Vor etwa zehn Jahren war in den Medien beinahe ständig von der „vaterlosen Gesellschaft“ die Rede. Mittlerweile haben sich die Wogen wieder etwas geglättet. Das griffige, so vielseitig verwendbare Schlagwort geistert zwar immer noch durch die Diskussionen und die Diskurse. Aber es provoziert längst nicht mehr diese reflexartigen Kontroversen, die es einst umgaben. Davon profitiert nun der deutsche Filmemacher Christoph Röhl. Sein Spielfilmdebüt „Ein Teil von mir“ ist ein wunderbar leises und gelöstes Drama um zwei Kinder dieser vaterlosen Gesellschaft, die selbst viel zu früh Eltern werden. Ganz unaufdringlich erzählt Christoph Röhl eine letztlich alltägliche Geschichte, die das Leben der Betroffenen allerdings vollkommen auf den Kopf stellt. Er nähert sich seinen Charakteren und ihren Problemen so einfühlsam und unaufgeregt, dass er all die typischen „Fernsehfilm der Woche“-Fallen und -Klischees vermeiden kann, in die so viele andere Filme um ungewollte Schwangerschaften unter Jugendlichen tappen.
Damit hatte der Einser-Schüler Jonas (Ludwig Trepte, Schwesterherz, Sieben Tage Sonntag) nun wirklich nicht gerechnet. Bisher lief für den 16-Jährigen alles nach Plan. Selbst sein Vater, der ihn und seine Mutter schon vor Jahren verlassen hat, fehlte ihm nicht sonderlich. Doch dann ändert sich mit einem Schlag alles für ihn, als ihm die 17-jährige Vicky (Karoline Teska, Die Boxerin, Die Welle) offenbart, dass sie von ihm schwanger ist. Die beiden hatten sich ein paar Monate zuvor bei einer Party kennen gelernt und sind danach sofort wieder ihrer Wege gegangen. Das versucht Jonas nun wieder. Nur taucht Vicky einige Wochen nach der Geburt ihrer Tochter erneut bei ihm auf. Eigentlich möchte er immer noch nichts von ihr und dem Kind wissen. Aber denken muss er, der nicht einmal seiner Mutter (Lena Stolze, Die weiße Rose, Am Ende kommen Touristen, Vision) etwas erzählt hat, trotzdem ständig an die beiden.
„Ein Teil von mir“ gehört neben Wolfgang Fischers extrem verstörendem Drama „Was Du nicht siehst“, in dem auch Ludwig Trepte die Hauptrolle spielt, mit Sicherheit zu den reifsten und eindrucksvollsten Debüts im deutschen Kino der letzten Jahre. Die Selbstverständlichkeit, mit der Christoph Röhl in jedem Moment genau den richtigen Ton trifft und dabei oft auch noch fast ganz ohne Worte auskommt, ist wahrhaft bewundernswert. In atmosphärisch ungeheuer dichten Szenen und Bildern fängt er das Leben zweier Teenager ein, die beide auf ihre ganz eigene Art versuchen, das Beste aus einer vertrackten Situation zu machen. Natürlich läuft dabei nicht alles so, wie es sein sollte.
Jonas’ Vogel-Strauß-Politik treibt nicht nur Vicky fast zur Weißglut. Trotzdem urteilt der Film nicht ein einziges Mal über ihn oder sein Verhalten. Selbst in den Momenten, in denen sich Jonas ganz bewusst unmöglich benimmt und Vicky brutal vor den Kopf stößt, lässt Ludwig Treptes ungeheuer genaues und intensives Spiel den inneren Kampf erahnen, den dieser Jugendliche Tag für Tag mit sich selbst austrägt. Vickys Schwangerschaft und die Geburt seiner Tochter haben eine Situation geschaffen, für die es keine einfache Lösung gibt – auch wenn seine und Vickys Mutter Laura (Julia Richter, „Sass“, „Was ich von ihr weiß“) über einer Tasse Kaffee zu einer vermeintlichen Lösung kommen, bei der es natürlich nur ums Geld geht.
Vicky und Jonas, die beide ohne Vater aufgewachsen sind, erweisen sich – und das ist die erstaunliche Pointe von Christoph Röhls Erstling – als vernünftiger und erwachsener als ihre Eltern. Anders als ihre Väter flüchtet keiner von ihnen vor der Verantwortung, die das Baby mit sich bringt – Jonas braucht nur etwas mehr Zeit. Und anders als ihre Mütter suchen sie nach einem Weg, ihr Leben und ihre Gefühle in einen echten Einklang zu bringen. Das ließe sich durchaus auch als ein Kommentar zu der ganzen Diskussion um die „vaterlose Gesellschaft“ verstehen. Nur lässt sich Christoph Röhls poetisches Debüt gar nicht erst auf eine derart eindeutige Aussage reduzieren.