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    Verdammnis
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Verdammnis
    Von Björn Becher

    Im Zentrum der Verfilmung von Stieg Larssons Besteller Verblendung steht auf den ersten Blick der aufrechte, gerechtigkeitsfanatische Journalist Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist), der zur Aufklärung eines lange zurückliegenden Mordes engagiert wird. Unterstützung erfährt er im Fortlauf der Handlung von der Hackerin Lisbeth Salander (Noomi Rapace), die formell nur die zweite Geige spielt. In Wahrheit ist aber sie der heimliche Star des Films. In den Sequels „Verdammnis“ und Vergebung, die eine zusammenhängende Story erzählen, rückt sie nun noch stärker in den Mittelpunkt. Nicht umsonst wird Noomi Rapace auch bei den Opening Credits an erster Stelle geführt. Allerdings weiß der erfahrene TV- und Kinoregisseur Daniel Alfredson mit ihr weniger anzufangen als sein Vorgänger Niels Arden Oplev. Denn obwohl die Story von „Verdammnis“ deutlich interessanter und spannender als die von „Verblendung“ ist, beschränken sich seine visuellen Ideen lange Zeit auf die Bewunderung seiner weiblichen Hauptfigur.

    Das „Millennium“-Magazin von Star-Journalist Mikael Blomkvist bekommt eine brandheiße Story angeboten. Der junge Reporter Dag Svensson (Hans Christian Thulin) hat eine Reportage über Prostitution und Mädchenhandel geschrieben, die Verbindungen in illustre Kreise aufdeckt. Doch dann werden Dag und seine Freundin Mia (Jenny Silfverhjelm) erschossen aufgefunden. Die Tatwaffe führt die Polizei zu einem weiteren Mordopfer: dem Anwalt Nils Bjurman (Peter Andersson), der Vormund von Lisbeth Salander. Deren Fingerabdrücke sind auf der Waffe und so liegt für Polizei und Öffentlichkeit die Lösung des Falls sofort auf der Hand: Lisbeth Salander ist eine Dreifachmörderin. Blomkvist ist hingegen davon überzeugt, dass die untergetauchte Verdächtige unschuldig ist - er begibt sich auf Spurensuche. Die smarte Hackerin mit dem fotographischen Gedächtnis, dem flippigen Auftreten und mittlerweile einigen per Online-Betrug erschlichen Millionen auf dem Bankkonto nimmt ihr Schicksal derweil allerdings gewohnt unnachgiebig selbst in die Hand…

    Die Roman-Trilogie des viel zu früh verstorbenen Autors Stieg Larsson zieht die Spannungsschraube immer weiter an. So erwies sich der eigentliche Kriminalfall bei „Verblendung“ noch als recht standardisiert - zwar spannend, aber ganz sicher nicht der große Reißer. Es sind die Charaktere, die den Leser/Kinobesucher so sehr fesseln. Sie sind ganz und gar nicht alltäglich und entblättern ihre Facetten nur langsam. In den Nachfolgern rücken die Figuren nun noch stärker in den Mittelpunkt und die Thriller-Handlung ist ganz eng mit ihrem Privatleben verknüpft. Das hat zur Folge, dass der Krimi-Plot in den Romanen noch um ein Vielfaches intensiver wirkt als im Vorgänger. Doch im Film schlägt sich dieses Plus nur partiell nieder. Daniel Alfredson, der die Regie von Niels Arden Oplev übernommen hat, fällt visuell einfach nicht allzu viel ein. Oplevs Bilder bewiesen Kinoqualität. In „Verblendung“ wurde geschickt mit Montagen und Zooms gearbeitet und so eine eindrucksvolle Atmosphäre erzeugt. Bei Alfredson sieht das Ganze nun visuell teilweise nach einem durchschnittlichen TV-Krimi aus. Vor allem in der ersten halben Stunde macht sich das negativ bemerkbar. Das einzige Stilmittel, das Alfredson in dieser Zeit ausdauernd nutzt, sind Close-Ups. Negativer Höhepunkt ist eine Gesprächsrunde in der Redaktion von „Millennium“, bei der einfach nur sprechende Köpfe abgefilmt werden.

