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    Sex & Drugs & Rock & Roll
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Sex & Drugs & Rock & Roll
    Von Björn Becher

    „Sex & Drugs & Rock & Roll“ - auf den ersten Blick ein etwas langweiliger und offensichtlicher Filmtitel für ein Rocker-Biopic. Denn schließlich könnte dieses Motto über nahezu jeder Lebensgeschichte von exzentrischen Rockstars stehen, zumal wenn diese in den Siebzigern ihren Karrierehöhepunkt hatten. Doch keine dieser Biographien hat den Titel „Sex & Drugs & Rock & Roll“ mehr verdient als die Geschichte von Ian Dury. Dieser hat im Vergleich zu seinen Rockerkollegen nicht etwa ein besonders wildes Leben geführt, aber es war schließlich Durys gleichnamige Hymne, durch die der Begriff erst geprägt wurde und durch die er sich im englischen Sprachgebrauch etabliert hat. Folgerichtig spielt dieser Song im Dury-Biopic von Spielfilmdebütant Mat Whitecross auch eine zentrale Rolle. Gemeinsam mit weiteren Liedern des begnadeten Texters gibt „Sex & Drugs & Rock & Roll“ dem nach ihm benannten Film über weite Strecken die Handlung vor, kommentiert und reflektiert sie. Whitecross präsentiert uns einen wilden Trip, wobei er nach und nach deutlich dunklere Töne anschlägt. Mit Andy Serkis hat er zudem die Idealbesetzung für die Hauptrolle gefunden, die allen Facetten mehr als gerecht wird.

    Ian Dury (Andy Serkis), der gefeierte Rockstar steht mit seiner Band, den Blockheads, auf der Bühne. Und er spricht mit seinen Liedern zu seinem Publikum. Er erzählt seine Lebensgeschichte: Der seit früher Kindheit an der Kinderlähmung Polio leidende, auf Betreuung und einen Krückstock angewiesene Künstler verucht in den Sechzigern erfolglos mit einer miserablen Pub-Rock-Band den Durchbruch zu schaffen. Als die Combo sich auflöst, trifft Dury die schöne Denise (Naomie Harris), die ihm neuen Halt im Leben gibt, und den jungen Musiker Chaz Jankel (Tom Hughes), der zu seinem kreativen Partner wird. Mit ihm nimmt er die Gründung einer neuen Band in Angriff. Durys Frau Betty (Olivia Williams) überlässt ihm unterdessen den gemeinsamen Sohn Baxter (Bill Milner) zur Aufsicht, um ihn an seine vernachlässigen Vaterpflichten zu erinnern. Einschübe erzählen dazu von Durys Beziehung zu seinem eigenen Vater (Ray Winstone) und von den Auseinandersetzungen mit dem Aufseher (Toby Jones) im Heim für behinderte Kinder.

    Sex and drugs and rock and roll

    Is all my brain and body need

    Sex and drugs and rock and roll

    Is very good indeed.

    Im Kino trat Regisseur Mat Whitecross bisher vor allem als Dokumentarist an der Seite von Michael Winterbottom in Erscheinung. Mit den gemeinsamen Filmen Road To Guantanmo und „The Shock Doctrine“ war das Duo jeweils bei der Berlinale zu Gast, und auch Whitecross' erster langer Spielfilm feiert nun seine Deutschlandpremiere dort. „Sex & Drugs & Rock & Roll“ führt den Filmemacher an seine künstlerischen Wurzeln zurück, denn über lange Jahre war Whitecross, der vor allem die Band Coldplay seit ihren Anfangstagen filmisch begleitet hat, als Musikvideoregisseur tätig. Auch seinen Ian-Dury-Film verwandelt er in den ersten Minuten in ein großes Musikvideo: Im Rhythmus eines Songs hüpft der Protagonist wild durch die Zeit, Whitecross lässt den exzentrischen Rockstar parallel auf dem Höhepunkt seiner Karriere auf der Bühne stehen und weit vor deren Beginn in seiner Wohnung proben, während ein Stockwerk höher seine Frau den gemeinsamen Sohn zur Welt bringt.

