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    I Can't Think Straight
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    I Can't Think Straight
    Von Sascha Westphal

    Der Aktivist und Politiker Harvey Milk hatte einen großen Traum. Er wollte, dass sich alle Homosexuellen ihren Familien, ihren Arbeitskollegen und ihren Bekannten gegenüber outen. Dahinter stand die Hoffnung, dass die heterosexuelle Mehrheit diese verfemte und verfolgte Minderheit mit ganz anderen Augen sehen wird, sobald sie auch nur einen aus deren Mitte persönlich kennt. Nichts ist leichter, als das zu hassen, was fremd und unbekannt ist. Doch die Situation ändert sich, wenn der Andere plötzlich ein bekanntes Gesicht bekommt. Das war zumindest Harvey Milks idealistische Idee. Die Wirklichkeit dürfte für viele Homosexuelle ganz anders ausgesehen haben und auch immer noch aussehen. Trotzdem hat Milks Vertrauen darauf, dass die Menschen im tiefsten Grund ihres Wesens doch viel offener und toleranter sind, als sie es vielleicht glauben, bis heute nichts von seiner Strahlkraft verloren. Eine, die seine Hoffnung und seinen Glauben an das Gute im Menschen teilt, ist die Schriftstellerin und Filmemacherin Shamim Sarif. Ihr Spielfilmdebüt „I Can’t Think Straight“, eine charmante romantische Komödie um zwei junge muslimische Frauen, die sich unsterblich ineinander verlieben, feiert noch einmal das beherzte Coming-out im Kreis der Familie als fast schon revolutionären Akt. Nur die Wahrheit kann die Welt verändern ... eine Familie nach der anderen. Das ist Shamim Sarifs überaus sympathische Botschaft.

    Die junge Jordanierin Tala (Lisa Ray, Water, „Bollywood Hollywood“) ist die Tochter einer der reichsten und mächtigsten Familien in Amman. Ihre Eltern behandeln sie wie eine Prinzessin. Doch gerade das gefällt ihr gar nicht. Statt einen Job im Imperium ihres Vaters anzunehmen, hat sie sich lieber selbst eine Firma aufgebaut, die nun kurz vor ihrem Durchbruch steht. Zudem hat sie schon drei Verlobungen mit vielversprechenden Männern aus der High Society Jordaniens hinter sich. Jedes Mal konnte sie einen guten Grund finden, den Betreffenden nicht zu heiraten. Doch nun scheint es endlich so weit zu sein. Hani (Daud Shah, James Bond 007 – Casino Royale), ihr vierter Verlobter, ist perfekt. Er arbeitet nicht nur im jordanischen Außenministerium für eine Verbesserung der Verhältnisse mit Israel, er verkörpert auch alles, was sich eine junge, selbstbewusste Muslimin nur wünschen kann. Doch dann begegnet sie wenige Wochen vor der Hochzeit in London der indischstämmigen Muslimin Leyla (Sheetal Sheth), die zwar noch in der Versicherungsagentur ihres Vaters arbeitet, aber davon träumt, Schriftstellerin zu werden. Sie fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Nur ist ihre Liebe in ihren Welten immer noch ein absolutes Tabu.

    Und genau dieses Tabu – für eine Muslimin ist es praktisch unmöglich, sich offen zu ihrer Homosexualität zu bekennen, zumindest wenn sie nicht das Risiko eingehen will, von ihrer Familie und ihrer sonstigen Umwelt verstoßen zu werden – gibt dieser an sich eher konventionellen „Coming-out“-Komödie eine extrem politische Dimension. Anders als in den meisten amerikanischen oder anderen westeuropäischen Beiträgen zu diesem Genre geht es in Shamim Sarifs Erstling für ihre beiden Protagonisten tatsächlich um alles. Natürlich ist es niemals leicht, zu seinen Eltern, seinen Geschwistern, seinen Freunden zu sagen: „Ich bin homosexuell“. Aber Leyla und Tala riskieren mit solch einem Bekenntnis, alles zu verlieren, was ihr Leben bis dahin ausmachte. Dabei ist es für Leyla, die in England lebt und sich trotz des ständigen Drängens ihrer Mutter nie besonders für ihre Religion interessiert hat, noch etwas einfacher.

