Neben Filmen wie Bordertown, die ihre Message dem Zuschauer mit dem Holzhammer einzuschlagen versuchen, gibt es auch solche, die ihr Anliegen still und trotzdem nicht minder wirkungsvoll vortragen. Ein Beispiel hierfür ist die brasilianisch-deutsche Co-Produktion „Deserto Feliz“, die auf der Berlinale 2007 in der Sektion Panorama Special zu sehen war. Der hierzulande wenig bekannte Regisseur und Autor Paulo Caldas („O Baile Perfumado“, „O Rap Do Pequeno Príncipe Contra As Almas Sebosas”) erzählt darin die Geschichte der minderjährigen Prostituierten Jéssica.
Die 16-jährige Jéssica (Nash Laila) lebt mit ihrer Mutter Maria (Magdale Alves) und ihrem Stiefvater Biu (Servilio Holanda) im brasilianischen Hinterland in einem kleinen Dorf am São Francisco River. Künstliche Bewässerung hat das Tal in eine fruchtbare Gegend verwandelt, so dass Jéssicas Stiefvater in den so entstandenen Weingütern Arbeit gefunden hat. Fehlende Privatsphäre und Geborgenheit machen Jéssicas Leben allerdings alles andere als einfach – auch als sie von Biu vergewaltigt wird, erhält sie von ihrer Mutter keine Hilfe. Traumatisiert und desillusioniert verlässt Jéssica ihr Zuhause. Ihr Weg bringt sie schließlich nach Recife, der Hauptstadt des Bundesstaates Pernambuco, im Nordosten Brasiliens. Dort beginnt ihr neues Leben: Zusammen mit anderen jungen Prostituierten wohnt sie in dem heruntergekommenen Appartement der alten Hure Dona de Vaga (Zezé Mota). Die Tage verbringt sie am Strand, die Nächte in der Amazonas Bar, wo sie auf Freier wartet. Jéssicas Leben scheint aber eine neue Wendung zu nehmen, als sie den Deutschen Mark (Peter Ketnath) kennen lernt. Ist er die große Liebe, von der sie geträumt hat?
Filme, die auf Missstände aufmerksam machen wollen, haben immer eine Gratwanderung zu vollführen. Auf der einen Seite wollen sie, dass ihr Thema beim Zuschauer ankommt, ihn wachrüttelt. Auf der anderen Seite dürfen sie den Betrachter aber nicht durch einen lehrmeisterhaft erhoben Zeigefinger verlieren. Dieser Spagat gelingt „Deserto Feliz“ mit Bravour. Man merkt, dass es Paulo Caldas ein sehr großes Anliegen ist, auf das Problem der Kinderprostitution im armen Nord-Osten Brasiliens aufmerksam zu machen. Trotzdem hat er seinen Film voll im Griff und verzichtet auf überflüssige Schockmomente und übertriebene Schwarz-Weiß-Malerei. Dichtauf, quasi-dokumentarisch und mit Gespür für die richtige Einstellung folgt die Kamera seinen Protagonisten Jéssica und Mark, wobei die unterschiedlichen Farbtöne Brasiliens und Deutschlands die kulturelle Distanz zwischen den beiden Figuren aufzeigen. Aber auch an anderer Stelle wartet „Deserto Feliz“ immer wieder mit kleinen oder feinen filmischen Ideen auf, wie zum Beispiel bei einer langen Einstellung, als Jéssica die eine Straße überquert oder als sie im Hotelzimmer sitzt und das Bild unscharf wird.
Nicht nur vom Stil, auch von den Leistungen der Darsteller macht „Deserto Feliz“ einen guten Eindruck. Peter Ketnath („Movies, Aspirins And Vultures“) kann schon auf mehrjährige Erfahrungen im Film- und Fernsehbereich zurückblicken, Nash Laila, welche die Rolle der Jéssica spielt, hatte zuvor erst zwei Auftritte bei einem Amateurtheater. Beide brechen durch ihr Spiel mit den Erwartungen: Jéssica ist viel mehr als eine einfache Opferfigur und Mark nicht das, was man sich gemeinhin als Sextourist vorstellt. Gerade seine Rolle ist eine, die den Zuschauer in tiefe Verunsicherung stürzt. Mark ist ein einfacher, jugendlicher Otto-Normal-Rucksack-Tourist, jemand, den man durchaus kennen könnte. Hier verweigert der Film dem Zuschauer die Desidentifikation und verhindert so, das Thema als etwas abzutun, was einen nicht betrifft.
Die Welt ist nach Aussage Paulo Caldas in ein Ungleichgewicht geraten und bewegt sich auch immer weiter in die falsche Richtung. Brasilien wird in der restlichen Welt als Land der schönen Frauen wahrgenommen, die Probleme des Landes interessieren aber die wenigsten. Kino ist nach seiner Ansicht nicht nur Unterhaltung, sondern soll auch zum Nachdenken anregen und so möchte er mit seinem Film auch einen Beitrag zur Bewusstmachung des Problems leisten. Es dürfte nicht jedermanns Sache sein, dass „Deserto Feliz“ zuweilen den Eindruck der Unausweichlichkeit vermittelt, die Figuren sehr offen bleiben und am Ende das Deutungsspektrum noch einmal erweitert wird. Trotzdem ist Paulo Caldas ein inhaltlich wichtiger und formal interessanter Film gelungen, dem zu wünschen wäre, dass er von einer breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen wird.