In der filmischen Aufarbeitung des Dritten Reiches kann die Schwarz-Weiß-Zeichnung häufig einfach nicht deutlich genug sein. Diesen Eindruck vermittelt zumindest die endlose öffentliche Debatte um den Umgang mit den Schurken und Helden der deutschen Vergangenheit. So manchem war die Darstellung Hitlers als Privatmensch in Oliver Hirschbiegels Der Untergang zu brisant. Anderen kann ein Widerstandskämpfer wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg nicht hoch genug gehalten werden: Lange vor der Veröffentlichung des Thriller-Dramas Walküre wird bereits kontrovers diskutiert, ob der aufgrund seiner Scientology-Karriere skeptisch beäugte Tom Cruise einen deutschen Helden spielen dürfe. Allerdings – reicht der Widerstand gegen das Nazi-Regime alleine bereits zur Heiligsprechung? Genau dieser Frage geht der TV- und Kinoregisseur Ole Christian Madsen mit seinem „Tage des Zorns“ nach, der in seiner dänischen Heimat bereits zu einem der erfolgreichsten Filme der vergangenen Jahre avanciert ist. Mit einer hochkarätigen Besetzung um Skandinaviens Vorzeigestar Mads Mikkelsen (Adams Äpfel) verfilmte Madsen die Geschichte zweier Widerstandskämpfer im besetzten Dänemark als ruhigen Thriller, und liefert nebenher ein scharfsinniges Essay über die Auswirkungen von Gewalt ab.
Flamme (Thure Lindhardt, Into The Wild) und Citron (Mads Mikkelsen) sind die Todesengel des dänischen Widerstandes. Mit kaltblütiger Präzision richten sie kollaborierende Landsleute hin, während ihnen Attentate auf den deutschen Gestapoführer Hoffmann (Christian Berkel, Black Book) und seine Truppen strikt untersagt sind. Als Flamme auf sein nächstes Opfer, den Chef der deutschen Abwehr (Hanns Zischler, München), trifft, und sich von seinem intellektuell überlegenen Gegenüber in ein Gespräch verwickeln lässt, keimen in ihm erste Zweifel an seiner mörderischen Mission auf. Während Citrons Kampf ihn zunehmend von seiner Familie entfremdet, lässt Flamme sich auf eine Affäre mit der undurchsichtigen Ketty (Stine Stengade) ein, die mit ihrer Version der Wahrheit ein ganz neues Licht auf die Ereignisse und besonders Auftraggeber Winther (Peter Mygind) wirft. Als dieser Ketty als Maulwurf bezichtigt und Flamme und Citron damit einen weiteren tödlichen Auftrag erhalten, verschwimmen endgültig die Grenzen zwischen Gut und Böse...
„Jemanden einfach von hinten zu erschießen muss sehr, sehr grenzwertig sein. Ich glaube nicht, dass jemand so etwas tut, und danach weiterhin ein ganz normaler Mensch sein kann. Jemand, der diese Grenze überschreitet, tut das meiner Ansicht nach nicht, ohne bleibende psychische Schäden davon zu tragen.“ (Mads Mikkelsen)
Madsen hat mit „Tage des Zorns“ keine Heldengeschichte entworfen. Zwar basieren die Ereignisse lose auf historischen Ereignissen und Personen, doch nimmt er sich die Freiheit heraus, die Geschichte an seine Prämisse anzupassen. „Tage des Zorns“ ist bewusst kein Historienfilm. Eher nutzt er einige historische Vorkommnisse, um ein Psychogramm derer zu entwerfen, die gleichermaßen unter Gewalt leiden, sie aber auch ausüben. Der dänische Volksheld Citron beispielsweise galt als sensibler, humorvoller Mensch. In Mikkelsens melancholischer Interpretation ist davon nichts zu spüren. Citron ist hier kein tragischer Held – er ist gar kein Held. Seine mörderische Arbeit für den Untergrund und die schwierigen moralischen Fragen, die damit einhergehen, lassen keinen Raum für Humor. So erzählt „Tage des Zorns“ von weit mehr als nur der Vergangenheit.
„Egal, welche Entscheidung man trifft und wie weitreichend sie ist, man muss damit leben und später Rechenschaft darüber ablegen. Mein Film erzählt [...] davon, was es heißt, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen.“ (Ole Christian Madsen)
Die psychischen Auswirkungen von Gewalt werden in zahlreichen Szenen präzise seziert. Ein zentraler Aspekt ist dabei der Verlust des Vertrauens. Können Flamme und Citron ihrem Auftraggeber trauen? Immerhin ist Winther derjenige, der die Todeskandidaten auswählt und damit auch über die vermeintliche Schuld oder Unschuld der Killer entscheidet. Je unaufhaltsamer sich die Gewaltspirale voranschraubt, desto zahlreicher werden die Fragen um Schuld und Verantwortung und desto unmöglicher eindeutige Antworten. Besonders interessant sind dabei die Liebesgeschichten der beiden Hauptcharaktere. Flamme verliebt sich in Kitty, sieht sich aber gezwungen, ihr ständig zu misstrauen. Und Citrons Frau wendet sich einem anderen Mann zu, dessen Identität sie nicht preisgeben will. Zuviel Angst hat sie inzwischen vor dem, was der Widerstand aus ihrem Gatten gemacht hat, und vor allem der Vergeltung, die sie ihm zutraut. Die Beteiligung am Krieg zerstört die sozialen Verhältnisse, zu deren Schutz die Widerständler ursprünglich losgezogen sind.
Die Zerrissenheit der Figuren wird vom Ensemble eindrucksvoll getragen. Thure Lindhardt entwickelt Flamme glaubhaft vom Eiferer zum Zweifler, der schließlich an der moralischen Diffusion zerbricht. Ebenfalls lobend zu erwähnen ist Christian Berkel, der den Gestapo-Offizier Hoffmann als verführerischen Mephisto gibt. Allen voran steht aber Mads Mikkelsen, der in Dänemark längst ein Garant für Kassenerfolge ist und sich bereits als Bond-Bösewicht in Casino Royale auf internationalem Parkett bewährte. Dank Mikkelsens intensivem Spiel ist Citrons Geschichte (seine Reaktionen auf die Mordsequenzen und sein Familiendrama) mit Abstand die fesselndste. Verstört bewegt er sich durch die grau und desolat von Kameramann Jorgen Johansson geschilderte Welt und macht die Verheerungen der Gewalt an der Psyche greifbar.
Fazit: Mit „Tage des Zorns“ zeigt sich das dänische Kino nach erfolgreichen Exporten wie Adams Äpfel und Nach der Hochzeit erneut von seiner besten Seite. Hochspannung kommt zwar selten auf, da das Schicksal der Figuren aufgrund ihrer Historizität nicht überrascht. Aber darauf kommt es Madsen ohnehin nicht an. Ohne viel Pathos und mit einem Gespür für den Subtext wird eine erdrückende Geschichte erzählt, die viele Fragen aufwirft und wenige beantwortet. Man kann nur dankbar sein, dass Madsen auf einen erhobenen Zeigefinger verzichtet und seine Figuren weder glorifiziert noch verurteilt. Die abschließende Bewertung überlässt er dem Zuschauer – eine echte Herausforderung. Eine Antwort gibt es immerhin: Ein Krieg, ganz gleich, mit welch hehren Zielen geführt, bringt niemals Heilige hervor.