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    Jerichow
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Jerichow
    Von Christian Horn

    Das Drama „Jerichow“ ist der neue Film von Christian Petzold. Wieder mit Nina Hoss und Benno Führmann, die nach „Wolfsburg“ nun zum zweiten Mal gemeinsam in einem Petzold-Film spielen. Petzold gehört neben Thomas Arslan (Ferien) und Angela Schanelec (Nachmittag) zu dem, was Filmkritiker den inneren Kreis der „Berliner Schule“ nennen. Eine wirkliche Schule ist es indes nicht, denn es gibt weder ein Manifest, noch eine enge Zusammenarbeit. Vielmehr besteht jeder der drei Regisseure auf sein eigenes, autonomes Werk. Und dennoch ist es keine Willkür, dass Kritiker die drei ehemaligen dffb-Studenten unter dem Sammelbegriff „Berliner Schule“ (zum erweiterten Kreis sind etwa noch Christoph Hochhäusler, Benjamin Heisenberg, Ulrich Köhler, Valeska Grisebach und Jan Krüger zu zählen) einsortieren. Georg Seeßlen fasste das Gemeinsame dieser Regisseure mal so zusammen: „Man sieht etwas, das man jeden Tag sieht und von dem man im gleichen Moment bemerkt, dass man es nie gesehen hat.“ Die Filme der „Berliner Schule“ zeichnen sich durch eine auffällige Nähe zum Alltäglichen aus; sie beobachten präzise, zeigen ihre Figuren beim Autofahren, Essen, Nichtstun und entwickeln auf diesem Fundament langsame, unaufgeregte und dennoch wuchtige Geschichten. Sie konzentrieren sich auf die Form, verzichten auf jeglichen Firlefanz und lassen dem Zuschauer sehr viel Raum zur eigenständigen Reflexion. Es wird nicht alles ausgesprochen, es gibt oftmals keine Antworten und dadurch wird eine erhöhte Aufmerksamkeit des Betrachters und ein Vertiefen in die Figurenkonstellationen unabdingbar. Diese Filme nun als Gegenkino zum deutschen Mainstream zu bezeichnen, würde wohl etwas zu weit gehen; zumindest machen Petzold, Arslan und Schanelec kein erklärtes Gegenkino. Es gibt kein offenes Auflehnen gegen „Opas Kino“ wie im Zuge des Neuen Deutschen Autorenfilms der Sechziger und Siebziger und auch keinen cinephilen Großangriff auf festgefahrene Erzähltraditionen wie in der französischen „Nouvelle Vague“. Und dennoch ist der Begriff, den die französische Filmfachzeitschrift „Cahiers du Cinéma“ der „Berliner Schule“ gegeben hat, nachvollziehbar: „Nouvelle Vague Allemand“.

    Prignitz ist ein gespenstisch verlassener Ort. Hier treffen der Türke Ali (Hilmi Sözer, Süperseks) und der Ex-Soldat Thomas (Benno Fürmann, Nordwand) zufällig aufeinander: Ersterer sitzt nach einem Autounfall apathisch vor seinem Auto und Thomas fährt ihn nach Hause. Als Ali wenig später seinen Führerschein verliert, engagiert er Thomas als Fahrer. Ali besitzt in den brandenburgischen Dörfern rund um Jerichow ein paar Imbissbuden und Dönerläden, die er täglich beliefern muss und die ihn wohlhabend gemacht haben. Ali vertraut Thomas. Und das, obwohl er immer und überall Betrug wittert. Seine Mitarbeiter in den Imbissen sind für ihn vor allem potenzielle Betrüger, die etwas vom Gewinn der Läden in die eigene Tasche stopfen wollen. Alis Frau ist die attraktive, sehr abweisend und unterkühlt wirkende Laura (Nina Hoss, Anonyma). Thomas fühlt sich schnell zu Laura hingezogen und dieses Interesse wird bald erwidert: Hinter Alis Rücken beginnen die beiden eine Affäre.

