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    Die Stimme des Adlers
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Die Stimme des Adlers
    Von Björn Helbig

    Die Mongolei bietet sich mit ihren weiten Landschaften immer wieder als Projektionsfläche für naturromantische Vorstellungen vom kargen Leben in der Steppe an. René Bo Hansen springt auf diesen Zug auf und erzählt eine Abenteuergeschichte für junge Zuschauer, die von fremden Kulturen, der Beziehung zwischen Mensch und Tier, von Verantwortung und Erwachsenwerden handelt. Leider kann Hansen seinen Anspruch, lehrreiche Familien- und Jugendunterhaltung zu bieten, aufgrund von inhaltlichen und inszenatorischen Mängeln nur bedingt einlösen.

    In der mongolischen Steppe: Der 12-jährige Bazarbai (Bazarbai Matei) träumt von einem aufregenden Leben in der Hauptstadt Ulan Bator. Mit der väterlichen Kunst der Adlerjagd und dem hauseigenen Vogel kann er nur wenig anfangen. Trotzdem möchte sein Vater (Mardan Matei), dass der Junge die Familientradition fortführt. Als Bazarbei erfährt, dass sein älterer Bruder Khan (Asilbek Badelkhan) im Gegensatz zu ihm in die Stadt ziehen darf, um Geld zu verdienen, ist er enttäuscht und wütend. Durch eine Unachtsamkeit des Jungen entkommt der Adler. Von Angst getrieben macht Bazarbei sich auf den weiten Weg nach Ulan Bator und auf die Suche nach seinem Bruder. Der Vater schickt dem Jungen den zwischenzeitlich zur Familie heimgekehrten Greifvogel zum Schutz hinterher. Auf der Reise in die große Stadt lernt Bazarbai den Adler immer mehr zu schätzen.

    Die Naturkulisse der Mongolei ist ein attraktiver und durchaus populärer Filmschauplatz. Die unendlich scheinende Steppe und das ursprüngliche Leben ihrer Bewohner faszinieren viele westliche Zuschauer. Der Reiz wird durch eine ungewohnte Erzählweise, die sich von den vom amerikanischen Kino geprägten Standards vor allem in Tempo und Rhythmus radikal abhebt, zuweilen noch gesteigert. Die deutsch-mongolischen Co-Produktionen Die Höhle des gelben Hundes und Die Geschichte vom weinenden Kamel sind sehenswerte Beispiele hierfür. Mitunter schaffen es auch nicht-mongolische Produktionen, den Zauber der Landschaft und die Eigenarten der Kultur in originelle Geschichten und ausdrucksstarke Bilder zu überführen, wie der französisch-russische „Urga“ von Nikita Michalkow oder der chinesische Berlinale-Gewinner Tuyas Hochzeit von Wang Quan'an gezeigt haben. Doch der ausländische Versuch, mongolische Sitten und Gebräuche stimmig filmisch einzufangen, gelingt bei weitem nicht immer wie der Historien-Kitsch Der Mongole traurig illustriert. Und auch René Bo Hansen schafft es in seiner deutsch-schwedischen Kooperation leider nicht, über die etablierten Klischees hinauszugehen.

    „Die Stimme des Adlers“ ist der Versuch, einen Film für Jugendliche zu drehen, der den Besonderheiten der dargestellten Kultur gerecht wird und zugleich eine universell gültige und allgemein verständliche Geschichte erzählt. Dieser Aufklärungs- und Bildungsanspruch zeigt sich etwa in der Thematisierung des Spannungverhältnisses von Tradition und Moderne sowie beim Generationenkonflikt. Als Unterrichtsmaterial betrachtet erfüllt „Die Stimme des Adlers“ so zumindest ansatzweise seine Funktion und bietet die Grundlage für weitergehende Reflektionen. Was pädagogisch vielversprechend angelegt ist, offenbart jedoch schnell deutliche erzählerische Schwächen. Der Zuschauer erfährt letztlich sehr wenig über die besonderen Umstände des Lebens in der mongolischen Steppe, dazu so gut wie nichts über Adler und die Adlerjagd. Selbst der Konflikt um Bazarbai und seine abschließende Lösung werden nur ansatzweise verständlich.

    Hansen vernachlässigt fast alles, was einen guten Film ausmacht. Es gibt zwar kaum Leerlauf, aber die einzelnen Szenen folgen lieblos und fast zufällig aufeinander. Aufgrund dieser holprigen Dramaturgie verpuffen viele im Grunde reizvolle Situationen wie Bazarbais Begegnungen mit den Tierhändlern und den Zirkusleuten einfach. Selbst das Finale - das Wiedersehen der beiden Brüder - entfaltet nicht annähernd die wünschenswerte Wirkung. Dort, wo eigentlich Spannung entstehen müsste, tritt Hansen immer wieder vorschnell auf die Bremse, dafür poltert er in den Momenten, in denen Atmosphäre aufkommen könnte, zu schnell durch seinen Film und verlässt sich auf die Wirkung der gefühlsduseligen Ethno-Musik. Dass die Laien-Darsteller keine allzu großen Taten vollbringen, ist nicht weiter schlimm. Aber dass sie viel zu oft von der Regie allein gelassen werden, fällt doch sehr unangenehm auf. Die extrem einfach gehaltenen Dialoge und die Missachtung jeder erzählerischen Logik mögen ihren Ursprung im Versuch haben, ein jugendliches Publikum anzusprechen. Sie erweisen sich aber ganz unabhängig vom Alter der Zuschauer als erhebliche Defizite.

    Fazit: „Die Stimme des Adlers“ bietet atemberaubende Landschaftsaufnahmen aus der Mongolei, aber als Unterhaltungsfilm für die ganze Familie kann der Film aus inhaltlichen und dramaturgischen Gründen nur sehr eingeschränkt empfohlen werden. Bestenfalls mag er als Anregung dienen, sich im Nachhinein selbstständig mit den angerissenen sozialen und kulturellen Themen auseinanderzusetzen. Aber auch für diesen Zweck gibt es bessere Filme.

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