Seine Heiligkeit der 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso, verbringt diese Tage viel Zeit mit Erklärungen. Gemeint sind weniger bloße Unterweisungen in tibetischem Buddhismus, als dessen geistliches Oberhaupt er verehrt wird. Vielmehr muss er sich und seine Ziele erläutern, um der ständigen Uminterpretation seiner Person Herr zu werden. Vom indischen Exil in Dharamsala aus sucht er den Ausgleich mit der chinesischen Politik, die nicht müde wird, ihre Seperatismusvorwürfe zu erneuern. Und bei uns? Ob als Projektionsfläche westlicher Spiritualismus-Sehnsucht oder als Popstar des Pazifismus, stets sind seine Auftritte zugleich Politikum und Medienspektakel. Da bleibt oft wenig Raum für das, was er eigentlich sein möchte, nämlich ein einfacher Mönch mit einer wichtigen Botschaft: Ändert euch selbst, bevor ihr versucht, die Welt zu verändern. In der westlichen Hemisphäre, einer strikt ergebnisorientierten Welt, sind Weitsicht und innere Ausgeglichenheit als unumgängliche Basis einer Friedensidee allerdings schwer zu verkaufen. Wie schwer, das zeigt sich vor allem dann, wenn selbst interessierte und willige Zuhörer häufiger über ihre Egos als die großen Konflikte unserer Zeit stolpern. Mit Khashyar Darvichs „Dalai Lama Renaissance“ ist dieser tragikomische Eiertanz jetzt in Spielfilmlänge zu bestaunen. Ursprünglich sollte etwas ganz anderes im Zentrum der Dokumentation stehen: das „Synthesis“-Projekt. 40 Denker und Wissenschaftler trafen sich im Frühjahr 2000 in Dharamsala, um untereinander und mit dem Dalai Lama zu einem interdisziplinären Dialog anzusetzen. Nicht weniger als die gemeinsame Suche nach Lösungen für die globalen Probleme des jungen Jahrtausends hatte sich die bunte Truppe zum Ziel gesetzt.
Dass daraus nichts wurde, lässt der Titel schon vermuten. So wenig hier eine „Renaissance“, also eigentlich die kulturelle Wiedergeburt antiker Konzepte, stattfindet, so sehr steht der Dalai Lama im Zentrum des Geschehens. Schnell wird ersichtlich, dass die Teilnehmer des „Synthesis“-Projektes neben dem Weltrettungskongress noch ein anderes Ziel teilen: die Audienz bei seiner Heiligkeit. In einer entlarvenden Sequenz wird in versammelter Mannschaft über private Besuchstermine abgestimmt. Wessen Wohlbefinden nicht erklärterweise von dieser Begegnung abhängt, wird höflich gebeten, seinen Platz in der Warteliste zu räumen. Eine aufgeregte Teilnehmerin berichtet gar von ihrem Albtraum, als einzige unter großer Schar auf ein persönliches Lob des Dalai Lama verzichten zu müssen. Wie so oft wird hier ein hemmungsloser Personenkult gefeiert, während sein Subjekt offensichtlich an Inhalten interessiert ist.
Doch Inhalte sind in „Dalai Lama Renaissance“ Mangelware. Da streiten sich erregte Gemüter um eine Tagesordnung, die kreativ sprudelnde Gespräche unterbrechen würde. Was aber sprudelt denn da? Nicht eine einzige Sequenz zur Abbildung des tatsächlichen „Synthesis“-Dialoges hat es in den fertigen Film geschafft. Damit verfehlt Darvich jeden dokumentarischen Anspruch. Was bleibt, ist eine geschlagene Stunde kollektive Selbstinszenierung eingebildeter Pfauen, die sich über einfach alles – nur nicht das eigentliche Projekt – streiten. Auch Darvich wird das seltsam vorgekommen sein, und so finden sich im Verlauf des Films auflockernde Intermezzi, die etwa die Busfahrt nach Dharamsala, tibetische Volkstänze oder indische Armutsviertel zeigen. Mit knappen Aufnahmen hungriger Kinder wird auf missklingend prätentiöse Weise die Dringlichkeit des „Synthesis“-Projekts untermauert; die Tibet-Impressionen verkommen zur esoterischen Spielerei.
Den dazugehörigen Off-Kommentar steuert übrigens kein geringerer als Harrison Ford (Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels), respektive sein deutsches Synchronpendant Wolfgang Pampel, bei. Keine große Sache, denn seit Richard Geres Privatkontakt zum Dalai Lama ist Tibet-Engagement auch in Hollywood en vogue. In Tibet scheint sich nach Ansicht der „Synthesis“-Gruppe ohnehin das Schicksal der Welt zu entscheiden. Und so stürzen sich Religionswissenschaftler, Physiker und Alt-Hippies mit Anlauf in blindwütigen Aktionismus, schlagen große Sanktionen gegen China vor und bitten den Dalai Lama um die Absegnung ihrer Maßnahmen. Der sitzt wie gewöhnlich vergnügt glucksend daneben und freut sich über den Handlungswillen seiner Gäste. Doch ebenso spürt er, wie ziellos die hochtrabenden Ambitionen sind, und beginnt – freundlich, aber bestimmt - das „Synthesis“-Projekt zur Selbstfindungsreise umzukrempeln.
Dalai Lama bedeutet frei übersetzt soviel wie „Ozean der Weisheit“. Weisheit - das heißt für den einfachen Mönch Tenzin Gyatso vor allem das langfristige Wohl der Menschheit im Auge zu behalten. Und so lehnt er offensive Druckmittel als Lösungsmaßnahme konsequent ab. Wie etwa wirtschaftliche Sanktionen gegen China, die letzten Endes nur den einfachen Menschen schaden und die politischen Fronten weiter verhörten würden. Die letzten 20 Minuten des Films gehören ganz dem Dalai Lama und dienen als starker Gegenpol zum vorigen, aufgeblasenen Treiben. Er betont, dass das tibetische Volk keinen Sonderstatus einnehmen dürfe, dass der Kampf gegen Elend und Unterdrückung ein weltweiter sei. Ein wenig verwirrt sehen sie alle dabei aus, die hilfsbereiten Westler, die seine Ideen der Weitsicht und Langfristigkeit erst in ihr ergebnisorientiertes Denken integrieren müssen.
Ist das einmal geschafft, ergehen sich die „Synthesis“-Teilnehmer in Luftsprüngen über die Weisheit seiner Heiligkeit und freuen sich, von ihren Egos geheilt worden zu sein. Ob sie ihrer privaten Erleuchtung einen Schritt näher gekommen sind, oder einem Placebo-Effekt erliegen, wird nicht ersichtlich und ist auch nicht von Belang. Wichtiger wäre dokumentarische Zielstrebigkeit gewesen. Leider bleibt völlig nebulös, ob das Projekt stimmige Konzepte erarbeiten konnte und was Darvich eigentlich erzählen möchte. Werner Herzogs Rad der Zeit hat mit großem Respekt und ohne esoterischen Ballast vermittelt, wie die Lehren des einfachen Mönchs als gelebte und mühsame Praxis aussehen. Mit schnellen Ergebnissen und romantischen Erleuchtungsphantasien hat das nicht im Ansatz zu tun. Dank des gut eingefangenen Einspruchs seiner Heiligkeit schafft „Dalai Lama Renaissance“ es, diesen Irrglauben und damit eine weit verbreitete West-Perspektive auf den Buddhismus vorzuführen. Eine neue Erkenntnis oder gar ein dokumentarischer Erfolg ist das allerdings nicht.