Mit „Ghosted“ ist Regisseurin Monika Treut ein faszinierendes Kinostück gelungen. Die auf der Berlinale 2009 im Panorama uraufgeführte deutsch-taiwanesische Co-Produktion vernetzt westliche und asiatische Motive auf eine doppelbödige Art und bleibt dennoch sehr nah bei den Figuren. Die sichere und auf jeglichen Firlefanz verzichtende Inszenierung von Monika Treut („Den Tigerfrauen wachsen Flügel“), die schnörkellos ästhetischen Bilder von Kameramann Bernd Meiners (Verfolgt) und die bis in kleine Nebenrollen wunderbare Besetzung arbeiten passgenau ineinander. Der Regisseurin gelingt es, die oft verhandelten Themenkomplexe Erinnern und Vergessen, Liebe und Tod, Wahrheit und Fiktion, Vergangenheit und Gegenwart auf eine neue, innovative Weise anzugehen und damit einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Die in Hamburg lebende Videokünstlerin Sophie Schmitt (Inga Busch) präsentiert bei einer Vernissage in Taipeh eine Installation, die aus DV-Aufnahmen ihrer verstorbenen Geliebten Ai-Ling (Huan-Ru Ke) besteht. Schnell wird klar, dass Sophie den Tod ihrer Freundin noch lange nicht überwunden hat. Die Journalistin Mei-li (Ting-Ting Hu) will mehr über die Umstände des tragischen Todes erfahren und bittet Sophie um ein Interview. In Rückblenden erzählt der Film von der zarten Liebe zwischen Sophie und Ai-Ling, die in Hamburg ihren Anfang nahm. Es sind aber keine einfachen Rückblenden, Treut montiert die verschiedenen Zeitebenen und die beiden Handlungsorte Hamburg und Taipeh geschickt und sich unentwegt kommentierend ineinander. Nach und nach bekommen die Ereignisse einen zunehmend mysteriöseren Touch. Ist Ai-Lings Geist noch im Diesseits oder bildet sich Sophie die zunehmend merkwürdigen Geschehnisse alle nur ein?
Was sich womöglich wie eine Geistergeschichte aus dem Fundus des neueren asiatischen Horrorfilms liest, ist in Wirklichkeit eine filmische Abhandlung über das Erinnern und über den Schmerz, den der Verlust eines geliebten Menschen verursacht. Die Medien der Erinnerung sind in „Ghosted“ die Fotografien und Videoaufnahmen, die Sophie von ihrer Geliebten gemacht hat. In den bewegten und unbewegten Bildern manifestieren sich die „Geister der Vergangenheit“. Für den Zuschauer wird die vergangene Romanze durch die Rückblenden präsent, die durch ein unscharf werdendes Bild in ganz klassischer Kinomanier als Sophies Erinnerungen gekennzeichnet sind. Es ist eben kein Zufall, dass sich Sophie und Ai-Ling bei einer Kinovorführung im Hamburger Metropolis-Kino kennenlernen, ist ein Feld von „Ghosted“ doch die geschickt in den Plot eingewobene Selbstreverenz.
Markant für „Ghosted“ ist, dass er auch formal zwischen westlicher und asiatischer Kultur mäandert. Parallel zur Handlung schwebt er auch hier irgendwo „dazwischen“. In der erwähnten Kinovorstellung wird ein Film des taiwanesischen Regisseurs Hou Hsiao-hsien („Millennium Mambo“) gezeigt, an dessen nüchternen, alltagsnahen Stil Monika Treut sich bisweilen anlehnt. Aber nicht nur auf der ästhetischen Ebene spielen asiatische Einflüsse eine Rolle. „Ghosted“ verbindet auf eine erfrischend moderne Art zwei traditionelle Motive: das europäische Doppelgängermotiv und asiatische, beziehungsweise taiwanesische Geistermythen. Gerade Frauen kehren in der asiatischen Vorstellung oft als Geister auf die Erde zurück, ein Mythos, der sich in unzähligen Filmen aus Fernost, von A Chinese Ghost Story bis zu den zeitgenössischen Gruselfilmen, niedergeschlagen hat. Monika Treut adaptiert diese Tradition nun mit einem westlichen Blick. Die auf Schockeffekte oder vordergründige Gruseleffekte gänzlich verzichtende Geistergeschichte verlässt sich dabei auf Bilder, die laut Treut selbst eine „zweite Ebene hinter den Bildern“ erzeugen und so das Motiv der (möglichen) Wiederkehr der Toten mal mehr, mal weniger subtil etablieren. Sophies Fotografien und Aufnahmen spielen hier eine Rolle, genau wie zahlreiche andere Motive des Dazwischen-Seins. Zum Beispiel Sophies leere Wohnung, die sie ohnehin nur als Zwischenmieterin bewohnt und nach dem Tod ihrer Freundin aufgegeben hat: An der Klingel steht noch ihr Name, der Raum aber ist längst verlassen.
„Vielleicht existiere ich nur in der Vorstellung eines anderen Menschen“, heißt es im Film. Hier klingt Rimbauds Ausspruch „Ich ist ein Anderer“ mit und genauso die psychoanalytische Blicktheorie von Jaques Lacan (Spiegelstadium). Dementsprechend gibt es in „Ghosted“ auch viele Aufnahmen von Blicken und Spiegeln. Vielleicht existiert der Geist Ai-Lings tatsächlich nur in Sophies Vorstellung, vielleicht projiziert sie die vermeintliche Doppelgänger- oder Wiedergängerfunktion der Journalistin nur auf diese. Was auf der Plotebene des Films Fiktion und was Wahrheit ist, lässt sich selbst am Ende nicht genau sagen. Das Geistermotiv ist letztlich eine geschickt arrangierte Metapher für Sophies Trennungsschmerz, der sich nach dem Verlust der Geliebten in Erinnerungen festsetzt. Und auf eine ebensolche Weise setzen sich die Figuren des Films nach dem Abspann in der Erinnerung des Zuschauers fest. Somit ist „Ghosted“ nicht nur eine vielschichtige, doppelt codierte Parabel über den tragischen Verlust eines geliebten Menschen, sondern vor allem auch ein Film über sich selbst und das Kino als Ganzes.