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    Münter & Kandinsky
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Münter & Kandinsky

    Kunst, Bohème und Leidenschaft

    Von Gaby Sikorski

    Über viele Jahrzehnte stand die avantgardistische Künstlerin Gabriele Münter, die 1877 in Berlin geboren wurde und 1962 im bayrischen Murnau starb, im Schatten ihres Lehrers und Lebenspartners Wassily Kandinsky, der als einer der Wegbereiter der abstrakten Kunst gilt. Sie schrieb in ihr Tagebuch: „Ich war in vieler Augen nur eine unnötige Beigabe zu Kandinsky. Dass eine Frau ein ursprüngliches, echtes Talent haben, ein schöpferischer Mensch sein kann, das wird gern vergessen.“ Zu Lebzeiten wurden ihre anfangs in spät-impressionistischer, archaisch kraftvoller Farbgestaltung komponierten Werke oft als primitiv angesehen, ein eigenständiger Stil wurde ihr nicht zuerkannt. Doch die Rezeption ihrer Werke hat sich in den letzten Jahren stark verändert, so wie generell die öffentliche Wahrnehmung und Bewertung der Kunst von Frauen. Heute gilt Gabriele Münter als eine der bekanntesten und bedeutendsten Künstlerinnen des Expressionismus. Ihre Bilder erzielen auf Auktionen siebenstellige Beträge.

    Für die Produzentin, Autorin und Historikerin Dr. Alice Brauner („Crescendo“) ist Gabriele Münters Geschichte symptomatisch für die mangelnde Anerkennung von Frauen in der Kunst. Ihr Drehbuch zum Film „Münter & Kandinsky“, der unter der Regie von Marcus O. Rosenmüller den Fokus auf die Beziehung zwischen Gabriele Münter und Wassily Kandinsky setzt, ist zwar als Doppelporträt angelegt, stellt aber Gabriele Münter deutlich in den Fokus. Kandinsky wird dabei nicht komplett zur Nebenrolle, er ist nur ausnahmsweise weniger wichtig. Der Film erzählt dabei nicht nur eine ziemlich spannende (Beziehungs-)Geschichte, sondern er lädt mit seiner fulminanten Bildsprache auch zu einer sinnlichen Begegnung mit moderner Malerei ein.

    Camino Filmverleih
    Im Filmtitel „Münter & Kandinsky“ steht zur Abwechslung mal nicht Wassily Kandinsky (Vladimir Burlakov) an erster Stelle.

    Der Film beginnt mit einer Hausdurchsuchung im Jahr 1942, bei der Gabriele Münter (Vanessa Loibl) sich allein gegen ein paar unangenehme Nazi-Schergen behauptet, die im Auftrag der Reichskunstkammer auf der Suche nach „entarteter Kunst“ sind. Sie beweist ihren kühlen Kopf, bleibt sachlich, mit leicht unterdrückter Wut – Kandinskys Bilder hat sie vorher gut versteckt. Aus Liebe zur Kunst, nicht zu ihm. Und dazu sagt sie: „Wassily, dass ich schon wieder mein Leben für dich riskiere, das hast du nicht verdient.“

    Eine Rückblende führt in Münters Vergangenheit zurück: 1901 geht sie nach München, wo sie sich an der privaten Kunstschule „Die Phalanx“ einschreibt, da sie als Frau an praktisch keiner staatlichen Kunsthochschule studieren darf. Wassily Kandinsky (Vladimir Burlakov) ist einer ihrer Lehrer – es ist Liebe auf den ersten Blick, wobei sich beide zunächst zurückhalten, denn Kandinsky ist verheiratet. Doch es dauert nicht lange, und die beiden werden ein Paar. Die stürmische und gleichzeitig so ernsthafte junge Frau und ihr schwerintellektueller Gefährte mit dem melancholischen Blick – früher wurde sowas „Schlafzimmeraugen“ genannt –, das ist eine explosive Kombination, was nicht nur für ihre künstlerische Arbeit gilt, sondern auch für ihr gesamtes Zusammenleben…

    Starke Bilder

    Im Film gelingt es, was im wahren Leben nicht so gut geklappt hat: Hier werden inhaltlich und visuell die Puzzlestücke zur Geschichte zweier sehr unterschiedlicher Charaktere in einer schlüssigen Handlung vereint. Auf 13 Jahre Gemeinsamkeit, Zärtlichkeit, Leidenschaft, Versprechungen und gegenseitige Inspiration folgen kleine und große Triumphe und Niederlagen und schließlich eine lange Zeit der Auseinandersetzung. Münter und Kandinsky ziehen nach Bayern, sie kauft von ihrem Erbe das Haus im beschaulichen Murnau, wo sie hoffen, dass ihre Liaison weniger Beachtung findet als im lebhaften München. In den Bergen entwickeln sie beide vor dem Hintergrund der grandiosen Alpengipfel ihren jeweiligen Stil weiter, in dem es nicht mehr um die Abbildung der Realität geht, sondern immer mehr um Formen, Brüche und Stimmungen.