    Es ist die alte Dreiecksgeschichte, die Petzold als dramaturgisches Grundgerüst dient, wobei er sich an James Cains Roman „The Postman Always Rings Twice“ orientiert; also jenem Roman, der bereits 1981 mit Jack Nickolson und Jessica Lange in den Hauptrollen verfilmt wurde. Aber auch hier gilt: Es kommt nicht darauf an, was ein Film erzählt, sondern wie er es tut. Laut „Berliner Schule“ ist es eben die Inszenierung, die einen Film in erster Linie ausmacht.

    Und die ist in „Jerichow“ überaus klar, präzise und schnörkellos. Zwischen zahlreichen Autofahrten findet der Film seinen ganz eigenen Rhythmus. Eine Szene folgt logisch auf die andere und der Blick Petzolds verdichtet sich auf seine drei Protagonisten. Es gibt keine wesentlichen Nebenhandlungen oder Exkurse, keine Seitenpfade; ganz gradlinig steuert der Film auf sein Finale zu. Das wesentliche Leitmotiv ist das liebe Geld. Hierzu Christian Petzold: „Jetzt, wo der Film fertig ist und wir ihn mit etwas Abstand sehen konnten, waren wir überrascht. Es gibt keine Szene, in der nicht das Geld ist: Als Bild, als Tauschwert, als Betrug und als Mittel zur Anschaffung.“ Ob Thomas eine Anzahlung von Ali bekommt, Laura Geld vor ihrem Gatten versteckt oder Ali den Tagesumsatz akribisch aufzeichnet: Geld scheint das Medium zu sein, das alle drei Figuren verbindet. Selbst die Liebe kommt nicht ohne aus: „Man kann sich nicht lieben, wenn man kein Geld hat“, sagt Laura zu Thomas. Das Motiv nutzt Petzold aber keineswegs (nur) zur Gesellschaftskritik. „Jerichow“ verweist nicht explizit nach außen, schon gar nicht mit erhobenem Zeigefinger. Alles, wovon der Film handelt, ist das Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren.

    Ein weiteres zentrales Motiv ist das Beobachten aus einem Versteck heraus. Thomas steht nachts vor Alis Haus und schaut heimlich in die Küche, Ali im Gegenzug fährt seiner Laura heimlich hinterher. Etwa in der Mitte des Films nutzt Petzold dieses Motiv für einen Kniff, als Ali in die Türkei fliegen will und Thomas ihn zum Flughafen fährt. Zuvor schon ist die heimliche Affäre zwischen Thomas und Laura ständiger Bedrohung ausgesetzt: Der misstrauische Ali könnte jederzeit überraschend auftauchen, zumal Thomas und Laura einmal Sex haben, während Ali im Nebenzimmer schläft, oder sich wild küssen, während Ali hinter der nächsten Ecke steht. Am Flughafen nun hat der Zuschauer das Gefühl, dass der gehörnte Ehemann seinen Flug nur vortäuscht, um die beiden in flagranti zu erwischen. Von nun an nutzt Petzold vermehrt beobachtende Kameraperspektiven: Ist es Ali, der da guckt? Platzt er gleich in die Szene? Es ist minimalistischer Suspense, den Petzold hier entfaltet. Der Zuschauer weiß mehr als die Figuren und dadurch entsteht eine immer größer werdende Spannung. Doch die Auflösung läuft in eine andere Richtung.

    „Jerichow“ ist die bisher kompakteste Arbeit von Christian Petzold. Liefen seine beiden vorherigen Filme, Gespenster und Yella, Gefahr, zu sehr zu verkopfen und dadurch unzugänglich zu werden, ist der neue Petzold ein Film, der sich vor allem durch eine klare Struktur, eine beinahe mathematische Komposition und Geschlossenheit auszeichnet. Und trotzdem bleiben Leerstellen und Freiräume für den Betrachter, sich den Figuren und Ereignissen auf eigene Faust zu nähern. Ein formal wie inhaltlicher reifer Film, der den alten Klassiker von den beiden Männern zwischen der Frau geschickt inszeniert, es an der Kinokasse – wie jeder „Berliner Schule“-Filme – allerdings nicht leicht haben wird.

    Linktipp: Interview mit Regisseur Christian Petzold.

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