Schon im Jahr 1990 porträtierte die Filmemacherin Carmen Tartarotti die österreichische Schriftstellerin Friederike Mayröcker in ihrer 45-minütigen, für den ORF produzierten Dokumentation „1 Häufchen Blume 1 Häufchen Schuh". Rund 15 Jahre später reiste Tartarotti erneut nach Wien, um der bedeutenden Literatin ein zweites Mal nachzuspüren – dieses Mal in einem längeren Dokumentarfilm. Über einen Zeitraum von zwei Jahren begleitete die Regisseurin die heute 85-jährige Autorin auf Lesungen und besuchte sie immer wieder in ihrer Wohnung, dem zentralen Handlungsort des Films, wo etliche Ton- und Filmaufnahmen entstanden. Mit „Das Schreiben und das Schweigen" ist der Filmemacherin so ein einfühlsames, überaus intimes Porträt von Friederike Mayröcker gelungen, in dem der Betrachter sich gänzlich verlieren kann.
Das liegt vornehmlich an der faszinierenden Protagonistin Mayröcker, die von Interviews und dergleichen eigentlich überhaupt nichts hält. Gleich zu Beginn macht die Schriftstellerin ihren Standpunkt klar, über den sie selbst kurz schmunzeln muss: „Ich mag nicht sprechen – und auf dieser Grundlage werden wir unseren Film aufbauen." Und dennoch redet sie in „Das Schreiben und das Schweigen", was sicher auch der sensiblen Arbeitsweise Tartarottis geschuldet ist, denn die Mayröcker zum Sprechen zu bringen, gelingt bei weitem nicht jedem, wie eine spätere Szene des Films nachhaltig verdeutlicht. Mit Kamera und Aufnahmegerät ausgerüstet tritt Carmen Tartarotti zu Filmbeginn in die über die Maßen chaotische Wohnung der Künstlerin, in der überall verteilt Notizen, Briefe und Bücher liegen, so dass selbst für das kleine Aufnahmegerät immer wieder aufs Neue ein freier Platz geschaffen werden muss. Allein schon der Blick in diese Wohnung ist unersetzlich: Einen so schönen und wahren Ort bekommt man selten zu Gesicht. Und eine so gewinnend sympathische, eigensinnige und kluge Frau wie Friederike Mayröcker auch nicht.
Fast überflüssig zu erwähnen, dass „Das Schreiben und das Schweigen" auf jeglichen Firlefanz verzichtet. Eine chronologische Abarbeitung des Lebenswegs der Protagonistin, ein Verweis auf die hohe Bedeutung ihres Werks in der modernen deutschsprachigen Literatur oder gar einen erklärenden Off-Kommentar gibt es nicht. Der Film von Carmen Tartarotti bleibt jederzeit im Hier und Jetzt und verlässt sich in erster Linie auf Friederike Mayröcker und deren vielgestaltige Ausführungen, wobei auffällig ist, dass Bild und Ton nur selten zusammenfallen: Direkt vor der Kamera spricht die Autorin kaum – und wenn, dann meistens bei offiziellen Anlässen wie Lesungen oder einer Ehrung durch die Stadt Wien. Bild und Ton, die beiden Eckpfeiler einer filmischen Erzählung, entstanden ansonsten weitgehend getrennt voneinander. In einem zwei Jahre andauernden Prozess montierten Tartarotti und ihr Cutter Ferdinand Ludwig aus dem Material den fertigen Film. Auf diese Weise entstanden zahlreiche assoziative und vielschichtige Momente, die sich mit der starken Präsenz Mayröckers und den oft poetischen Bildern von Kameramann Pio Corradi („Heimatklänge") – der die Außenaufnahmen realisierte, während Tartarotti in der Wohnung filmte – zu einem stimmigen Porträt verbinden, das vor allem zwischen den Zeilen erzählt.
In einer Szene besucht Friederike Mayröcker ein Archiv, das den Nachlass ihres vor zehn Jahren verstorbenen Lebensgefährten Ernst Jandl – ebenfalls ein bedeutender Schriftsteller – verwaltet. Nach Alphabet sortiert und in akribisch beschrifteten Kisten verstaut stehen seine Hinterlassenschaften dort der Wissenschaft zur Verfügung. So sinnig das auch ist, so dankbar ist man in diesem Moment, dass Carmen Tartarotti das nur von Mayröcker selbst überschaubare, einmalige Durch- und Nebeneinander in ihrer Wohnung auf Film verewigt hat. Und besser als Anne Rose Katz es in der Kritik der „Süddeutschen Zeitung" zu Carmen Tartarottis erster Mayröcker-Dokumentation aus dem Jahr 1990 formuliert, kann ein Text zu „Das Schreiben und das Schweigen" kaum enden: „Noch stundenlang hätte man ihr zuhören können; nur Originalton Friederike Mayröcker, murmelnd, wie eine Quelle, raschelnd wie das Laub, säuselnd wie eine Nymphe. Nein, alles falsch. Eine monotone, eher abweisende Stimme setzt mit zäher Beredsamkeit einen inneren Monolog in Bewegung. Scheinbar zufällig beginnt er irgendwo und endet ebenso."