Allzu selbstverliebter (und überlanger) Rape-and-Revenge-Reißer
Von Karin Jirsak„Lover“ steht unter ihrem Auge, das O mit einem Pentagramm gefüllt. In der Nussschale eines Gesichts-Tattoos seiner Heldin serviert Regisseur Nick Cassavetes („John Q – Verzweifelte Wut“) hier bereits die – nennen wir es mal – Quintessenz seines neuen Films. Als Vorlage für seinen flachen Actionthriller diente ihm der gleichnamige Roman von Boston Teran. Im Zentrum der Geschichte steht ein christlicher Cop, der sich in eine unchristliche Gruppierung einschleusen muss, um seine Teenager-Tochter zu retten. Zur Seite steht ihm dabei eine junge Frau namens Case, und auch die eignet sich wahrlich nicht dazu, sie sonntags mit in den Gottesdienst zu bringen – nicht nur wegen des Gesichtsschmucks.
Ein an sich nicht uninteressanter Antagonismus, aus dem sich sicherlich ein prickelndes Filmerlebnis hätte formen lassen. Zumal Cassavetes einen charismatischen Cast gewinnen konnte: Mit Maika Monroe („It Follows“), „Game Of Thrones“-Star Nikolaj Coster-Waldau, Karl Glusman („The Idol“) und Jamie Foxx („Ray“) hätte „God Is A Bullet“ auch eine runde Sache werden können. Cassavetes ist jedoch viel zu sehr in seine prätentiöse Ästhetik verliebt, um seine Figuren ernst zu nehmen und eine spannende Geschichte zu erzählen. Und so ist „God Is A Bullet“, jedenfalls im 156-minütigen Director's Cut, den wir auf dem Fantasy Filmfest gesehen haben, vor allem eins: LANG.
Bob (Nikolaj Coster-Waldau) muss erst mal seine christliche Good-Guy-Attitüde hinter sich lassen, um gegen Cyrus (Karl Glusman) auch nur den Hauch einer Chance zu haben…
Als niemand die Tür öffnet, verschafft sich Bob Hightower (Nikolaj Coster-Waldau) selbst Zugang zum Haus seiner Ex-Frau, wo auch die gemeinsame Tochter Gabi (Chloe Guy) lebt. Im Inneren erwartet den Cop ein Bild des Grauens. Die Mutter seiner Tochter und ihr neuer Ehemann wurden brutal ermordet, Gabi offenbar entführt. Da seine Kollegen versagen, beginnt Bob, auf eigene Faust zu ermitteln. Die Spur führt ihn zu Case (Maika Monroe). Die junge Frau berichtet von einem satanistischen Kult, der einst auch sie in seiner Gewalt hatte. Zwar gelang ihr die Flucht, doch die traumatischen Erlebnisse haben Case gezeichnet. Dennoch erklärt sie sich bereit, Bob bei der Suche nach seiner Tochter zu helfen und ihrem Erzfeind Cyrus (Karl Glusman) noch einmal gegenüberzutreten…
Gott ist eine Patrone. Die titelgebende Metapher erklärt Case ihrem gläubigen Begleiter wie folgt: Vor Gott und vor dem Lauf einer Kanone sind wir alle gleich. Und das ist auch schon einer der gewitzteren Gedanken, die uns hier über den Weg kommen. Potenzial hätte es dabei durchaus gegeben: Aus den fundamentalen philosophischen Differenzen zwischen Case und Bob hätte Cassavetes, der auch das Drehbuch verfasste, wahlweise sowas wie Tiefgang oder Humor schürfen und seiner Romanverfilmung so mehr Würze verleihen können. Doch er entscheidet sich lieber für eine fade Suppe aus einfallsloser Gewalt und halbgarer Lovestory.
Die sich hier im Angesicht der Gefahr Annähernden könnten indessen kaum unterschiedlicher sein: Case eine Frau Mitte zwanzig, die man, genau wie die gesamte Satans-Gang, der Optik nach auch an einem späten Sonntagmorgen im Berghain antreffen könnte. Schön, cool, traumabedingt aber auch ziemlich kaputt, wie die immerzu ungekämmte, blonde Mähne und auch die schwarz verfärbten Einstiche in ihrer Armbeuge deutlich machen. Geschädigt – ja. Aber auf der Schaf-vs.-Wolf-Menschenbildskala, die uns hier einmal mehr aufgetischt wird, ist diese Lady sicherlich nicht unter den Schafen zu finden. Im Gegensatz zu Bob. Ein (zunächst) untätowierter, gesund aussehender Cop mittleren Alters und eben nicht der Typ Wolf, den es für die Befreiung der Tochter eigentlich braucht. Das hat natürlich auch mit seinem Glauben zu tun, den er Case dann auch bei erstbester Gelegenheit aufzuschwatzen versucht. Es ist ja nicht Zumutung genug, dass die mit Mühe und Not Entkommene ihr Leben für das seiner Tochter aufs Spiel setzt!
Plump auch die Darstellung des Satanskults, die sich neben der rohen Gewalt und einigen pseudo-philosophischen Aphorismen auf oberflächliche Codes beschränkt. Umgedrehte Kreuze (Anführer Cyrus hat gleich zwei davon unter den Augen) und Pentagramme in Gestalt von – natürlich – Tattoos, ein paar an die Wände gekritzelte satanische Verse und hier und da mal ein bisschen Opferblut, das muss reichen. Was den Gore-Faktor angeht, darf eine Szene, in der sich eine Bauchwunde und ein Tacker notgedrungen vereinen, bereits als Höhepunkt bezeichnet werden. In den Actionszenen holpert das Timing, auch die Wahl der Waffen sorgt hin und wieder für unfreiwillige Komik.
Gewohnt Badass: Maika Monroe als Case!
Und so reduziert sich die Motivation, bis zum Ende im Kinosessel sitzenzubleiben, auf die letzten Endes enttäuschte Hoffnung, Cassavetes möge wenigstens die folgenden Fragen zufriedenstellend beantworten: (Wie) Kann Bob seine Tochter aus den Fängen des Kults befreien? (Wann) Wird er endlich sein Kruzifix abnehmen? Und werden wir Case irgendwann in einer Hose sehen, die ihre Pobacken ganz bedeckt? Was Letzteres betrifft, hat der Voyeurismus, mit dem die Kamera sie (gerade als Opfer sexueller Gewalt!) immer wieder betatscht, zudem auch einen ziemlich unangenehmen Beigeschmack. Schade auch für Maika Monroe, deren Leinwandpräsenz einmal mehr zu flashen weiß und auf die hoffentlich bald wieder bessere blutige Drehbücher warten.
Fazit: Schöne Menschen mit Gesichtstattoos und hier und da ein paar Spritzer Blut: Anstatt interessante Konflikte und die Psychogramme seiner Charaktere auszuformulieren, entscheidet sich Nick Cassavetes für eine gehaltlose und viel zu lange Rape-and-Revenge-Story von der Stange. Schade um die charismatischen Stars!
Wir haben „God Is A Bullet“ beim Fantasy Filmfest 2023 gesehen, wo die originale Director’s Cut Fassung des Films (und nicht die kürzere internationale Fassung) gezeigt wurde.