Über den Sinn und Unsinn von Feinstaubgesetzen lässt sich bekanntlich streiten. Feinstaub ist dann auch das kleinste Problem, das die Bewohner eines kleinen Dorfs im Nordwesten Spaniens bedrückt. Stattdessen pustet ein potentes Kohlekraftwerk unentwegt rußige Wolken über das idyllische Tal. Pflanzen, Tiere und Menschen leiden unter der ständigen Belastung durch den permanenten Ascheregen. Kyoto ist zwar in aller Munde, doch passiert ist bis dato nichts. Im Spannungsfeld zwischen Weltpolitik und mikroskopischer Betroffenheit, im Einzugsbereich widersprüchlicher Gesetze und ruraler Naturverbundenheit, siedelt José Antonio Quirós seine skurril-melancholische Umweltkomödie „Federicos Kirschen“ an. Der Spanier erzählt die fiktive Geschichte eines asturischen Bauern, der seit dreißig Jahren vergebens gegen den Betonkoloss ankämpft. Mit viel Esprit, einem originellen Setting und interessanten Charakteren gelingt dem Regisseur ein Wohlfühlfilm mit melancholischer Schlagseite, dessen Stärken einige dramaturgischen Schwächen überwiegen.
Der schottische Reiseführerautor Pol Ferguson (Gary Piquer) darf nach einer Autopanne in einem kleinen asturischen Dorf einem besonderen Moment beiwohnen: der Geburt des kleinen Kalbs „Kyoto“. Taufpate ist der eingesessene Obstbauer Fenerico (Celso Bugallo), der seit nunmehr dreißig Jahren mit viel Erfindergeist gegen das lokale Kohlekraftwerk ankämpft. Seine Hoffnungen setzt er neuerdings vor allem ins Kyoto-Protokoll. Der schottische Globetrotter ist schnell fasziniert vom energischen Idealismus des exzentrischen Asturiers. Dank spanischer Gelassenheit verschiebt sich die Weiterreise zudem Tag für Tag und Pol taucht immer weiter in die Dorfstrukturen ein. In der hübschen Spanierin Cristina (Clara Segura) findet er bald einen Grund mehr, den Reparaturprozess nicht zu beschleunigen. Doch bald schon muss der Schotte feststellen, dass nicht alle Federicos stoischen Ehrgeiz teilen und es unter der gastfreundlichen Peripherie mächtig brodelt…
José Antonio Quirós entfaltet seine originelle Komödie mit viel Lokalkolorit und garniert sie immer wieder geschickt mit politischen Farbtupfern. Im Zentrum steht mit Federico eine tragikomische Figur, ein moderner Don Quijote, der sich gegen das qualmende Ungetüm auflehnt und immer wieder Enttäuschungen zu verkraften hat. Quirós weiß mit diesem literarischen Vorbild vortrefflich zu jonglieren. Es ist vor allem die wohldosierte Mischung aus Melancholie, charmanter Komik und authentischen Bilder, die den Film so sehenswert macht: Aus den bunten Ingredienzen resultiert eine sympathisch-eigenartige Welt, der sich nicht nur der schottische Gast nicht mehr so leicht entziehen kann. Zusammen mit dem Reisenden taucht man immer weiter in den dörflichen Mikrokosmos ein, der immer neue Facetten der Figuren und ihrer Sorgen und Nöte offenlegt. Pate dürfte dabei vor allem Bill Forsyths „Local Hero“ gestanden haben, der seinerzeit auf schottischem Boden spielte. Hier setzt Quirós mit der cineastischen eine historische Referenz, die auch im musikalischen Anstrich ihren Ausdruck findet: Die Musikstücke im Stile der Música Celta spiegeln die keltischen Wurzeln des Fürstentums wider.
Leider verliert der Regisseur seine sehr sorgfältige Erzählweise im letzten Drittel zunehmend aus den Augen. Die liebevoll aufgebauten Charaktere büßen im hektischen Crescendo an Kontur ein. Besonders schonungslos verfährt er dabei mit seinem schottischen Aspiranten, dem schlicht kein Epilog gegönnt ist. Nichtsdestotrotz überzeugen die vielen kleinen Wendungen und Anspielungen im finalen Akt, zumal es gelingt, den am Horizont drohenden Pathos weitgehend schadlos zu umschiffen.
Mit Celso Bugallo (Das Meer in mir) steht darüber hinaus ein Charismatiker vor der Kamera, der die Ambivalenz seiner Hauptfigur überzeugend transportieren und dem unbändigen Frohsinn seines spanischen Lokalhelden eine bewegend-tragische Seite abgewinnen kann. Doch auch der weniger prominente Teil des Cast macht seine Sache durchweg gut. Gary Piquer (Somniac) erinnert mit seinem schottischen Charme ein wenig an eine gealterte Version von Henry Ian Cusick („Lost“), während Clara Segura und Beatriz Rico („Radio Love“) mit spanischem Temperament und scharfen Kurven die Leinwand in Schwingung versetzen.
Fazit: „Federicos Kirschen“ ist charmantes Programmkino mit einem tragikomischen Helden, der in anachronistischer Anmut gegen die qualmenden Erben der Don Quijoteschen Windmühlen aufbegehrt. Was über weite Strecken den Charakter einer feinfühligen Sozialstudie annimmt, wird letztlich aber etwas zu rasch zu Ende erzählt. Nichtsdestotrotz legt Quirós ein zu Herzen gehendes Kinodebüt vor, das seine Umweltbotschaft nie über die erzählte Geschichte stellt.