt seine erste Oscarnominierung. Doch das Rad der Fortuna verlangsamte sich, bis es nahezu verharrte. Etliche viel versprechende Projekte kamen über das Entwicklungsstadium nicht hinaus und schmorten ewig in der development hell, so etwa eine Verfilmung von Richard Mathesons Apokalysevision I Am Legend, das in der geplanten Version mit Arnold Schwarzenegger wahre Unsummen verschlungen hätte. Der langgehegte Wunsch, den Taten des Christoph Columbus ein filmisches Denkmal zu setzen, konnte zwar 1992 mit 1492 - Die Eroberung des Paradieses realisiert werden, enttäuschte jedoch aufgrund eines unausgereiften Drehbuches und daraus resultierenden Längen Publikum und Kritiker. Vier Jahre darauf wagte sich der Regisseur mit dem Abenteuer-Drama „White Squall“ erneut auf den Ozean und nahm sich den autobiographischen Aufzeichnungen von Charles Gieg Jr., „The Last Voyage of the Albatross“ genannt, an. Mehr als passable Unterhaltung entstand dabei nicht, es stört eine rückwärts gewandte Haltung, ebenso wie die Ähnlichkeit zu Peter Weirs Der Club der toten Dichter, welche frappierend ist. Hervorzuheben sind die gewohnt brillante visuelle Gestaltung und ein sehenswerter Jeff Bridges als bärbeißiger Skipper mit Herz.

    Anfang der 60er Jahre begibt sich der junge Chuck (Scott Wolf) für ein Jahr auf das Schulschiff „Albatross“, das durch die Karibik segelt. Er sieht den Aufenthalt vor allem als Chance, der von seinen Eltern formulierten, drängenden Frage zu entkommen, wie er sich seine Zukunft ausmalt. Geleitet wird das Projekt vom strengen Captain Christopher „Skipper“ Sheldon (Jeff Bridges), dessen Frau Alice (Caroline Goodall) als Bordärztin ebenfalls dabei ist. Neben Chuck sind noch zwölf andere männliche Jugendliche beteiligt, darunter Gill (Ryan Philipp), der seit dem tragischen Tod seines Bruders unter panischer Akrophobie leidet, dies allerdings zu verheimlichen versucht, sowie der mit einer Lernschwäche geschlagene Dean (Eric Michael Cole) und Frank (Jeremy Sisto), dessen snobistische Eltern ihn wie einen Unmündigen behandeln. Nach und nach rauft sich die heterogene Gruppe zusammen, doch am Ende wartet die größte Herausforderung ihres Lebens. Der sogenannte white squall, ein ohne jegliche Vorwarnung auftretendes Sturmphänomen, wird sich als Zerreißprobe ihres Zusammenhaltes erweisen.

    Auch wenn mit „G.I. Jane“ im darauf folgenden Jahr ein noch größerer Schritt in eine falsche Richtung anstand, erweist sich Ridley Scotts formal virtuose Inszenierung bereits hier als zu wenig reflektiert. Augenscheinlich fasst er seine Aufgabe lapidar als das auf, was sie im Grunde auch ist, eine gut bezahlte Auftragsarbeit. Ursprünglich hatte er mit Robert Redford und Jodie Foster in den Hauptrollen eine Adaption des Romans „Hot Zone“ (von Robert Preston) über eine todbringende Virusepidemie geplant, dieses Projekt wurde indes aufgrund des Konkurrenten Outbreak von Wolfgang Petersen bereits früh wieder eingestellt. Folglich leiht er der Geschichte sein geschultes Auge, nicht jedoch seine Leidenschaft. Fast schon zu routiniert reiht er perfekt kadrierte, pittoreske Einstellungen aneinander. Nicht, dass ihm dabei keine bemerkenswerten Szenen gelängen, gerade ihm Zusammenspiel mit dem überdurchschnittlichen Soundtrack von Jeff Rona entstehen einige regelrecht meditativ anmutende Momente. Es ist zunächst die inhaltliche Ebene, an der „White Squall“ zu kranken scheint. Die Figur Sheldons etwa, souverän und mit sichtlicher Spielfreude von Jeff Bridges (The Big Lebowski, König der Fischer) interpretiert, ist wie am Reißbrett entworfen und eine einzige Ansammlung von Klischees des klassischen Abenteuerkinos. Dass der auf den ersten Blick harte Schleifer an sich ein „Herz aus Gold“ besitzt, dürfte niemanden überraschen, was auch für das bereits nach wenigen Minuten absehbare, stark melodramatische Ende zutrifft.

