In dem Coming-of-Age-Film „Little Paris“ spielt sich das Drama zwischen Provinz und Großstadt ab. Neben platten Klischees, einer spannungsarmen Story und eindimensionalen Charakteren findet Drehbuchautorin und Regisseurin Miriam Dehne jedoch nichts Wesentliches, was über die Rituale des Heranwachsens zu sagen gäbe.
Luna (Sylta Fee Wegmann) lebt in einer kleinen baden-württembergischen Kleinstadt, die Little Paris genannt wird. Sie hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Ihre große Leidenschaft ist das Tanzen. Diese lebt sie in billigen Discos und einer Tanzschule, in der sie Kinder unterrichtet, aus. Eines Tages tritt G (Patrick Pinheiro) in ihr Leben. G ist anders. Er hat die Welt gesehen und strahlt vor Selbstbewusstsein. Sofort interessiert sich Luna für ihn. Aus der Beziehung mit dem drogensüchtigen Ron (Ralph Kretschmar) ist ohnehin die Luft raus. G weckt in Luna die Hoffnung, aus ihrem bedeutungslosen Leben entkommen zu können. Er überredet sie, an einem Tanzwettbewerb teilzunehmen, für den sie gemeinsam trainieren könnten. Tatsächlich gelingt es den beiden zu gewinnen. Damit steht ihnen der Weg offen, für die nächste Runde nach Berlin zu fahren. Doch mehren sich die Zeichen, dass es G nicht ganz so ernst meint mit dem großen Erfolg wie Luna…
In Nicolas Rays „…denn sie wissen nicht, was sie tun“ von 1955 wurde die perspektivlose „Lost Generation“ des Amerikas der 50er Jahre porträtiert. Damals rebellierte James Dean in seiner Rolle noch gegen die konservative Generation seiner Eltern. So ein personifiziertes Gegenbild scheint der heutigen Jugend verloren gegangen zu sein. In „Little Paris“ fehlt sie zumindest – die Eltern von Luna sind gestorben, als Luna noch ein Kind war. Und auch bei ihren Freunden und Bekannten sucht man vergebens nach einer erwachsenen Welt, die Orientierung, im Positiven wie im Negativen, bietet. Eine Prognose, die im Feuilleton dazu führt, dass fast wöchentlich eine neue wurzellose Generation ausgerufen wird. Begonnen mit der Generation Praktikum, über Kinderlos, Doof, @, bis hin zur Generation Umhängetasche. Einigkeit herrscht lediglich insofern, dass die jungen Menschen heute ohne festen Halt auf eine unsichere, wenn nicht gar katastrophale Zukunft zusteuern.
Bei Filmen die Frage „Was genau will mir das Werk nun sagen?“ zu stellen, führt in den meisten Fällen zu nicht mehr, als wilden, assoziativen Spekulationen. Denn das, was ein Werk „sagen will“, sagt es im besten Fall auch einfach. Bei Miriam Dehnes „Little Paris“ ist es nun aber so, dass der Film selbst ständig seine Pseudohintergründigkeit herausplärrt. Dass also eine Botschaft hinter dem steckt, was gezeigt wird. Frei nach einer einfältigen Poesiealbenmentalität ist das soviel wie: „Sei der, der Du bist!“ „Träume nicht Dein Leben – Lebe Deinen Traum!“ oder ähnliche Weisheiten diesen Kalibers, die sich in weniger als zehn Worte packen lassen. Ob damit einer ganzen Generation perspektivloser Jugendlicher geholfen werden kann, bleibt zumindest fragwürdig. Für Luna, soviel sei vorweg genommen, hält der Film glücklicherweise ein ganz phantastisch überzogenes Happy End bereit.
Einen großen Teil an Glaubwürdigkeit verspielt Miriam Dehnes erstes Langspielfilmprojekt beim Umgang mit der Protagonistin Sylta Fee Wegmann alias Luna. Dabei mangelt es nicht an schauspielerischer Begabung, sondern an einer adäquaten Umsetzung der tänzerischen Fähigkeiten von Tagträumerin Luna. Bei jeder Wettbewerbssituation trifft diese auf Tänzerkollegen, die ihre Sache sehr gut beherrschen. Dass man selbst nach „mehrmonatigem“ Training nicht auf ein semiprofessionelles Niveau kommt, wiegt also nicht so schwer, wie die grausame Vergewaltigung von Lunas Tanzeinlagen am Schneidetisch. Während man andere Tanzszenen in einigermaßen ruhigen Einstellungen sieht, sind Lunas Tänze zu einem unstrukturierten Wirrwarr zusammengestückelt worden. Die so entstehende Absurdität eines hektischen Ausdruckstanzes passt ironischerweise wiederum zum Stil von „Little Paris“.
Nachdem zu Beginn noch relativ realistisch erzählt wird, verändert sich der Gestus nach etwa der Hälfte und nimmt immer abstrusere, überzeichnete Züge an. Die vielen Figuren, die die Nebenschauplätze bevölkern, werden mit immer stärkeren Kontrasten gezeichnet. Jeweils von einer Entwicklung zu sprechen, würde der Sache nicht gerecht. Vielmehr fallen die nicht uninteressanten Feinheiten, die am Anfang noch erahnt werden können, einem starken Reduktionismus zum Opfer. Jede Figur wird in eine klischeehafte Schublade gepresst und, wenn nötig, zurechtgestutzt. Manche bekommen auch einfach nur ein süßes Accessoire, wie zum Beispiel kitschige Engelflügel zum Umschnallen. Zudem mischen sich zusehends Elemente ein, die wohl aus „Little Paris“ so etwas wie ein modernes Märchen machen sollen. Ein behutsamerer Umgang mit den Mitteln hätte aber schon genügt, um dieses Vorhaben umzusetzen.
Fazit: Der Traum von Selbstverwirklichung und die Suche nach Orientierung in der großen, unübersichtlich gewordenen Welt sind die vornehmlichen Themen von „Little Paris“. Diese werden in immer grobschlächtiger werdender Manier an den Mann gebracht und erinnert damit an die Ästhetik von Freischwimmer. Die knalligen Farben, in die alles getaucht ist, können jedoch nicht über die mangelnde Substanz, die sich in den ausdrucksarmen und aufgesetzt wirkenden Dialogen spiegelt, hinwegtäuschen.