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    Ajami – Stadt der Götter
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Ajami – Stadt der Götter
    Von Sascha Westphal

    Im Rennen um den Oscar für den besten fremdsprachigen Film ist Scandar Coptis und Yaron Shanis Ensembledrama „Ajami“ wohl kaum mehr als ein Außenseiter. Seine Geschichte ist wahrscheinlich einfach zu komplex und zu sperrig für die wenigen Mitglieder der Academy, die in dieser Kategorie abstimmen dürfen. Außerdem haben die beiden Co-Regisseure und -Autoren, der arabische Christ Copti und der israelische Jude Shani, auch noch in stilistischer Hinsicht auf jeglichen Kompromiss verzichtet. Ihr erzählerisch gleich mehrfach gebrochener Film schließt direkt an so stilbildende Gesellschaftspanoramen wie City Of God oder Gomorra an - und die wurden schließlich auch schon bei den Oscars übergangen. Aber letztlich spielt es gar keine Rolle, ob „Ajami“ nun mit der kleinen Statuette, um die sowieso viel zu viel Aufhebens gemacht wird, ausgezeichnet wird oder nicht. Schon seine Nominierung war eine kleine Sensation und hat ein deutliches Zeichen gesetzt, zumal dieses fiebrige Porträt einer zersplitterten Gesellschaft bereits vorher (Kino-)Geschichte geschrieben hat. Nie zuvor hatte Israel einen Film ins Oscar-Rennen geschickt, der zum größten Teil in Arabisch gedreht ist.

    Auf der einen Seite hat ein Menschenleben in Ajami, einem Teil der arabischen Stadt Jaffa, die 1950 mit der israelischen Tel Aviv vereint wurde, einen ganz genau zu beziffernden Wert. Er hängt von zahlreichen individuellen Faktoren ab und wird nach einer Bluttat von einem Ältestenrat festgesetzt. Wenn diese finanzielle Blutschuld allerdings nicht getilgt werden kann, wenn eine Familie diesen als Entschädigung gedachten Betrag nicht bezahlt, dann ist wiederum das Leben ihrer Mitglieder nichts mehr wert. So geht es dem jungen Araber Omar (Shahir Kabaha), dessen Familie durch eine unglückliche Verkettung von Umständen eine solche Blutschuld tilgen muss. Der wohlhabende und über zahlreiche Verbindungen verfügende Restaurantbesitzer Abu-Elias (Youssef Sahwani) beschützt ihn zwar, aber das Geld muss er trotzdem irgendwie auftreiben. Auch Malek (Ibrahim Frege), ein palästinensischer Teenager, braucht unbedingt Geld für seine schwerkranke Mutter. Als sich ihnen, die sich in Abu-Elias Restaurant kennen lernen, eine Chance bietet, die ihre Probleme beseitigen könnte, greifen sie zu und setzen damit alles aufs Spiel…

    Scandar Copti und Yaron Shani haben ihre Geschichte(n) aus Ajami in fünf Kapitel zerteilt. Jedes wird aus einer anderen Perspektive erzählt und rückt damit andere Figuren und Details ins Zentrum des Geschehens. Dabei den Überblick zu bewahren, ist alles andere als einfach. Schließlich springen die beiden Filmemacher nicht nur zwischen den Figuren und den Religionen hin und her. Sie durchbrechen auch immer wieder die Chronologie der Ereignisse. Letztlich reicht ein einzelnes Sehen von „Ajami“ wahrscheinlich gar nicht aus. Das wahre Ausmaß seiner Komplexität wird sich erst einem wiederholten Blick eröffnen. Das ist die Stärke des Films und seine Achillesverse zugleich. Denn auf den ersten Blick hat Scoptis und Shanis gemeinsames Langfilmdebüt trotz seiner soghaften Dramaturgie und seiner enormen Dynamik etwas Distanzierendes an sich. Er zieht sein Publikum mit jedem Kapitel von neuem in seine Welt hinein, um es dann sofort wieder von sich zu stoßen. Dieses Wechselspiel ist sehr reizvoll, aber auch ermüdend.

    Trotzdem macht die Zersplitterung der Handlung natürlich Sinn. Schließlich leben in Ajami Moslems, Juden und Christen auf engstem Raum. Im alltäglichen Leben der Stadt treffen sie immer wieder aufeinander und sind dabei gezwungen, gemeinsam zu kommunizieren und zu handeln. Aber das entschärft die grundsätzlichen Konflikte keinesfalls. So etwas wie große Gemeinschaft gibt es in Ajami nicht. Jede Glaubensrichtung hat ihre eigene Welt. Wer versucht, aus ihr auszubrechen, geht ein hohes Risiko ein. Scandar Copti und Yaron Shani erzählen gleich zwei diese Grenzen missachtende Liebesgeschichten. Aber beide tragen sie – wie sollte es in dieser einfach nicht zu Ruhe kommenden Zwangsgemeinschaft auch anders sein – den Keim einer Tragödie in sich.

    Die Konflikte, die das Leben der Figuren in „Ajami“ bestimmen, sind aus den Schlagzeilen der Zeitungen und aus Fernsehnachrichten bekannt. Aber Scandar Copti und Yaron Shani entreißen sie dieser Welt der Medien, die immer auch Parteinahme fordern, die sich je nach der eigen ideologischen Ausrichtung auf die Seite Israels oder die der Araber und Palästinenser stellen. Die beiden Künstler, die mit ihrer gemeinsamen Arbeit den Brückschlag über die vielfältigen Grenzen in dieser Region vollzogen haben, verweigern sich bewusst jeder Schuldzuweisung. Jede ihrer Figuren trägt ihren Teil von Schuld, und jede will eigentlich nur das Beste. Aber genau dadurch werden sie schuldig, das ist ihre moderne und dabei eigentlich ganz klassische Tragödie.

    Fast alle Rollen werden von Laien gespielt, von Menschen, die in Jaffa leben und die vielfältigen Verstrickungen, von denen der Film erzählt, aus eigenen Erfahrungen kennen. Während der Dreharbeiten haben sie alle weiter ihre eigene Muttersprache gesprochen. Niemand wurde bevorzugt oder benachteiligt. Wie in ihrem Alltag mussten die Schauspieler und die Mitglieder des Filmteams Wege finden, die Sprachbarrieren zu überwinden. So konnten Scandar Copti und Yaron Shani die Realität dieses Stadtteils so genau wie nur eben möglich einfangen und abbilden, um sie zugleich künstlerisch zu überhöhen. Immer wieder spitzen sie die Ereignisse und Situationen genrekonform zu. Die Konventionen des Ensembledramas und des Gangsterfilms helfen am Ende das Chaos des Lebens in Ajami so weit zu ordnen, dass ein Nachdenken über Lösungen zumindest möglich wird.

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