    Mit dem furiosen Beginn wird auch schon die inhaltliche Ausrichtung des Biopics vorgegeben, die Beziehung zwischen Vater und Sohn wird zum Sprungbrett in die Schilderung von Durys Leben und zugleich zu einem ihrer Kernthemen. Eine naheliegende Maßnahme, zieren Vater und Sohn doch gemeinsam das legendäre Cover von Durys bekanntester Platte „New Boots And Panties!!“. Zugleich nutzen Whitecross und Serkis den Bühnenauftritt zu Beginn, um auch den mit dem Musiker nicht vertrauten Kinobesuchern die Aura des Protagonisten nahezubringen. Dury ist – wie er auch selbst einmal bemerkt – kein Musiker, sondern ein Entertainer. Entsprechend sind seine Bühnenperformances großes Geschichtenerzählen. Geht es etwa um seine Krankheit, macht er daraus – verstärkt durch die visuelle Gestaltung von Whitecross – eine wirkungsvolle Horrorstory.

    Während sich Whitecross gerade in den ersten Minuten visuell austobt, wird seine Inszenierung mit Fortdauer des Films zurückhaltender. Witzige musikvideoähnliche Einschübe, wie zum Beispiel das „Einsammeln“ der neuen Band-Mitglieder als Autofahrt durch ein Comic-London, sind dann nur noch seltene Ausnahmen, der Ton des Films wird insgesamt deutlich ernster - phasenweise fast depressiv. Die Vater-Sohn-Beziehung bekommt eine zusätzliche Ebene durch die Rückblenden in Durys eigene Kindheit. Hier werden ausgebleichte Farben genutzt und die Erzählung schreitet gemächlicher voran, was durch eine deutlich bewegungsärmere Kamera noch stärker spürbar gemacht wird. Leider verliert der Film mit diesen ruhigeren Einschüben bisweilen auch etwas von seinem grandiosen inszenatorischen Zauber, der ihm lange Zeit innewohnt und der sich im Finale noch einmal auf das Schönste entfaltet. In Durys impulsiven Song „Spasticus Autisticus“, einer offensiven Thematisierung seiner Krankheit, steigt dann sogar Spartacus Kirk Douglas persönlich ein und donnert: „I'm Spasticus!“.

    Getragen wird der Film von seinem großartigen Hauptdarsteller. Wer „Gollum“ in der Herr der Ringe-Trilogie spielen konnte und den Riesenaffen King Kong mit seiner Mimik versorgte, für den gibt es wohl nur noch eine Herausforderung: Ian Dury. Und Andy Serkis, der alle Lieder selbst eingesungen hat, meistert seine erste große Kinohauptrolle bravurös. Exzellent wechselt er zwischen Durys aufreibenden Bühnenperformances und seinem Alltag, in dem er aufgrund seiner Behinderung ohne fremde Hilfe kaum aus dem Bett aufstehen kann. Kein Wunder, dass Serkis neben den Oscar-Nominierten Jeff Bridges, George Clooney, Jeremy Renner und Colin Firth bei den BAFTA-Awards als bester Hauptdarsteller zur Wahl steht. Auf den Goldjungen selbst hatte er zumindest 2010 keine Chance, da der Film bislang nicht, wie es das Academy-Regular vorschreibt, in US-Kinos lief.

    Alle anderen Darsteller bleiben bei einer solch dominanten Hauptfigur fast schon naturgemäß weitgehend im Hintergrund und haben jeweils nur einzelne Szenen, um auf sich aufmerksam zu machen. Naomie Harris (Ninja Assassin, Miami Vice) sieht hauptsächlich gut aus, darf aber in einigen Streitszenen aufdrehen. Olivia Williams (Postman, An Education) schafft es mit wenigen Auftritten, bleibenden Eindruck zu hinterlassen, während Ray Winstone (Auftrag Rache, Sexy Beast) hauptsächlich wegen seines Namens mitmachen darf. Ein besonderes Lob muss man allerdings einem Jungstar zollen: Bill Milner (Der Sohn von Rambow) spielt die einzige Figur, die auf Augenhöhe mit Serkis‘ Dury platziert wird, und meistert diese Herausforderung eindrucksvoll. Präzise zeichnet er die Entwicklung des Charakters vom duckmäuserischen Schüler zum rebellierenden Teenager nach und wird zur Identifikationsfigur für den Zuschauer.

    I'm spasticus autisticus

    I dribble when I nibble

    And I quibble when I scribble

    Fazit: Mat Whitecross fängt Ian Durys unglaubliche Bühnenpräsenz mit der Kamera ein und schafft es über die Schilderung der Vater-Sohn-Beziehung auch einen Einblick in das bewegte (Privat-)Leben des Rockstars zu bieten. Dass er in den ernsteren Momenten dabei nicht ganz die Qualität des Musikteils halten kann, ist nur ein kleiner Einwand und sei dem Debütanten gerne verziehen.

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