Facebook, Myspace, twitter, StudiVZ – soziale Netzwerke haben Hochkonjunktur und machen das Internet nicht nur bei Teenagern zu einem immer beliebteren Kommunikationsmedium. Der eine oder andere Jugendliche gibt im Web 2.0 aber mehr von sich preis, als seinen Eltern lieb sein dürfte – schließlich kann man nie wissen, welcher falsche Fuffziger gerade intime Details im Chatfenster mitliest und welcher Personalchef sich durch die peinlichen Partybilder vom Mallorca-Urlaub klickt. In seinem zweiten englischsprachigen Film „Chatroom", der bei den Filmfestspielen von Cannes kontrovers diskutiert wurde und beim Fantasy Filmfest 2010 seine Deutschlandpremiere feiert, geht der japanische Horrorfilmspezialist Hideo Nakata („Ringu", „The Ring 2") noch einen Schritt weiter und lässt sozial vernachlässigte Teenager im Netz anonym über seelische Probleme und Selbstmordgedanken plaudern. Sein stylisher Psycho-Thriller punktet mit toller Optik und einer rasanten Inszenierung, krankt aber an dramaturgischen Schwächen und erweist sich spätestens im Showdown als zu konventionell und vorhersehbar.
Der 17-jährige William (Aaron Johnson) eröffnet im World Wide Web ein Forum für Teenager aus seiner Heimatstadt. Er gründet den Chatroom „Chelsea Teens!" und begrüßt schon bald die ersten Gäste in seiner virtuellen Selbsthilfegruppe: Eva (Imogen Poots), Jim (Matthew Beard), Emily (Hannah Murray) und Mo (Daniel Kaluuya), die ihre Sorgen im trüben Londoner Alltag in sich hineinfressen, fassen in der Onlinewelt den Mut, sich über ihre Ängste und Probleme auszutauschen. Sie ahnen nicht, dass der scheinbar freundliche und interessierte William ein teuflisches Spiel mit ihnen treibt und es darauf anlegt, seine Gesprächspartner zum Suizid zu verleiten. Systematisch macht er die Schwachpunkte der Jugendlichen aus, um sein düsteres Vorhaben in die Tat umzusetzen...
Drehbuchautorin Enda Walsh („Hunger") adaptierte für „Chatroom" ihr eigenes Theaterstück und wirft den Zuschauer direkt ins kalte Wasser. Statt die Halbwüchsigen vor TFT-Bildschirme zu setzen und endlos lange Chatprotokolle zu dokumentieren, verfrachtet sie die Protagonisten in einen Cyberkorridor, der den Zugang zu den abzweigenden Chatrooms ermöglicht. Hat der Zuschauer sich erst einmal in dieser grellen Plüsch- und Plastikwelt zurechtgefunden, gibt es allerlei Details zu entdecken: Passwortgeschützte Chats sind hier Hotelzimmer, die mit Codeschlössern gesichert sind, Fernsehgeräte ersetzen YouTube-Clips, und auf den Fluren tummelt sich gleich ein ganzer Haufen schräger Internetfreaks. Darüber hinaus nutzt Walsh die Gelegenheit, eine Handvoll gelungener Gags einzustreuen: So verirrt sich beispielsweise ein pädophiler älterer Herr in den Raum der fünf Jugendlichen, als er sich auf der Suche nach willigen Schulmädchen durch den Cyberspace bewegt.
Hideo Nakata setzt die Grundideen des Drehbuchs ansprechend um und entwirft trotz kleinerer Logiklöcher ein in sich stimmiges Szenario. Anders als sein verstörendes Meisterwerk „Ringu" inszeniert er „Chatroom" in einem atemberaubenden Tempo und treibt die Handlung mit einem dynamischen, oft aber auch anstrengenden Score voran. Der Schauplatz wechselt permanent zwischen den farbenfrohen Chaträumen und dem grauen London, und immer wieder werden Communitysequenzen abrupt abgebrochen, weil einer der Jugendlichen seinen Laptop ausschaltet. Schnell erweist sich William, überzeugend verkörpert von Newcomer Aaron Johnson („Kick-Ass"), als Wurzel allen Übels. Seine dunkle Seite tritt in Flashbacks und Konfrontationen mit seinen überforderten Eltern zutage. Der Regisseur nutzt Williams diabolischen Charakter für ein paar routinierte Fingerübungen aus seinem Gruselrepertoire, wenngleich sich beim Zuschauer trotz der vereinzelten Horroranleihen nur selten Schweißperlen auf der Stirn bilden. Echte Spannung stellt sich erst ein, als die Inszenierung des eigenen Selbstmords im Netz konkret wird. Bis zum Beginn der zweiten Filmhälfte plätschert die Handlung jedoch relativ höhepunktfrei vor sich hin.
Williams manipulativer Psychoterror konzentriert sich schnell auf den labilen Jim, der als kleiner Junge von seinem Vater am Pinguinbecken stehen gelassen wurde und schließlich zum Anti-Depressiva schluckenden, seelischen Wrack wurde. Einmal als schwächstes Glied der Kette identifiziert, geraten die drei anderen Teenager zunehmend aus dem Blickfeld. Das ist zu verkraften, weil vor allem Eva, die aufgrund ihrer nicht modelkompatiblen Körpergröße gehänselt wird, und die aus gutem Hause stammende Vorzeigetochter Emily als Figuren ähnlich eindimensional angelegt sind wie Parade-Shy-Guy Jim, der bei Mädchen kein Wort über die Lippen bringt und sich lieber seinen Aquarien widmet. „Chatroom" steuert aufgrund der allzu typischen Wechselwirkungen und überraschungsarmer Gruppendynamik schnurstracks auf ein konsequentes, aber leider auch jederzeit vorhersehbares Finale zu.
Fazit: Hideo Nakata liefert einen innovativ aufbereiteten Einblick in die nach Orientierung suchenden Seelen der Generation Web 2.0, serviert als Protagonisten aber nur langweilige Stereotypen, deren Handeln stets leicht auszurechnen ist. Der visuelle Overkill und die hippe Inszenierung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Chatroom" letztlich nur den üblichen Gesetzen des Genres folgt und die Möglichkeit verschenkt wird, mehr aus einer vielversprechenden Grundidee herauszuholen.