Der Beginn des neuen Jahrtausends markiert den Zeitpunkt, mit dem ein neuer Trend in der westlichen Gesellschaft entstand. Das so genannte „Homing“ versetzte den sozialen Lebensmittelpunkt in die eigenen vier Wände, in denen die Menschen nunmehr lebten als dort nur noch zu wohnen. Das Kino verlor im Gegenzug viele Besucher, die Filme jetzt lieber privat im Kreis von Freunden konsumierten. Das Medium, das dies mitunter ermöglichte, fand sich in der DVD. Diese wiederum wurde im Zug dessen aufgewertet. Waren zu früheren Zeiten oft nur der Film in verschiedenen Sprachfassungen und einige Zusatzinfos in Form von Bildern oder Texttafeln mit ergänzenden Informationen darauf, nimmt das Bonusmaterial inzwischen oft mehr Raum ein, als das Hauptwerk. Damit etablierte sich ein Blick hinter die Kulissen der Filmoberfläche, die dem Zuschauer ermöglicht, den Filmschaffenden ein wenig in die Karten zu schauen. Mit „Science Of Horror“ von Katharina Klewinghaus kommt eine Dokumentation in die Kinos, die ein ähnliches Unternehmen verfolgt, wie die Beiträge in den Extramenüs. Leider schafft es Klewinghaus auch nicht, sich qualitativ von dieser Art Zusatzinformation abzuheben, auch wenn vieles von dem, was gesagt wird, prinzipiell interessant ist.
Der eigentliche Auftrag, den sich „Science of Horror“ stellt, ist es, die feministische Filmtheorie, die sich seit einigen Jahren im wissenschaftlichen Diskurs etabliert hat, in einer Dokumentation darzustellen. Dazu werden, neben den einschlägigen Fachfrauen für den Bereich viele Filmschaffende zum Thema interviewt sowie Ausschnitte aus Horrorfilmen gezeigt, die das Erläuterte veranschaulichen sollen. Dabei folgt der Film einer Reihe von Topics, die nach und nach zum eigentlichen Thema, der feministischen Lesart, hinleiten. So dürfen sich Größen des Genres wie Wes Craven (Nightmare - Mörderische Träume, Scream), John Carpenter (Halloween, Die Klapperschlange) oder Neil Marshall (Doomsday) zunächst zu recht allgemeinen Problemen bei der Produktion von Horrorfilmen äußern, wie sie im Falle der Zensurbeschränkungen vorliegen. Aber auch generelle Effekte werden erläutert, wie dem der kathartischen Wirkung solcher Filme, insofern sie einen sicheren Rahmen bieten, innerhalb dem archaische Gefühlswelten ausgelebt werden können. Dies alles dient der Vorbereitung, um auf die wesentlichen Aspekte wie Pornographie und Gender zu sprechen zu kommen. Die Darstellung gipfelt letztlich in der Analogie von Kettensäge und Phallus.
Regisseurin Katharina Klewinghaus verwendet letztlich drei verschiedene Methoden, um ihre Zuschauer mit Informationen zu versorgen: Allen voran sind das Interviewszenen mit Akteuren vor und hinter der Kamera, also Schauspielern, Regisseuren und Produzenten, sowie solchen, die auf universitärem Parkett zuhause sind. Diese Szenen machen den größten und wichtigsten Teil der Dokumentation insgesamt aus, da hier die Themen, denen sich der Film annimmt, entwickelt werden. Dazu kommen als Anschauungsmaterial diverse Filmausschnitte aus Klassikern des Genres, die von den Experten erläutert werden und einen guten Einblick in die Geschichte des Horrorgenres vermitteln. Als dritte Vermittlungsinstanz werden kurze, animierte Comics verwendet, die auf witzige Weise ihren Teil zur Wissensvermittlung beitragen.
Das größte Problem von „Science Of Horror“ findet sich auf der formalen Ebene der Dokumentation, was durchaus verwunderlich ist. Schaffen es doch in letzter Zeit immer mehr Dokus in die Kinos, die einen sehr hohen künstlerischen Eigenwert verfolgen, obwohl sie „lediglich“ Informationen präsentieren. Die Kamerafrau Ellen Kuras (Shine A Light, „Lou Reed’s Berlin“) brachte es im Interview auf dem diesjährigen Talent Campus der Berlinale auf den Punkt: „Dokumentarfilme müssen nicht scheiße aussehen, um wahrhaftig zu sein.“ Damit trifft Kuras mitten ins Schwarze, wenn es um die Beurteilung der Kinotauglichkeit von „Science Of Horror“ geht. Die Variationsbreite der Gestaltungsmittel, die hier zum Einsatz kommen, hält sich nämlich in sehr engen Grenzen. Fast lieblos trennen harte Schnitte die immergleichen Interviewszenen von dem Filmmaterial und den Animationen. Gerade mal zu Beginn des Films, als der Einsatz von Musik in Horrorfilmen verhandelt wird, sind ironischerweise dumpfe, düstere Töne im Hintergrund zu den Aussagen zu hören, die eben die Wirkung davon erklären. Ein guter Einfall, der aber allein auf weitem Felde dasteht.
Eine kleine Schwierigkeit stellt sich zudem bei der Frage ein, welches Publikum der Film ansprechen möchte. Sicherlich suggeriert der Titel, dass es um wissenschaftliche Erkenntnisse geht, denen ein Forum geboten wird. Doch dürften wissenschaftlich Kundige in „Science Of Horror“ kaum Neues und Interessantes erfahren. Sowohl was die Auswahl der erläuternden Beispiele betrifft, als auch die vorgestellten Thesen. Der Gewinn selbst für eingefleischte Fans des Horrorgenres ist fraglich, da für diese die Darstellung der Wirkmechanismen und die gesellschaftspolitische Dimension der Filme eher zweitrangig sind. Für diese Gruppe lohnt sich der Film jedoch eventuell aufgrund der guten Auswahl der beitragenden Personen, die mitunter mit ihren klugen und teils lustigen Aussagen überraschen. So bleibt noch die Gruppe der Genre-Neulinge: Eine mögliche Gefahr für diese besteht darin, dass manchmal zuviel vorausgesetzt wird, um in allen Details zu folgen und andererseits zuviel verraten wird, wie beispielsweise das Ende Neil Marshalls The Descent.
Vielleicht wird „Science Of Horror“ irgendwann einmal das Opfer der Bedingungen seines Entstehens, und endet als Bonusmaterial auf diversen DVDs, wo er von Fans des Homingmovements nach einem guten Horrorstreifen gesehen wird. Aufgrund seines ästhetischen Anspruches würde er da ohnehin besser passen als auf die Kinoleinwand.