Vor einigen Jahren stand Großbritannien im Filmgeschäft vor allem für makaber-düsteren Humor. Während diese Rolle mittlerweile höchst erfolgreich von den nordischen Staaten (Adams Äpfel, How To Get Rid Of The Others) ausgefüllt wird und Frankreich mit seiner neuen Härte für Furore sorgt, besinnt sich das Empire inzwischen wieder auf den guten, altbewährten Suspense-Klassiker. In seinem Debüt „Hush“ schickt Mark Tonderai das Publikum gemeinsam mit seinem Helden auf einen höchst dramatischen Horrortrip, in dem die Spannung nicht nur durch den Magen, sondern auch durch den Kopf geht. Jagt Zakes vielleicht nur einem Phantom hinterher? Wenn nicht, dann kann sich dieser wenig erfolgreiche Junge von nebenan jedenfalls nicht auf einen unbesiegbaren Stahlkörper à la Bruce Willis verlassen. Vielmehr braucht es Köpfchen, um mit dem Fahrer des weißen Lastwagens fertig zu werden…
Eine nächtliche Straße im Dauerregen, ein streitendes Pärchen im Auto, das sekundenkurze Aufblitzen eines Verbrechens und die Frage, ob man letzterem nachgeht oder es einfach übersieht. Das Setting klingt nicht ganz unbekannt. Regisseur und Drehbuchautor Mark Tonderai versteht es aber, die Story so zu inszenieren, dass die Spannung gleichermaßen aus der lebensgefährlichen Verfolgungsjagd und dem psychologischen Drama um den Kampf mit sich selbst entsteht. Held Zakes (William Ash) ist zunächst der klassische Loser: Als erfolgloser Autor, der bisher keines seiner Bücher fertig geschrieben hat, verdient er sich seine Brötchen als Plakatierer. Seiner Freundin Beth (Christine Bottomley) geht seine Unentschlossenheit und sein fehlendes Durchsetzungsvermögen auf den Geist. Als er in einem weißen Laster für Sekundenbruchteile eine eingesperrte Frau zu sehen meint, erklärt er mit einem offensichtlich folgenlosen Anruf bei der Polizei seine Pflicht für erfüllt. Beth jedoch fordert von ihm, selbst aktiv zu werden. Als seine Freundin am nächsten Rasthof plötzlich spurlos verschwindet, erwacht in Zakes endlich der Kampfgeist und er nimmt die Verfolgung des Lastwagens auf.
Tonderai lässt seinen Antihelden nicht plötzlich zu einem Ritter ohne Furcht und Tadel mutieren. Vielmehr zeigt er, wie Zakes sich durch seine Versuche, anderen den Fall zu überlassen, immer tiefer in eine scheinbar ausweglose Situation hineinmanövriert. Statt der erhofften Hilfe von der Polizei wird selbst zum Verdächtigen. Langsam begreift er, dass er auf sich gestellt ist und niemanden hat, der ihm seine Verantwortung abnehmen könnte. Verfolgt von widrigen Umständen entwickelt er eine ungeahnte Zähigkeit in einem Katz-und-Mausspiel mit erstaunlich vielen Unbekannten bei vergleichsweise wenig auftretenden Personen.
Gerade die Tatsache, dass Zakes zu Beginn weder körperlich noch charakterlich einem typischen Helden gleicht, lässt dem Zuschauer einen Schauer nach dem anderen über den Rücken laufen. Man fiebert mit diesem unbeholfenen Mann, der erst in höchster Not seine Trümpfe ausspielt, indem er seinen Grips einsetzt. Bis auf sehr wenige und gezielt eingestreute Momente weiß der Zuschauer nicht mehr als Zakes selbst. Die Angst, niemandem mehr trauen zu können, setzt sich unweigerlich fest. Bei soviel Suspense kann Tonderai es sich leisten, auf sichtbare Gewalt weitgehend zu verzichten. Die wenigen, geschickt gesetzten Schockszenen sind effektiv genug. Das nicht zuletzt deshalb, weil „Hush“ sich trotz ständiger Bewegung im Freien und vieler Fahrten fast kammerspielartig auf ein sehr begrenztes Personal konzentriert. Der Held steht nicht einem Heer von ungreifbaren Gegnern gegenüber, es sind immer Auseinandersetzungen von Mensch zu Mensch, auch wenn man manchen von ihnen nie ins Gesicht sehen kann. Diese Reduktion auf das Wesentliche überträgt Theo Green auch auf seine Musik. Er verzichtet auf bekannte Muster und laute Effekte, sondern transportiert stattdessen die angespannte, von schleichendem Misstrauen geprägte Verfassung des Protagonisten in einem unaufdringlichen, aber umso eindringlicheren Score.
Der bisher vor allem im TV arbeitende William Ash meistert diesen Parforceritt großartig. Jederzeit nimmt man ihm ab, dass er aus purer Verzweiflung tut, was er tut und dabei sowohl sich selbst als auch anderen gegenüber eine Konsequenz im Handeln entwickelt, die ihm selbst fremd ist. Es ist nicht zuletzt sein Verdienst, dass man in dieser langen, unerbittlichen Nacht emotional keinen Schritt von seiner Seite weicht und vor allem zu Beginn innerlich hofft, er möge doch nicht so naiv sein.
Die Story fesselt zwar durch einige überraschende Wendungen, sie lässt jedoch auch einige logische Fragen offen und erlaubt sich den einen oder anderen Widerspruch. Das tut der Spannung nicht wirklich einen Abbruch und verstärkt an manchen Stellen die Identifizierung mit dem Helden. Am Ende jedoch muss das eine oder andere einfach als gegeben hingenommen werden und es wäre erfreulich gewesen, wenn hier noch etwas mehr Sorgfalt in das Drehbuch investiert worden wäre. Sieht man darüber hinweg, bleibt ein durch und durch nervenaufreibender Thriller der gehobenen Klasse.