Nachdem der französische Regisseur François Ozon („8 Frauen", „5x2") mit seinem vorherigen Film „Ricky – Wunder geschehen" ein Sozialdrama auf irritierende Weise in einen Fantasyfilm münden ließ, wechselt er einmal mehr das Genre und widmet sich mit „Rückkehr ans Meer" einem ruhigen Drama, in dem er die einzigartige Zeit der Schwangerschaft mit der Trauerarbeit nach dem Tode eines geliebten Menschen verbindet. In der Abgeschiedenheit einer Ferienwohnung in der Normandie lernen sich zwei Menschen, die nur durch einen Todesfall miteinander in Verbindung stehen, näher kennen und beginnen eine enge Verbundenheit zueinander aufzubauen. Ohne klischeehafte Weichzeichnereffekte kreisen die beiden umeinander, beginnen ihre Trauer abzustreifen und die Zeit am Meer zu genießen.
Louis (Melvil Poupaud) und Mousse (Isabelle Carré) werden komatös in einer leerstehenden Wohnung aufgefunden und sofort in das nächste Krankenhaus eingeliefert. Der aus wohlhabendem Hause stammende Louis wird den mit Valium gestreckten Drogencocktail nicht überleben, während Mousse gerade noch so dem Tode entgeht. Doch der Heroinabhängigen bleibt mehr als eine Erinnerung an ihren Geliebten - sie ist schwanger. Die Mutter des Verstorbenen legt der trauernden Mousse nach der Beerdigung nahe, das Kind abzutreiben. Doch die junge Frau lässt sich nur scheinbar auf diesen mit Nachdruck vorgetragenen Rat ein und entschließt sich dazu, das Kind des Verstorbenen auszutragen. Sie zieht sich in ein an der Atlantikküste gelegenes Landhaus eines ehemaligen Geliebten zurück. Einige Monate später bekommt sie Besuch von Paul (Louis-Ronan Choisy), der auf der Durchreise nach Spanien ist. Der homosexuelle Bruder des toten Louis ist froh darüber, dass Mousse immer noch froher Hoffnung ist und leistet der Schwangeren in der Abgeschiedenheit Gesellschaft. Langsam kommen sich die beiden näher...
Wie schon in Ozons „Swimming Pool" treffen auch hier zwei sehr unterschiedliche Charaktere in einem abgelegenen Ferienhaus aufeinander und entwickelt sich im Ferienambiente eine kammerspielartige Charakterstudie, die sich in langsamem Erzähltempo mehr der Beziehung der Figuren als der minimalistisch gehaltenen Geschichte widmet. Der Regisseur sieht den Film als Abschluss einer Trilogie über die Sterblichkeit und den Umgang mit Trauer. Verdrängte Marie Drillon (Charlotte Rampling) in „Unter dem Sand" noch den Tod ihres Mannes und musste Protagonist Romain (Melvil Poupaud) sich in „Die Zeit die bleibt" mit dem nahenden eigenen Lebensende auseinandersetzen, geht es im finalen Teil der losen Trilogie um die Verarbeitung des Todes einer geliebten Person und den Fortgang des Lebens nach einer Verlusterfahrung.
Ozon wollte unbedingt einmal einen Film mit einer Schwangeren inszenieren und fand mit Isabelle Carré eine talentierte Schauspielerin, die sich tatsächlich in anderen Umständen befand, als in den Sommermonaten an der Atlantikküste der Mittelteil des Filmes gedreht wurde. Nach der Geburt ihres Sohnes wurden dann der Anfang und das Ende des Films in Paris gedreht. Die Schönheit der Schwangeren und des jungen Mannes an ihrer Seite stellt Ozon etwas zu schwelgerisch heraus und nimmt dafür auch erzählerischen Leerlauf in Kauf. Das Wunder des langsam heranwachsenden Lebens hat es dem Regisseur sichtbar angetan, was sich in einer teils übertriebenen Glorifizierung ausschlägt. So verweilt nicht nur die Kamera gerne auf dem hervortretenden Bauch der schwangeren Hauptdarstellerin, sondern verleihen Paul und andere Filmfiguren ihrer Begeisterung über die Schwangerschaft auch immer wieder überschwänglichen Ausdruck.
Isabelle Carré („Herzen", „Wahnsinnig verliebt") spielt die drogenabhängige werdende Mutter mit einer Mischung aus forscher Abgestumpftheit und emotionaler Verlorenheit. Dem überraschenden Gast bringt die fragile Süchtige anfangs eine kühle, trotzige Arroganz entgegen, die nur langsam zu bröckeln beginnt. Die von ihr verkörperte Mousse denkt immer nur punktuell und trägt das in ihr wachsende Baby nicht aus, weil sie sich ein Leben mit einem Kind wünscht oder vorstellen kann, sondern nur, weil sie sich nicht zu der Entscheidung durchringen konnte, das letzte ihr von Louis gebliebene Andenken wegzugeben. Sie hegt keine aufkeimenden Muttergefühle, sondern erlebt die Schwangerschaft einfach als besondere und eigenartige Zeit, in der wildfremde Menschen plötzlich Anteil an dem eigenen Befinden nehmen. Auch die pure Neugier, ob das Kind wirklich erkennbare Züge ihres verstorbenen Geliebten aufweisen wird, hat sie davon abgehalten, das Kind abzutreiben.
Der bisher nur als Sänger in Erscheinung getretene Louis-Ronan Choisy schlägt sich in seinem Schauspieldebüt als lebensfroher Gast der einsamen Schwangeren ebenfalls wacker. Er harmoniert sehr gut mit Isabelle Carré, so dass eine besondere Seelenverbundenheit zwischen den beiden Figuren erfahrbar wird, die über eine reine Leidensgemeinschaft hinausgeht und in eine besondere Art von Liebesbeziehung mündet, obwohl Paul im nahegelegenen Dorf einen Mann kennenlernt und diesen auch in das Ferienhaus mitbringt. Dabei kommt bei Mousse zwar ein Gefühl der Eifersucht auf, doch die Problematik der Dreieckskonstellation bleibt trotzdem merkwürdig kraftlos. Choisy komponierte auch den gefühlvollen Chanson, um den sich der gesamte Film zu drehen scheint und den er in einer zentralen Szene am Piano darbietet.
In ihrem Refugium der Ferienwohnung sind Mousse und Paul weitgehend für sich allein und Isabell scheint sich einfach zu freuen, nicht gänzlich alleine sein zu müssen. Sie genießt die liebevoll-freundschaftliche, beinahe zärtliche Beziehung zu dem homosexuellen Bruder ihres verstorbenen Freundes und scheint zu hoffen, dass die gemeinsame Zeit abseits der problembehafteten Welt in der französischen Hauptstadt möglichst lange andauern wird.
Fazit: „Rückkehr ans Meer" ist die melancholische Geschichte einer Schwangerschaft, die in lichtdurchfluteten Bildern das Wunder des werdenden Lebens zelebriert und sich zugleich der Verarbeitung eines Todesfalls annimmt.