    Der Regisseur zeigt offen Bewunderung für seine Hauptfigur. Immer wieder bleibt die Kamera einen Moment länger an Noomi Rapace hängen, als es eigentlich nötig wäre. Und ausgerechnet dank dieser unverhohlenen Huldigung fängt sich die Inszenierung nach und nach. Wenn er Rapace ins Bild rückt, fällt Alfredson plötzlich auch etwas ein. Höhepunkte sind eine ultracoole Motorradfahrt, nachdem Lisbeth kurz zuvor zwei harte Rocker auseinandergenommen hat, sowie eine kurze Aufnahme der ruhenden Lisbeth, die sich auf ihre Achselhaare fokussiert. Hier wird das Grundthema von Larssons Roman-Trilogie „Männer, die Frauen hassen und eine Frau, die erbarmungslos zurückschlägt“ noch einmal deutlich. Ein sehr gelungener Moment ist auch der Kampf des Ex-Kickbox-Meisters Paolo Roberto, der sich selbst spielt, gegen den deutschen Hünen Roland Niedermann (Micke Spreitz). Alfredson schafft es hier innerhalb weniger Einstellungen, dem Publikum die ganze Gegensätzlichkeit der Kontrahenten vor Augen zu führen. Ein flinker, technisch versierter Profi, der Treffer um Treffer landet, gegen einen Riesen, der sich nicht richtig bewegen kann, aber regungslos jeden Schlag einsteckt. Mit dieser Szene schafft Alfredson eine Faszination für diesen blonden, grobschlächtigen Antagonisten, der für die Handlung von „Verdammnis“ und „Vergebung“ so wichtig ist.

    Über die Story sollte nicht allzu viel verraten werden. Drehbuchautor Jonas Frykberg stand vor dem ungeheuren Problem, dass der zweite Roman sogar noch komplexer und umfangreicher ist als sein Vorgänger. War die Anzahl der Figuren in „Verblendung“ absolut überschaubar, gibt es im zweiten Teil nun eine Vielzahl neuer Personen mit eigenen Erzählsträngen und –perspektiven. Frykberg blieb für eine Verfilmung keine andere Möglichkeit, als hier radikal den Rotstift anzusetzen. So ist fast die komplette Exposition des Romans den Kürzungen zum Opfer gefallen. Zudem bleibt die Ermittlungsarbeit der Polizei samt Hetzjagd durch die Presse nur eine Randnotiz, in die der Zuschauer kaum involviert wird. Abstriche - so ist Lisbeth für den Zuschauer im Film von Anfang an unschuldig, während im Buch doch kleinere Zweifel aufkommen – müssen deshalb zwar in Kauf genommen werden, aber trotzdem ist Frykberg die unabdingbare Verschlankung im Großen und Ganzen gut gelungen. Die zahlreichen auftretenden Figuren sind so platziert, dass sie den Neuzuschauer zwar nicht überfordern, aber mit geschicktem Name-Dropping und kleinen Hinweisen auch dem vertrauten Larsson-Leser ein wissendes Schmunzeln entlocken.

    Noomi Rapace ist nun endgültig - ohne Wenn und Aber - Lisbeth Salander. Sie strotzt nur so vor Coolness – egal ob sie nun lässig am Fenster Zigarette raucht (die Nouvelle Vague lässt grüßen) oder im Finale zum unzerstörbaren Racheengel mutiert (inklusive doppeltem Kill Bill-Zitat). Als einer von vielen Verweisen auf das italienische, besonders frauenfeindliche Slasher-Genre „Giallo“ in der Vorlage von Larsson (man beachte auch die internationalen Titel des zweiten und dritten Buches: „The Girl Who Played With Fire“ und „The Girl Who Kicked The Hornet‘s Nest“) ist auch Lisbeth Sander irgendwie over-the-top. Doch Rapace erdet die Performance zumindest soweit, dass die Figur dennoch zu einem realistischen Superhelden wird: eine Frau, die den Hass der Männern auf diese zurücküberträgt und nun alles, was sie selbst erleiden musste, mit doppelter Münze heimzahlt. Sie ist die klar dominierende Figur des Films, der aufrechte Journalist Blomkvist kaum noch mehr als ein Zuträger. Wie schon im ersten Film schlägt Lisbeth Sander – ähnlich vielen Heroinen des Exploitation-Kinos der 70er Jahre – erbarmungslos gegen Vergewaltiger (egal ob physischer oder psychischer Natur) zurück.

    Fazit: Obwohl „Verdammnis“ schon ab dem Einsatz des vom Vorgänger bekannten Musikthemas fesselt, reicht er nicht ganz an „Verblendung“ heran. Die deutlich spannendere Thriller-Geschichte verliert sich einfach zu stark in der weniger inspirierten visuellen Umsetzung. Da kann Noomi Rapace noch so hervorragend als Kick-Ass-Amazone auftrumpfen.

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