    Als problematischer erweisen sich da die ständigen Remineszenzen an „Der Club des toten Dichter“. Subtrahiert man das Meer, landet man unweigerlich bei Weirs Klassiker, wohl dem Lieblingsfilm der meisten Englischlehrer rund um den Globus. Sämtliche Beschreibungen des Schulalltags wirken eher obligatorisch, es ist deutlich zu merken, dass alles lediglich Vorgeplänkel für die große Untergangssequenz ist. Wo Robin Williams’ (Good Morning, Vietnam, Insomnia) Figur des John Keating tatsächlich das Potential hatte, auf das Publikum inspirierend zu wirken, verblasst John Savage (Die durch die Hölle gehen) als permanent Shakespeare-Verse rezitierender Lehrer und nervt mitunter. Der Konflikt zwischen unterdrücktem Adoleszenten und autoritärem Elternhaus verliert ebenfalls an Dramatik, was vor allem an den im direkten Vergleich deutlich abfallenden Schauspielleistungen liegt. Jungschauspieler vom Schlage eines Robert Sean Leonard (Driven, „Dr. House“) sucht man hier vergebens. Scott Wolf in der Doppelfunktion als Hauptdarsteller und Erzähler gibt sich sichtlich Mühe und kann eine akzeptable Leistung vorweisen, Ryan Philippe (Gosford Park, L.A. Crash) hingegen ist wie (fast) immer vollends überfordert. Einzig Caroline Goodall (Schindlers Liste, Herr der Diebe) vermag noch Akzente zu setzen, zumal sie im Zusammenspiel mit Bridges ein überzeugendes Leinwandpaar abgibt.

    Zudem erweisen sich Sheldons Erziehungsmethoden nach dem Credo „Was dich nicht umbringt, macht dich härter“ als höchst fragwürdig und finden sich in etwas drastischerer Form ebenso in „G.I. Jane“, dem mit Abstand misslungensten Film in Scotts Filmographie. Es scheint, als habe er angesichts seiner strauchelnden Karriere sein Topos des in einen steten Überlebenskampf verstrickten Protagonisten zu sehr an ein simpel gestricktes und patriotisches US-Publikum angepasst. Hier findet sich freilich noch nicht der im folgenden Film evidente Patriotismus, doch die Optik von Army-Werbefilmen wie Top Gun, im übrigen von Tony Scott, seinem jüngeren Brüder, inszeniert, ist auch hier vorhanden. Gestählte (Männer-)Körper, Disziplin, Kameradschaft vor Postkartenhintergründen, all dies hinterlässt einen unangenehmen Beigeschmack. Wenn auch noch sehr weit von der Ästhetik einer Leni Riefenstahl entfernt, ist dennoch eine gewisse Tendenz in die Richtung einer Verklärung eines zweifelhaften Körperkultes erkennbar, die sich glücklicherweise nicht fortsetzte. Riefenstahl, deren Filme und Fotoarbeiten – darunter „Triumph des Willens“, „Olympia“ und „Die Nuba – Menschen wie vom anderen Stern“ - trotz ihres absolut verachtenswerten Inhalts technisch makellos sind, ist nach wie vor ein großer Einfluss auf das Weltkino, selbst Lucas’ Krieg der Sterne und eben auch Gladiator, trotz betontem Einspruch auf dem dazugehörigen Audiokommentar, bilden da keine Ausnahme. [2]

    Erneut ist es die Form, die den Sieg davonträgt. Gegner des Regisseurs werden dies mit einem lachenden und einem weinenden Auge registrieren. Zum einen sollten sie ihre Vorurteile bestätigt sehen, zum anderen fasziniert die traumwandlerische Beherrschung des hochkomplexen Mediums Film und lässt sich unmöglich leugnen. Vor allem die Sturmsequenz ist beeindruckend realisiert und fast physisch spürbar. Da scheint es, als ob ein Filmemacher, losgelöst von allem fragwürdigen inhaltlichen Ballast, das pure Überwältigungskino feiert. Für einen aufregenden Filmabend ist dies völlig ausreichend, vorausgesetzt, man stört sich nicht allzu sehr an der konservativen, Disziplin und Gehorsamkeit glorifizierenden Ideologie und betrachtet sie mit einem Augenzwinkern.

    [1] http://www.variety.com/review/VE1117904898.html?categoryid=31&cs=1&p=0

    [2] In seinem DVD-Kommentar erklärt Scott als Reaktion auf die Behauptung, er habe sich bei der Inszenierung von Commodus triumphalen Einzug an Riefenstahl angelehnt, es sei genau anders herum gewesen, denn, so seine Worte, die Nationalsozialisten „copied the Romans“. Dies ist freilich nicht zu leugnen, doch für das eindeutige Zitat von Seiten Scotts gilt dies ebenfalls, zumal so die Parallele Commodus/Hitler aussagekräftig visualisiert wird.

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