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    Das Herz von Jenin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Das Herz von Jenin
    Von Jonas Reinartz

    Im November 2005 wurde der 12-jährige Ahmed durch einen Kopfschuss getötet. Er lebte mit seiner großköpfigen Familie im westjordanischen Flüchtlingslager Jenin und war im Begriff, anlässlich des Ramadanfestes eine Krawatte zu kaufen. Dabei traf er auf zwei Freunde, die mit Spielzeuggewehren herumliefen. Die Jungen begannen Krieg zu spielen, doch aus der Fiktion wurde plötzlich schreckliche Realität. Denn just zur selben Zeit war eine Abteilung der israelischen Armee zwecks einer Razzia in Jenin unterwegs. Üblicherweise erfolgen Unternehmungen dieser Art nachts, um die Zivilbevölkerung zu schonen, doch dieses Mal war es anders. Ein Scharfschütze hielt den Knaben für einen Terroristen und das Plastikspielzeug in seinen Händen für eine echte Kalaschnikow. Für Ahmed kam jede Hilfe zu spät. Umso überraschender war die Haltung seiner Eltern, Ismael und Abla Khatib, die sich wider Erwarten bereit erklärten, die Organe ihres Sohnes zur Spende an israelische Kinderpatienten freizugeben. Sowohl religiöse als auch weltliche Autoritäten gaben ihre Zustimmung. Ein Jahr darauf macht sich Ismael auf, drei der betroffenen Familien zu besuchen. Der Dokumentarfilm „Das Herz von Jenin“ des Deutschen Marcus Vetter und des Israelis Leon Geller beleuchtet diese Reise sowie die vorangegangenen Ereignisse, die weltweit Schlagzeilen machten. Ihnen ist ein formal souveränes Werk gelungen, das allerdings überhaupt nicht - wie behauptet - dazu beitragen wird, „Vorurteile abzubauen“. Eher das Gegenteil ist der Fall.

    Auf der Berlinale 2007 begegneten sich Vetter und Leon zum ersten Mal. Bald entschloss man sich zu einer Zusammenarbeit und teilte die Aufgaben. Geller sollte vor Ort drehen, während Vetter den Schnitt übernahm. Dramaturgie und visuelle Gestaltung sind superb geraten. In medias res beginnend, vergehen einige Minuten, bis der mit der Sachlage unvertraute Betrachter wesentliche Informationen erhält. Archivaufnahmen, etwa aus Nachrichtensendungen, fügen sich fließend in das eigene Material ein, während Nadav Heksekmanns Kamera sich erfolgreich um ausdrucksstarke Bilder bemüht. Besonders eindrucksvoll gelungen sind ihm die Ansichten eines Beduinenjungen, der - dank Ahmeds Organen endlich gesundet - seinem Bewegungsdrang freien Lauf lässt und mit seinem Rad durch den Sand rast. Inhaltlich liegen die Dinge jedoch anders: Die zentrale Stelle ist jene, an der Ismael Khatib seine wahren Intentionen darlegt. Für ihn ist die Spende der Organe seines Sohnes eine Form des subtilen Kampfes gegen den Staat Israel. Trotzig mutmaßt er, am liebsten sei den jüdischen Mächtigen ohnehin gewesen, er hätte sich in die Luft gesprengt, doch stattdessen hätte er sie mit einer unerwartet „menschlichen“ Tat provoziert. Man muss sich diese Äußerungen erst einmal durch den Kopf gehen lassen, um ihre Tragweite vollends zu erfassen. Ein Akt zunächst bewundernswerter Menschlichkeit entpuppt sich plötzlich als Instrument des Kampfes, wenn auch mit anderen Mitteln. Von hier an steht der Film plötzlich auf tönernen Füßen. Zudem bleibt die folgende Reise recht ergebnislos, besonders der Besuch bei einer stocksteifen, religiös verblendeten jüdisch-orthodoxen Familie gerät zur Qual.

    Schenkt man dem renommierten, in Jerusalem lebenden deutschen Nahost-Korrespondenten Ulrich Sahm Glauben, so wird die Situation noch prekärer, denn die Filmemacher verzichten auf einige wichtige Details. Abla Khatib ging so weit, in den Medien verlauten zu lassen, die Organspenden seien als Teil des palästinensischen Widerstandskampfes eine Form der „Rache“. Oft fehlt den Machern das Bemühen um Subjektivität. Ein Umzug in Jenin, bei dem Ahmed als Märtyrer gefeiert wird, gerät in Kombination mit ausgesprochen wehmütiger Musikuntermalung zu einer hochemotionalen Szene, die sich, aus dem Kontext gerissen, durchaus für propagandistische Zwecke verwenden ließe. Hätten Vetter und Geller sie einfach nur abgebildet, wäre ihnen nichts vorzuwerfen, doch mit dieser Art der Manipulation begeben sie sich aufs Glatteis. Mitleid mit einem ermordeten unschuldigen Jungen wird ohnehin jeder Zuschauer empfinden, unabhängig von Nationalität und Glauben.

    Ähnlich fragwürdige Mittel benutzen die Regisseure bei der Bebilderung der Schilderungen eines an der Militäraktion beteiligten israelischen Soldaten, der anonym bleiben möchte. Im entscheidenden Moment - der Beschreibung der fatalen Entscheidung, auf Ahmed zu feuern - werden Amateuraufnahmen des fröhlichen Jungen präsentiert, was zusätzlich auf die Tränendrüse drücken soll. Es ist die Entscheidung des Soldaten, sein Antlitz zu verbergen, doch es fügt sich perfekt in das vermittelte Israel-Bild ein. Israelis sind hier größtenteils gesichtlose Besatzer, die Schwierigkeiten an der Grenze machen und Beduinen ihre Willkür spüren lassen.

    „Das Herz von Jenin“ behandelt eine hochgradig heikle Thematik, wobei die Objektivität zu oft auf der Strecke bleibt. Wenn die Regisseure dann sogar hoffen, dass ihr Film „ein Zeichens des Friedens“ setzt, wirkt das fragwürdige Ergebnis nur noch verstörender. Anstelle des Bemühens um Ausgewogenheit werden propagandahafte Mittel bemüht. Gerade die handwerklich vorbildliche Inszenierung erweist sich in ihrer Effektivität in diesem Zusammenhang als bedenklich.

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