Auf den ersten Blick gibt es kaum etwas, das weiter voneinander entfernt scheint als wilde Schwertkampfaction und das minimalistische, kontemplative Kino des taiwanesischen Arthouse-Regisseurs Hou Hsiao-Hsien. Und doch hat dessen Ankündigung, einen Martial-Arts-Film zu drehen, viele Cinephile geradezu elektrisiert. Nun wurde Hous Kampfkunst-Drama „The Assassin“ beim Filmfestival von Cannes 2015 uraufgeführt und der Meisterregisseur von Werken wie „Die Stadt der Traurigkeit“, „Meister des Puppenspiels“ oder „Millennium Mambo“ erfüllt die hohen Erwartungen im gleichen Maße wie er sie unterläuft, wofür er an der Croisette mit dem Preis für die Beste Regie ausgezeichnet wurde. Nach acht Jahren Kinopause legt er einen hypnotischen Film von unwirklicher Schönheit vor, in dem es trotz einer extrem komplizierten, von vergleichsweise bodenständigen, aber dennoch brillanten Actionszenen punktierten Geschichte vor allem um die Melancholie einer vergeblichen Liebe geht.
China, im neunten Jahrhundert. Nach Jahren des Trainings kehrt Nie Yinniang (Shu Qi, „The Transporter“) als perfekt ausgebildete Attentäterin in ihre Heimat zurück. Sie soll den Gouverneur Tian Jian (Chang Chen, „Red Cliff“) töten, doch sie zögert, denn ihr potentielles Opfer ist kein Fremder – ganz im Gegenteil: Tian ist Nies große Liebe. Das Paar hätte sogar fast geheiratet, doch politische Intrigen am Hof verhinderten die Ehe. Nun steht die junge Frau vor einer tragischen Entscheidung: Entweder sie unterwirft sich dem Ehrenkodex der Berufsattentäterin und tötet den Mann, den sie liebt, oder sie folgt der Stimme ihres Herzens und wagt das Unerhörte…
Was in dieser knappen Zusammenfassung recht überschaubar klingt, ist tatsächlich deutlich verwickelter: In langen Monologen werden verschlungene höfische Intrigen ausgebreitet und wer mit der langen chinesischen Geschichte nicht im Detail vertraut ist, der kann schnell mal die Übersicht verlieren. Aber das ist nicht weiter schlimm. Die wesentlichen Figurenkonstellationen und Grundkonflikte sind ganz klar und so spricht die Tragik ihrer Aufgabe in jedem Moment aus Shu Qis Gesicht. Was ihre Nie antreibt, wird in der Schlüsselszene des Films exemplarisch deutlich: In der ist Lady Tian (Zhou Yun) zu sehen, die Frau, die Tian schließlich den äußeren Zwängen gehorchend geheiratet hat. Sie war es, die Nie einst die Legende eines Rotkehlchens erzählte, das nur in Anwesenheit von Seinesgleichen singen wollte. Die Pointe: Man setzte den Vogel vor einen Spiegel und er sang wieder.
Ohne die zugleich offensichtliche und geheimnisvolle Metapher überstrapazieren zu wollen, sticht die Rotkehlchen-Sequenz aus mehreren Gründen hervor: Die Szene hat Regisseur Hou Hsiao-Hsien seinen Kameramann Ping Bin Lee („Renoir“, „Millennium Mambo“) als einzige in „The Assassin“ auf klassischem analogen Filmmaterial und im Bildformat 1,85:1 drehen lassen, während der Rest des Films vollständig mit hochauflösenden Digitalkameras in deutlich schmaleren Seitenverhältnissen bis hin zum traditionellen 1,33:1 aufgenommen wurde. So wird hier nicht nur eine besondere Nähe zwischen den beiden Frauen angedeutet, die sich nicht zuletzt in ihrer Liebe zu Tian zeigt, sondern auch das Spannungsfeld zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Freiheit und Zwang, Selbstbewusstsein und Selbstverleugnung poetisch umrissen.
Wie Blitze schlagen diese kurzen Momente in die Welt des Films ein, als sollte die Ordnung der Dinge aus den Fugen gehoben werden. Die zeigt sich indes vor allem in der Natur, die in farbgesättigte, unfassbar schöne Bilder gefasst wird. Zwar stehen die ebenfalls atemberaubenden Aufnahmen in den Innenräumen des Palasts mit den sanft wehenden Tüchern und den flackernden Lichtern den Naturszenen ästhetisch kaum nach, ein Kontrast ist dennoch unübersehbar. Denn im Schatten der Mauern werden Ränke geschmiedet und Komplotte verabredet: Die Konflikte der Menschen und die Regeln der Zivilisation zerstören die Natur und auch die reine Liebe hat keine Chance mehr. Wie diese scheitert, aber am Ende doch über die Gewalt siegt, davon erzählt Hou Hsiao-Hsien in seinem meisterlichen Film und macht ihn so zu einem auch emotional überwältigenden Kinoerlebnis.
Fazit: In seinem wunderschön fotografierten, subtilen und vielschichtigen Film „The Assassin“ erzählt der taiwanesische Regisseur Hou Hsiao-Hsien unter der Oberfläche einer historischen Martial-Arts-Geschichte von der Tragik einer unerfüllten Liebe.