    Insofern überrascht es auch nicht, dass Leyla als erste ihrer Familie die Wahrheit sagt. Tala kostet es noch weitaus mehr Überwindung, zu ihren wahren Gefühlen zu stehen. Im Prinzip folgt Shamim Sarif mit der Trennung der beiden Liebenden – Tala geht zurück nach Jordanien, um dort Hani zu heiraten – nur typischen Genrekonventionen. Vor dem Happy End im dritten Akt muss es naturgemäß erst einmal zu reichlich dramatischen Irrungen und Wirrungen kommen, die die Liebe der Helden auf eine große Probe stellen. Doch in diesem Fall macht eine derart standardisierte Dramaturgie tatsächlich Sinn – sie wirkt sogar höchst realistisch. Tala braucht einfach Zeit, um den Mut zu fassen, den sie braucht. Außerdem hilft es ihr natürlich, noch einmal zu sehen, wie unglücklich ihre ältere Schwester Lamia (Anya Lahiri, Goal! III) ist. Diese ist zwar nicht lesbisch, aber geliebt hat sie ihren Ehemann nie.

    Doch trotz des Zündstoffs, der in Talas und Leylas Geschichte steckt, hat Shamim Sarif auf eine vordergründige Politisierung dieser Liebesgeschichte verzichtet. Auf den ersten Blick unterscheidet sich ihre romantische Komödie von ihren Schauplätzen und ihren Figuren kaum von einer High-Society-Seifenoper. Man spielt Tennis und Polo, trifft sich in eleganten Restaurants, kauft in teuren Boutiquen und Flagship-Stores ein und jettet um die halbe Welt. Das Haus von Talas Eltern ist ein wahrer Palast. Und auch wenn Leyla von einem derartigen Reichtum nur träumen kann, existentielle Sorgen um ihr Leben und ihre Zukunft musste sie sich vor ihrer Begegnung mit Tala ganz sicher nicht machen. Dieses elegante Ambiente, das meist auch das moderne Bollywood-Kino prägt, nimmt Sarifs Debüt sicher etwas von seiner gesellschaftlichen Brisanz und rückt es damit in die Nähe eines klassischen Kino-Märchens. Schließlich macht ihre jeweilige gesellschaftliche und materielle Stellung es den beiden einfacher, ihrem Herzen zu folgen. Dazu passt dann auch, dass es ausgerechnet ihre Väter sind, die Talas und Leylas Homosexualität auf Anhieb akzeptieren. Geld und Status garantieren Freiheiten, die sonst viel schwerer zu erringen sind. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille.

    Genauso gut ließe sich sagen, dass Milieu und Ambiente, die Shamim Sarif gewählt hat, seien nichts als eine schöne Verpackung, die es ihr ermöglicht, Themen anzusprechen, um die zumindest anvisierten Teile des Publikums sonst einen Bogen machen würden. Ein bisschen irritierend ist die Selbstverständlichkeit, mit der Talas Mutter, Lamia und deren Mann gegen Israel und die Juden polemisieren schon – zumal all diese Gespräche an reichlich gedeckten Esstischen stattfinden. Die Konflikte zwischen Israel und der arabischen Welt sind hier kaum mehr als Stoff für rituelle Tischgespräche. Das mag verharmlosend erscheinen, hat aber auch etwas Befreiendes: So locker und unaufgeregt wie Tala und Hani mit ihren weitaus liberaleren Positionen den Status quo in Frage stellen, hat das regelrecht Vorbildcharakter. Shamim Sarif glaubt eben fest daran, dass Menschen wachsen und sich ändern können. Und diesen Glauben vertritt sie auf eine derart gewinnende Weise, dass sich ihm eigentlich niemand verschließen kann.

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