Wenn ein Film das Zehnfache seiner Kosten einspielt, ist der Produzenten-Reflex, dem Kinovolk umgehend Nachschlag zu verabreichen, nur schwer unterdrückbar - selbst wenn es keinen offensichtlichen inhaltlichen Grund gibt, weiterzumachen. Aber bei Bedarf findet sich immer ein Vorwand für eine Fortsetzung. Auch das umtriebige Multitalent Luc Besson („Transporter", „Arthur und die Minimoys") hat sich dabei schon mehrfach hervorgetan und ist nicht verlegen darum, den kultigen Rache-Thriller „96 Hours" mit einem einfachen Kniff in die zweite Runde zu schicken: Ein-Mann-Orkan Liam Neeson wütet für das Sequel nun nicht mehr durch Paris, sondern durch Istanbul und füllt erneut eine ganze Familienpackung Leichensäcke mit finsteren albanischen Schergen, die sich unvorsichtigerweise mit dem (über)fürsorglichen Vater/Ex-Mann anlegen. Es gibt also mehr vom Gleichen, nur vor anderer Kulisse - und unter neuer Regie. Bei „96 Hours - Taken 2" übernimmt Olivier Megaton („Colombiana", „Transporter 3") den Job von seinem französischen Landsmann Pierre Morel, er setzt konsequenterweise auch neue Akzente, die aber letztlich vor allem zu mehr Konventionalität führen.
Nachdem der Ex-CIA-Agent Bryan Mills (Liam Neeson) seine einzige Tochter Kim (Maggie Grace) jahrelang schwer vernachlässigt hatte, beweist er sich als schussgewaltiger und eisenharter Beschützer, der die entführte junge Frau im Alleingang aus den Klauen einer Albaner-Bande in Paris befreit. In Los Angeles versuchen Bryan, seine Ex-Frau Lenore (Famke Janssen) und Kim wieder ein normales Leben zu führen, in dem die Tochter allerdings ihren neuen Freund (Luke Grimes) vor Daddy verstecken muss – aus Angst, er würde ihn nach alten CIA-Methoden durchleuchten. Währenddessen braut sich in einem kleinen Dorf in Albanien Unheil zusammen, als Murad (Rade Serbedzija) den Plan ausheckt, diesen Bryan Mills, der nicht nur seinen Sohn, sondern auch mehr als zwei Dutzend ihrer Landsleute getötet hat, zur Strecke zu bringen. Mehr noch: Mills soll vor seinem Tod richtig leiden. Bei einem Einsatz als Personenschützer in Istanbul erwischt es den Vollprofi eiskalt: Als Lenore und Kim ihn in der türkischen Metropole besuchen, werden der Ex-Agent und seine Ex-Frau von Murads Handlangern festgesetzt. Ihre einzige Hoffnung ist Tochter Kim, die sich mit Vaters Waffenkoffer unter dem Arm auf die Suche nach ihren Eltern macht.
Realistisch betrachtet hatte Produzent und Drehbuchautor Luc Besson angesichts des ersten Teils keine Chance, eine inhaltlich halbwegs zwingende und plausible Ausgangsidee für „96 Hours - Taken 2" zu finden. Aber irgendwie hat es der einfallsreiche Franzose dennoch geschafft, Hauptdarsteller Liam Neeson davon zu überzeugen, noch einmal als schlagkräftiger Vater gnadenlos durch die Unterwelt zu pflügen. Die Prämisse, die sich Besson dafür aus den Fingern gesogen hat, ist zumindest auf einer emotionalen Ebene nachvollziehbar, wieder geht es um Rache: Im Kreise der Kriminellen im ländlichen Albanien ist man mächtig sauer, schließlich hat Bryan Mills eine ganze Reihe ihrer Kumpane abserviert - nun soll der Amerikaner für seine (Blut-)Taten bezahlen. Sind Mills und seine Ex-Frau erst einmal entführt, geht es Schlag auf Schlag und der Tanz kann beginnen.
Das Aufmotzen des Budgets von 25 Millionen Dollar beim ersten Film auf 45 Millionen für die Fortsetzung kommt Olivier Megaton entgegen. „96 Hours - Taken 2" ist im Hochglanzstil inszeniert und auf Tempo geschnitten. Darin ist der Film anderen Werken des Regisseurs wie „Transporter 3" oder „Colombiana" näher als „96 Hours". Was Megaton hier macht, ist hübsch anzuschauen, aber inhaltlich bleibt er weit konventioneller als Pierre Morel, der sich beim Original viele Freiheiten gegenüber dem Genre-Mainstream nahm und ohne Rücksicht auf Verluste ein kleines, gemeines Thriller-Inferno entfachte. Aber dieser Wille zur fiesen kleinen Grenzüberschreitung fehlt Megaton: Der Berserker Bryan Mills fuhrwerkt diesmal mit leicht gebremstem Schaum durch die Gegnerschar, die sich ihm in den Weg stellt.
Die Zutaten sind nach wie vor die gleichen: Die Action ist weiterhin spektakulär, es wird immer noch ein Expresstempo angeschlagen, das Geben und Nehmen von Schlägen und Tritten hat auch diesmal einen guten Rhythmus und Liam Neeson („Schindlers Liste", „Unknown Identity") beherrscht als rabiater Rachebolzen erneut die Szenerie. Dazu kommt der neue Schauplatz Istanbul, der hier wunderbar exotisch und zugleich modern erscheint - ganz wie die Megacity am Bosporus selbst. Doch bei all dem geht formale Perfektion über erzählerische Präzision. Wenn Megaton plötzlich explizit die Moralfrage stellt, die bisher im mordlüsternen „Taken"-Universum nur sehr periphere Bedeutung hatte, und dann aber mit einem Handstreich sämtliche Handlungen seines Protagonisten legitimiert, dann wirkt das mindestens halbherzig, wenn nicht fragwürdig. Zunächst deutet er moralische Untiefen auf beiden Seiten an, doch letztlich entscheidet sich Megaton für eine regelrechte Dämonisierung der Albaner. Die provokant-archaische Eindeutigkeit des ersten Teils wirkte da deutlich überzeugender.
Der Versuch, dem Action-Feuerwerk thematische Doppelbödigkeit zu verleihen, mag scheitern, aber das mindert das Vergnügen nicht entscheidend. Neeson beweist sich erneut als Action-Star mit einmaliger Aura und bringt als ehemaliger CIA-Ausputzer die Leinwand wieder einmal fast zum Bersten, er kämpft und schießt sich mit größter Selbstverständlichkeit den Weg frei. Richtig Laune macht „96 Hours - Taken 2" vor allem, wenn Megaton ungewöhnliche, etwas verrückte Ideen einstreut. Da weist dann etwa der entführte Mills seine Tochter Kim via Mobiltelefon an, ein paar Granaten aus seinem Spezialköfferchen zu holen und diese in gleichmäßigen Zeitabständen zu zünden, damit er über die Entfernung der einzelnen Explosionsgeräusche eine Ortung vornehmen und seinem Nachwuchs den Weg weisen kann. Das ist wunderbar absurd und bereitet diebischen Spaß.
Fazit: „96 Hours - Taken 2" ist ein solider Action-Thriller, der durch das im Vergleich zum Original weit höhere Budget optisch ausgereifter wirkt, aber dafür fehlt der Hochglanz-Fortsetzung auch weitgehend der raue Charme und die infernalische Wucht des Vorgängers.