Charlie Sheen kann ein Lied davon singen, dass die Japaner äußerst effektiv in der Darstellung von Gewaltexzessen sind. Als dem Hollywood-Star Anfang der Neunziger ein Videoband des Folterfilmes „Guinea Pig 2 – The Flowers Of Flesh And Blood“ in die Hände fiel, glaubte er, einem waschechten Snuffvideo beizuwohnen. Das FBI wurde eingeschaltet – und löste den Skandal als inszeniertes Spielfilmdebüt Hideshi Hinos auf. Ruhe haben die Bewohner der Pazifikinsel seitdem nicht gegeben. Mittlerweile sind die japanischen Kreativköpfe allerdings dazu übergegangen, die Gewalteruptionen in völlig überzeichnete Szenarien zu pressen. „Ichi The Killer“ massakriert sich durch das Yakuza-Milieu und dem Machine Girl dient eine Feuerwaffe als Armersatz. Doch (nahezu) alles bisher Dagewesen stellt nun Yoshihiro Nishimura mit seiner extravagant-überdrehten „Tokyo Gore Police“ auf den Kopf. Die Blutorgie sprudelt nur so vor surrealen Ideen und ist eine angenehme Abwechslung zu den glattgelecketen Hollywoodfilmen – leider füllt der Regiedebütant sein trashig-amüsantes Konzept mit unnötigen Füllszenen, um auf die fast zweistündige Laufzeit zu kommen…
Tokyo: In einer nicht allzu fernen Zukunft macht die Polizei Jagd auf mutierte Menschen. An vorderster Front kämpft Ruka (Eihi Shiina), die nach dem Tod ihres Vaters verbissen für Recht und Ordnung eintritt…
Die Idee zu seiner abstrusen Mutantenjagd kam Nishimura in den Neunzigern. In seinem Kurzfilm „Anatomia Extinction“ spielte der Japaner erstmalig mit einer äußerst ungewöhnlichen Form der Mutation: Den sogenannten Ingenieuren wird ein Schlüssel mit Massenmörder-Genen implantiert - soweit so gewöhnlich. Wirklich bizarr wird es erst, wenn den Mutierten ein Körperteil abgeschlagen wird: In Windeseile wächst dann eine neue, äußerst mörderische Extremität nach. Diese surreale, an die „Meatball Machine“-erinnernde Wiedergeburt als Kampfmaschine fängt in „Tokyo Gore Story“ völlig „harmlos“ an und gipfelt in der wohl abstrusesten Freakshow der Filmgeschichte: In einem Bordell der Extreme werden Schneckenfrauen und ein weiblicher Stuhl an den Mann gebracht. Doch selbst hier endet die überbrodelnde, teilweise aber auch etwas infantile Phantasie Nishimuras nicht: Nachdem der Unterleib einer Prostituierten gespalten wird, wächst ihr ein bissiger Krokodilkopf anstelle der Beine nach. Und selbst Sex Machine aus From Dusk Till Dawn würde angesichts der Peniskanone eines Polizisten vor Neid erblassen. Diese – für die Handlung völlig überflüssigen – Szenen im Bordell offenbaren auch den stetig mitschwingenden fetischhaften Unterton. Der Phallus wird überdimensioniert, die Frau zum bewegungsunfähigen Lustspender degradiert oder in eine Schulmädchenuniform gepresst.
Ob diese an die japanischen Hentaiklischees angelehnte Darstellung als gnadenlose Überzeichnung gedacht ist, lässt sich nur schwer beantworten. Sicherlich ist alles an „Tokyo Gore Police“ größer, bizarrer und expliziter als in anderen asiatischen Splatterfilmen. Da spritzt das Blut fontänenartig aus den Körpern, der Polizeifunk wird von einer schrillen Moderatorin geführt und zwischen die einzelnen Szenen werden kurze Werbespots für die brutale Polizei sowie besonders chice Pulsadermesser geschnitten. Einen (medien-)satirischen Charakter kann man dem Film aber trotz dieser an Paul Verhoevens RoboCop und Starship Troopers erinnernden Werbespots nicht zusprechen. Dafür werden die Spitzfindigkeiten genauso offensichtlich in den Hintergrund gedrängt wie die spärliche Geschichte der vaterrächenden Polizistin. Nishimuras Film ist einfach ein wilder, zügelloser Zusammenschnitt von blutigen Action- und Ekelszenen, der sich abseits des Hollywood-Lackes orientiert und aus jeder Pore seinen Trash-Charakter ausschwitzt. Dabei erwecken die interessant choreographierten Mutantenkämpfe noch nicht einmal dauerhaft den Anschein einer Billigproduktion. Neben der guten Choreographie von Tak Sakaguchi („Versus“, „Azumi“) überraschen die Actionmomente vor allem aufgrund der ruhigen, übersichtlichen Inszenierung.
Dass auf diesem Jahrmarkt der Absurditäten Eihi Shiina als einziges Ensemblemitglied einen akzeptablen Eindruck hinterlässt, überrascht kaum. Zwar ist ihre Vorstellung noch weit von der eiskalten Audition-Psychopathin entfernt – als Identifikationsfigur sammelt sie aber die notwendigen Sympathiepunkte.
„Tokyo Gore Police“ ist ein wüster Splatterfilm, den man sich optisch am besten als die Ecstasyphantasie eines sich durch das Fetischreich wühlenden Guillermo del Toros (Hellboy, Pans Labyrinth) vorstellt. Jegliche Stoppschilder des guten Geschmacks überfährt Yoshihiro Nishimura ohne mit der Wimper zu zucken. Dass der Spielfilmdebütant bei dieser rasanten Fahrt zeitweise die Orientierung verliert und sich in inhaltlichen Sackgassen verheddert, wird den geneigten Genrefreund nicht sonderlich stören. Vielmehr wird dieser mit offenem Mund den Asiatrip genießen – während die breite Masse nur ungläubig den Kopf schütteln wird…