    Die vorzügliche Kameraarbeit von Namche Okon zeigt das in atmosphärisch starker Eindringlichkeit. Gabriele Münters Bilder, darunter viele Alpenlandschaften, werden in ihrer Reduktion aufs Wesentliche immer ausdrucksvoller, während Kandinsky sich mehr der Abstraktion zuwendet. Münter und Kandinsky verloben sich, sie gründen mit Franz Marc die Künstlervereinigung „Der Blaue Reiter“, doch der Ausbruch des 1. Weltkriegs beendet die künstlerische Diskussion und das Zusammenleben. Münter geht nach Skandinavien, um für Kandinsky erreichbar zu sein, und kann dort einige Erfolge feiern. Kandinsky kehrt nach Russland zurück – und heiratet dort eine andere Frau. Gabriele Münter bleibt allein zurück, am Boden zerstört.

    Camino Filmverleih
    In „Münter & Kandinsky“ wird das Kino im wahrsten Sinne des Wortes zur Leinwand.

    Der Film kommt gelegentlich etwas brav und bildungsbürgerlich daher – er möchte manches erklären, was gar nicht erklärungsbedürftig ist. Und es gibt auch ein paar nahezu überflüssige Szenen, wie gleich zu Beginn Bilder von Gabriele Münters USA-Reise mit ihrer Schwester, die lediglich ein bisschen über ihren familiären Hintergrund erzählen, der für die Handlung nicht relevant ist. Aber diese kleinen Schwächen werden aufgewogen durch die facettenreiche Darstellung des Künstlerpaares und sehr gute schauspielerischen Leistungen, vor allem von Vanessa Loibl. Sie macht aus Gabriele Münter eine zornige junge Frau, die sich mit Temperament und Leidenschaft dagegen wehrt, in irgendeine Schublade gepresst zu werden: Diese Dame hat Power, sie ist manchmal beängstigend energisch, und das ist Fluch und Segen zugleich, denn Münter scheut sich nicht, anderen die Meinung zu sagen, auch wenn sie es sich dann mit ihnen verscherzt. Vladimir Bulgakov spielt Kandinsky als durchgeistigtes Multitalent – sehr sexy, mit hübschem Akzent und Bürstenschnurrbart, aber auch mit einem unübersehbaren Hang zur Besserwisserei. Er ist einer von denen, die schon überall waren, alles können und jeden kennen, aber Bulgakov spielt das mit einer angenehmen und nicht unsympathisch wirkenden Lässigkeit.

    Doch hier steht eigentlich nicht der Geschlechterkampf zweier Kreativer im Mittelpunkt. Stattdessen ist es eher der Wille und die Durchsetzungskraft einer Frau, die an sich und ihre Kunst glaubt, nicht wegen, sondern trotz der Reaktionen ihres Geliebten, und die sich deshalb immer weiter von ihm entfernt. Inhaltlich und visuell taucht der Film stimmungsvoll ein in die deutsche Bohème-Szene des beginnenden 20. Jahrhunderts, eine interessante Zeit, als es um Veränderungen ging, um die Abkehr vom Realismus, vom Spießertum und von Konventionen. Der verheiratete Kandinsky und die deutlich jüngere Münter – allein das war damals schon ein Affront. Und ihre provokanten Bilder riefen zusätzlich zu den Sittenwächter*innen auch noch die Kunstbeflissenen auf den Plan.

    Fazit: In herrlichen Landschaftsaufnahmen und mit vielen akribisch komponierten Bildern schafft Regisseur Marcus O. Rosenmüller eine Atmosphäre, in der sich manchmal Kunst und Wirklichkeit treffen, bis sich die Wirklichkeit in Licht und Farben auflöst, so wie in den Detailaufnahmen der gerade entstehenden Gemälde. Und Vanessa Loibl als Gabriele Münter zeigt die Ecken und Kanten einer komplexen, affektgesteuerten Persönlichkeit, die es sich niemals leichtgemacht hat: meist schmallippig, aber entschlossen, selten lächelnd. Und immer schön an den Schubladen vorbei.

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