Die Haut schirmt den Menschen von seiner Außenwelt ab. Über sie definiert sich die haptische Grenze zwischen Ich und Umwelt: Eine besonders „dicke“ oder „dünne“ Haut umschreibt die Position, die ein Mensch gegenüber seinen Mitmenschen einnimmt und damit auch sein Selbstverständnis. Man kann sich nicht wohl in seiner Haut fühlen, aus derselben fahren oder feststellen, dass man nicht in der Haut eines Anderen stecken möchte: Die Haut macht Identität zwar nicht sichtbar oder greifbar, verweist aber auf sie – vor allem als künstlerisches Motiv. Das Arthouse-Drama „Can Go Through Skin“ von Esther Rots trägt die Haut und deren Grenzfunktion schon im Titel – eine Spur, der man folgen sollte.
Marieke (Rifka Lodeizen), Anfang 30, hat eine Trennung hinter sich. Das erfährt der Zuschauer elliptisch durch kurze Szenen in ihrer Amsterdamer Wohnung und angerissene Telefonate, die sie mit Bekannten führt. Zurückgezogen in ihre eigenen vier Wände, immer ein Glas Rotwein in der Hand, verarbeitet sie die Krise. Völlig unvermittelt gelangt ein Einbrecher in die Wohnung und misshandelt Marieke, die gerade noch so entkommen kann, bevor das Äußerste geschieht. Die junge Frau zieht aufs Land, um das Trauma zu überwinden. Doch auch dort verfolgen sie Angstzustände, Panikanfälle und Paranoia…
Es ist bezeichnend, dass der Gewalttäter Marieke ausgerechnet in ihrer eigenen Wohnung überfällt – und es ist sicher kein Zufall, dass er das gerade dann tut, als Marieke nackt im Badezimmer ist. Denn auch die Wände der eigenen Wohnung sind eine Art Schutzhaut, die von der Außenwelt abschirmen: Fenster und die Wohnungstür verweisen zwar auf das Draußen, für gewöhnlich befinden sich aber keine Fremden in der privaten Wohnung, wenn man sie nicht eingelassen hat. Ein gewalttätiger Überfall im eigenen Wohnraum – wo man einen solchen am wenigsten erwartet – ist daher umso brutaler. Durch die geschickte Inszenierung der Eingangssequenz, die vom ersten Bild an eine Alltäglichkeit und Normalität aufbaut, überträgt Esther Rots den Schock ihrer Protagonistin direkt auf den Zuschauer und macht die nachhaltige Verunsicherung Mariekes über die gesamte Spieldauer plausibel.
Im weiteren Verlauf ist „Can Go Through Skin“ eine psychologische, die Perspektive der Hauptfigur antizipierende Fallstudie. Esther Rots spürt der Frage nach, wie ein Mensch, der das Opfer einer Gewalttat wurde, sich anderen Menschen wieder öffnen und Vertrauen zu diesen gewinnen kann. Eine zentrale Rolle spielt dabei Mariekes fürsorglicher Nachbar John (Wim Opbrouck), dem sich die junge Frau nur zögerlich und vorsichtig nähert.
„Can Go Through Skin“ arbeitet vornehmlich mit symbolischen Bildern, um den Rückzug der Hautfigur in ihr Inneres zu kommunizieren: Wenn Marieke etwa die Fenster ihrer neuen Landhauswohnung abklebt oder ihre Eingangstür von innen gegen Einbruch sichert, sind das deutliche Zeichen für ihre Abkehr von anderen. Als zentrales Motiv dient der Regisseurin in diesem Kontext auch die Haut ihrer Protagonistin, die wiederholt als Ausdruck der inneren Unsicherheit inszeniert wird.
Rifka Lodeizen tritt in den meisten Szenen des Films alleine auf und schafft es dennoch, die oft hochgradig symbolischen Bilder und Momente in die Erzählung einzubetten. Leider ist die Inszenierung von „Can Go Through Skin“ mitunter sehr zerdehnt: Eine straffere und konzentriertere Erzählhaltung hätte dem Drama besser zu Gesicht gestanden, das in der jetzigen Form zwischen theoretischer Analyse und dokumentarischer Alltagsbeschreibung mäandert – eine Mischung, die nicht in jeder Sequenz aufgeht und sich teilweise selbst blockiert.
Dennoch ist es erfreulich, dass Esther Rots' Film, der im Forum der Berlinale 2009 seine Premiere feierte, nun dem Berliner Publikum noch einmal zugänglich gemacht wird. Die Auseinandersetzung mit den psychischen Folgen eines Gewaltverbrechens ist ein lohnendes Thema, dem in der öffentlichen Wahrnehmung nicht oft Raum geboten wird.