Im Spanischen bezeichnet „Huacho" zum einen abwertend ein uneheliches Kind, zum anderen nennt man in Chile, dem Herkunftsland von Regisseur Alejandro Fernández Almendras, so alles, was abgeschieden, verlassen und herrenlos ist – auch Menschen. In diesem Sinne folgt Almendras' Spielfilmdebüt „Huacho – Ein Tag im Leben" in vier Episoden Menschen im ländlichen Zentral-Chile, die vom Glück im Stich gelassen scheinen.
Ein ärmliches Bauernhaus irgendwo nahe Chillán: Der Tag beginnt mit einem Hahnenschrei. Bereits während des Frühstücks fällt der Strom aus. Hier trennen sich die Wege der Familie. Großmutter Clemira (Clemira Aguayo) kauft Milch beim Bauern, um daraus Käse zu machen, den sie an der nahegelegenen Landstraße verkaufen will. Tochter Alejandra (Alejandra Yáñez) arbeitet als Köchin im Hotel einer reichen Dame. Doch der Lohn ist niedrig und so muss sie sich schweren Herzens zwischen ihrem schicken neuen Kleid und der ausstehenden Stromrechnung entscheiden. Enkel Manuel (Manuel Hernández) hat es in der Schule nicht leicht. Von seinen Klassenkameraden als Bauernjunge verspottet, möchte er zu gerne einmal mit der PSP eines Mitschülers spielen, doch dieser will sie jedem anvertrauen, nur nicht Manuel. Cornelio (Cornelio Villagrán), Manuels Opa schließlich verdingt sich auch im hohen Alter noch als Landarbeiter, weil er seiner Tochter Alejandra etwas hinterlassen möchte. Abends trifft er sich mit seinen Freunden zu einem Glas Wein in der Kneipe, bis ihn seine Familie abholt und ein ganz normaler Tag zu Ende geht.
Regisseur Almendras folgt einem simplen und doch eleganten Konzept: der Bebilderung des Alltags. Nacheinander handelt er die Geschichten ab, statt sie gegeneinander zu schneiden und miteinander zu verflechten. Tatsächlich ist der Ablauf jedes Tages derart profan, dass zunächst nicht ganz klar wird, ob der Ausgangspunkt jeder Episode nicht doch zu unterschiedlichen Morgen gehört. In körniger Super-16-Optik folgen Kameramann Inti Briones und Regisseur Almendras ihren Protagonisten durch eine staubige, wenig beschauliche Einöde, in der kleine Ereignisse wie die Erhöhung des Milchpreises zu großen Stolpersteinen werden. Und so wird die Konfrontation der Familienangehörigen mit sozial Bessergestellten zum verbindenden Element der Erzählung.
Sie alle sind huacho, allein, zurückgelassen von der modernen Welt. Eine PSP ist für Manuel unerreichbar, sein klägliches Taschengeld von 100 Pesos (umgerechnet 15 Cent) reicht für eine Runde am Automaten in der Spielhalle. Dass Almendras derartige Situation nicht sentimental verklärt und ausbeutet, ist eine große Stärke von „Huacho – Ein Tag im Leben". Dem Mitgefühl vom bequemen Kinosessel aus zieht er die Würde eines einfachen Daseins vor. Auch der Umstand, dass sich die Probleme in „Huacho – Ein Tag im Leben" scheinbar allesamt auf die Armut der Familie runterbrechen lassen, veranlasst den Regisseur nicht zu salbungsvollem Sozialkitsch. Alle vier Angehörigen ertragen ihr Schicksal mit Gleichmut, stemmen sich mit Fleiß gegen ihre prekäre Situation.
Während die Großeltern noch fest auf ihrer Scholle verankert sind, bewegt sich Tochter Alejandra sicher zwischen dem Land und dem urbanen Geflecht der nahen Großstadt, wo sie einkauft und die Angelegenheiten der Familie regelt. Manuel seinerseits geht in der Stadt zur Schule, auch er ist den Versuchungen der Konsumgesellschaft ausgesetzt. Der Enkel soll und will es einmal „besser haben" als seine Großeltern. „Huacho – Ein Tag im Leben" ist ein Generationenporträt und ebenso eine konsequente Bestandsaufnahme der chilenischen Schwellengesellschaft. Eine gleichermaßen schlichte wie hochkomplexe Erzählung, eine sensible Regie und starke Kameraarbeit: Alejandro Fernández Almendras' Film erfüllt den selbstgesteckten Anspruch, in die fremde Welt des Verzichts einzuführen.