Das Geschäft ist hart. Der Kapitalismus „in Reinkultur“ ist skrupellos. Die Agenten des Geschäfts kennen kein Gewissen. Kommen die modernen Medien hinzu, wird der Schein zur Wirklichkeit und die Wirklichkeit des Geldverdienens scheint hinter Glanz & Gloria zu verschwinden. Einer dieser Agenten, ein Sportagent namens Jerry Maguire (Tom Cruise) steht ganz oben auf dem Treppchen, neben seiner Freundin Avery Bishop (Kelly Preston), die selbst beim Sex zu Höhenflügen à la Leistungssport neigt, und Bob Sugar (Jay Mohr), der Jerry fast alle Kunden sprich Sportler abjagt, als letzterer Zweifel an den Methoden des Geschäfts in einem „Wegweiser“ zu Papier bringt – betitelt „The Things We Think and Do Not Say: The Future of Our Business“ –, viel Szenenapplaus dafür erhält, aber kurz danach von seiner Firma gefeuert wird, weil er Moral und Emotion im Geschäft fordert.
Schon die visuelle Eröffnung des Spektakels deutet auf eine klammheimliche Liaison zwischen den tatsächlichen oder vermeintlichen, medial beherrschten Praktiken des Geschäfts – Sportlern lukrative Werbeverträge zu vermitteln – und jener Art von Hollywood-Kino, das ganz ähnlichen Regeln zu folgen scheint, einem Hollywood-Kino, durch das der Betrachter ganz in den Bann des visuellen Knüllers gezogen werden soll. Cruise Jerry Maguire gebärdet sich wie ein High-Tech-Multimedia-Marktschreier – und die anderen tun es ihm nach. Sein „Wegweiser“, von dem er selbst meint, er sei wohl ein bisschen gefühlsduselig geraten, verschafft dem Publikum den moralischen Aufhänger – man könnte auch sagen: den Kick –, um fortan an Maguires Seite zu zittern und zu hoffen, zu beten und zu fordern: Maguire ist der Held und das Publikum ist ihm ganz nahe. So funktioniert Hollywood und so funktioniert auch der Film und seine Geschichte.
Entsprechend pathetisch wirkt die Szene, in der Cruise Maguire eine flammende und zynische Rede vor den Mitarbeitern der Firma hält und einen Fisch aus dem Aquarium mitnimmt, um zu demonstrieren, dass in dem mehr Ehrlichkeit stecke als in allem, was er jetzt verlassen müsse.
Doch Hollywood wäre nicht Hollywood, würde man dem (vorläufig) gestürzten Helden nicht ein weibliches Regulativ zur Seite stellen. Renée Zellweger spielt die Buchhalterin Dorothy Boyd, die einzige in der Firma, die ihm zur Seite steht, ihren Job aufgibt und fortan seine Bemühungen unterstützt, Sportler zu werben. Dorothy ist das, was man einen grundehrlichen, liebevollen Menschen nennt, der mit beiden Beinen ... und so weiter. Sie lebt mit ihrem kleinen Sohn Ray (Jonathan Lipnicki), einem weiteren vom Drehbuch geschickt platzierten Publikums-Fänger (Motto: ein Junge, den man einfach lieben muss), und ihrer älteren Schwester Laurel (Bonnie Hunt) zusammen, die regelmäßig mit anderen von Männern enttäuschten Frauen Selbsthilfegruppenabende veranstaltet, die nur ein Thema haben: Männer.
Um den Fortgang der Geschichte zu sichern, bleibt ein Sportler, der Footballstar Rod Tidwell (Cuba Gooding Jr.), dem angeschlagenen Jerry treu. Hinter Rod steht seine ganze Familie, vor allem sein größter Fan, seine Frau Marcee (Regina King).
