Mit James Camerons „Titanic" hatte die Oscar-Verleihung 1998 einen eindeutigen Abräumer zu bieten. Dennoch bestand unter Kommentatoren Einigkeit, dass neben Weltenkönig Cameron vor allem Robin Williams der heimliche Gewinner des Abends war. Als bester Nebendarsteller konnte sich der Komiker für „Good Will Hunting" gegen gestandene Hollywood-Granden wie Anthony Hopkins („Amistad") durchsetzen. Für viele stellt die Auszeichnung mit dem Goldjungen eine Zäsur in Williams Karriere dar. Und in der Tat, in den folgenden Jahren machte er mit einigen ungewöhnlichen Karriereentscheidungen wider sein Image von sich reden. Sei es als Stalker in „One Hour Photo" oder trauriger Psychopath in „Insomnia - Schlaflos", Williams hat seine Vielseitigkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt, ehe er wieder in seichten Klamotten wie „Lizenz zum Heiraten" versandete; an seine Komödien-Erfolge aus den 90er Jahren konnte er nicht anknüpfen. Damals hatte sich der trockene Alkoholiker mit einer Reihe gänzlich auf ihn zugeschnittener Projekte an die Spitze der bestbezahlten Hollywood-Darsteller gespielt. Das Paradebeispiel dieser Entwicklung ist Joe Johnstons Fantasy-Abenteuer „Jumanji", die Adaption des gleichnamigen Kinderbuches von Chris Van Allsburg.
Alan Parrish (Adam Hann-Byrd) hat eigentlich alles, was sich ein Zwölfjähriger wünschen kann, abgesehen von einem Vater (Jonathan Hyde), der sich für ihn interessiert. Als der Junge eines Tages durch Zufall das geheimnisvolle Brettspiel Jumanji findet, entfesselt er ungewollt den Geist der Wildnis und wird in die Spielwelt verschleppt. Erst 26 Jahre später nimmt das Geschwisterpaar Judy (Kirsten Dunst) und Peter (Bradley Pierce) die Partie wieder auf und befreit den inzwischen erwachsenen Alan (Robin Williams). Doch das ist erst der Beginn, denn der Spuk von Jumanji ist erst gebannt, wenn die ungleiche Schicksalsgemeinschaft Alans einstige Mitspielerin Sarah (Bonnie Hunt) findet und gemeinsam hungrigen Löwen, wilden Nashörnern und hinterhältigen Schlingpflanzen die Stirn bieten.
Gefühlt im Minutentakt begeistert das Skript von „Jumanji" zumindes mit skurillen Episoden. In den Neunzigern erlaubten neue Tricktechnikverfahren, erstmals lange Sequenzen am Rechner zu entwerfen und auf der Leinwand Realität werden zu lassen: „Jumanji" ist eine Trickschau erster Güte. Die von dem wundertätigen Brettspiel freigesetzten Urwaldviecher bieten Gelegenheit für einen Leistungsnachweis der Mitte des Jahrzehnts noch recht jungen CGI-Technik. Sichtbar viel Mühe hat sich Regisseur Johnston auch mit den animatronischen Buschbewohnern gegeben. Die Verbindung von Roboteruntieren und digitalen Dschungelbiestern gelingt, wenn auch nicht so einwandfrei wie in „Jurassic Park". Mitunter mutet das Ganze wie die Verfilmung eines Rummel-Fahrgeschäfts an. So ist es wohl auch Johnsons ausgewiesene Expertise im Feld der Spezialeffekte zu verdanken, dass dem Amerikaner die Verantwortung für das etwa 60 Millionen Dollar teure Projekt übertragen wurde. Denn erzählerisch bietet Hollywood-Handwerker Johnson lediglich Mittelmaß.
Zum Zeitpunkt der Vorproduktion von „Jumanji" war es in Hollywood zu Umwälzungen im Studio-System gekommen; praktisch alle großen Filmstudios fanden sich sukzessive als Teil riesiger Firmenkonglomerate wieder, die von Managern statt von Kreativen geführt wurden. Gewinnmaximierung hieß das Gebot der Stunde und so arbeitet Regisseur Joe Johnston („Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft") die Drehbuch gewordene Kuriositäten-Sammlung auch in möglichst leichtverdaulichen Bildern auf. „Jumanji" bleibt jederzeit leicht konsumbierbar; nicht umsonst bildete der Film seinerzeit die Bugwelle effektgeladener und familienfreundlicher Sommerblockbuster, die in ihrem Fahrwasser Event-Streifen wie „Nachts im Museum" oder „Reise zum Mittelpunkt der Erde" führen. Der Film ist durch und durch vom eingängigen Abenteuer-Plot getriebenes Unterhaltungskino – eine nennenswert interessante Figurenentwicklung gehört derweil nicht zu seinen Stärken.
Dass „Jumanji" nicht zum hübschen aber allzu offensichtlich auf Breitenwirksamkeit kalkulierten Effekt-Unwetter gerät, ist insbesondere einem Robin Williams in Bestform zu verdanken. Dieser gibt einmal mehr den liebenswürdigen Infanten, eine Rolle, die er bereits in der Sitcom „Mork vom Ork" perfektionierte. Durch seine aufrichtige Kindlichkeit erdet Sympathieträger Williams die abgedrehte Handlung und erweist sich als perfekte Wahl. Auch in der Nebendarstellerriege versammeln sich mit Bonnie Hunt („Im Dutzend billiger") und einer jungen Kirsten Dunst („Spider-Man") talentierte Schauspieler, die zwar nie mit Williams gleichziehen können, wohl aber jederzeit mehr als bloße Stichwortgeber für den starken Hauptdarsteller sind.
Wäre da bloß nicht diese ganz und garnicht subtile Symbolik, dieser gelegentliche Hang zum Prätentiösen, dem sich die Schauspieler allesamt unterzuordnen haben. So muss sich Alan etwa den Nachstellungen eines rabiaten Großwildjägers (nicht zufällig ebenfalls gespielt von Jonathan Hyde) erwehren: Der Mensch als des Menschen Wolf – Staatstheoretiker Thomas Hobbes hätte an dieser filmischen Trope sicherlich seine Freude gehabt. Allein, eine Kritik der schonungslosen Leistungsgesellschaft sollte man von Johnston nicht erwarten. Schließlich ging es hier vor allem darum, Kinokarten an den Mann zu bringen.
Fazit: Das Fantasy-Abenteuer „Jumanji" ist durchaus spannend, spaßig und bisweilen auch gruselig. Ein Film wie Toastbrot mit Zucker, leicht bekömmlich und konsumierbar – dabei aber ganz sicher auch kein Klassiker.