Der Verlauf des Films ist damit vorgezeichnet: Jerry, der viel reden kann, was er in seinem Job gelernt hat, aber in seinem privaten Bereich nur wenig zu sagen hat, kämpft und kämpft und kämpft um Verträge, Rod bleibt ihm treu, zwischen beiden entsteht eine Männerfreundschaft, und Dorothy verliebt sich in Jerry. Der Rest des über zweistündigen Films widmet sich den Problemen von Freundschaft und Liebe – bis Jerry endlich kapiert, was beides bedeutet, bzw. was die Macher von „Jerry Maguire“ darunter verstehen wollen.
Die Moral der Geschichte ist aufdringlich: Ein Mann braucht einen „richtigen“ Freund und eine „richtige“ Beziehung, also keine „falsche“ Freundschaft und keine „falsche“ Liebe. So einfach geht es manchmal in Hollywood zu. Renée Zellweger verkörpert die „einfache“ Frau mit dem „Herz auf dem richtigen Fleck“, Tom Cruise mimt den „fehlgeleiteten“ Agenten, dem zwar bewusst ist, dass in seinem Leben etwas falsch läuft, der aber – psychologisch gesehen – auf den richtigen Weg gebracht werden muss, und Rod Tidwell ist trotz seines Erfolgsdrangs der wahnsinnig nette Kumpel auf dem Football-Platz, mit dem man Pferde stehlen kann. Beigemischt wird noch ein männliches Kindermädchen namens Chad (Todd Louiso), der nur Jazz im Kopf hat und schräg wirken soll, bei mir aber jedenfalls so schräg gar nicht ankommt.
Was soll man gegen einen solchen Film schon einwenden? Vielleicht, dass er als eine Art „moderne“ Version von Billy Wilders „Das Appartement“ im Vergleich zu dessen Stärke in Charakterdarstellung, Konflikten und Kritik an Heuchelei, Intrige und Machtbesessenheit eindeutig den Kürzeren zieht. Während sich Wilders Figuren (Fred MacMurray, Shirley MacLaine und Jack Lemmon in den Hauptrollen, wie man sich erinnert) ganz nahe an der Realität abkämpfen, erscheinen Cruise, Gooding Jr., Zellweger usw. wie schwache Karikaturen auf wirkliche Menschen in einem Bereich des modernen Kapitalismus, in dem Skrupellosigkeit Gesetz ist. Bei Wilder ergeben sich Moral und Unmoral aus dem Spiel der Akteure und ihren Konflikten. Bei Cameron Crowe kämpfen Hollywood-Implantate in einer Welt, die nur auf der Leinwand so existiert, wie Crowe sie zeigt. Wir bewegen uns in einer doppelten medialen Inszenierung – sozusagen Hollywood in Hollywood. Die Filmstadt reproduziert sich in der Geschichte um Sportagenten und ihr Treiben.
Deutlich wird dies an der einzigen Figur, die in „Jerry Maguire“ überhaupt zu leben scheint: an Dorothys Schwester Laurel. Bonnie Hunt spielt eine Frau, die ihre Schwester vor Männern warnt (vor allem, wenn es sich um Männer handelt, die gerade an einem Nullpunkt angekommen sind, wie Jerry, und nur sich selbst sehen). Gleichzeitig sehnt sie sich – wie auch die Frauen in ihrer Selbsthilfegruppe – nach Zuneigung. Dieser innere Konflikt ist emotional nachvollziehbar – Renée Zellwegers sehnsuchtsvolles Gesicht dagegen wirkt aufgesetzt.
„Jerry Maguire“ ist deshalb kein wirklich schlechter Film. Er ist eben „nur“ ein Paradebeispiel für ein Hollywood-Kino, dessen Fähigkeit, Nähe zum Publikum zu erzeugen, damit erkauft wird, sich mehr in Klischees aufzuhalten, anstatt Lebensnähe durch überzeugende Charaktere zu erzeugen wie bei Wilder. „Jerry Maguire“ tut niemandem weh, und will das wahrscheinlich auch gar nicht.