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    Der Einzelkämpfer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Der Einzelkämpfer
    Von Björn Becher

    Das Genre des italienischen Polizei- und Gangsterfilms, der von Ende der Sechziger bis Anfang der Achtziger seine Blütezeit erlebte und auch „Poliziesco“ oder „Poliziottesco“ genannt wird, ist breit gefächert. Zum einen gibt es Klassiker wie die „Milieu“-Trilogie („Milano Kaliber 9“, Der Mafiaboss, „Der Teufel führt Regie“) von Fernando Die Leo, Elio Petris bitterböse, Oscar-prämierte Satire „Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“ oder Enzo G. Castellaris „Racket“, die auch heute noch großes Kino sind. Es gibt aber auch Perlen, die kaum noch im Fokus stehen und teilweise nur noch einer kleinen Schar von Filmfans ein Begriff sind. Zu diesen fast verschollenen Schmuckstücken gehört auch Stelvio Massis „Der Einzelkämpfer“ (auf Video auch unter dem Titel „Die gnadenlose Jagd“ erschienen), der trotz einiger klangvoller Namen nicht zu den bekannteren Werken des Polizeifilms gehört und auch nur auf den ersten Blick den typischen Genregeln folgt. Die - genreüblich - recht simple Geschichte ist hier lange Zeit überraschenderweise nicht nur für den Zusammenhalt blutiger Actionszenen zuständig, sondern wird ungewöhnlich langsam und sorgfältig erzählt. Wenn Regisseur Massi in der zweiten Hälfte dann richtig loslegt, wird aus „Der Einzelkämpfer“ plötzlich ein ungemein packender Film, der zudem verdammt gut aussieht.

    Mit enormer Brutalität und Skrupellosigkeit überfallen einige als Filmteam getarnte Gangster, die von dem mysteriösen „Mann aus Marseille“ (Gastone Moschin) angeführt werden, einen Geldtransport, wobei ein Polizist sein Leben verliert. Der von der italienischen Polizei eigentlich zu Interpol abgestellte Inspektor Tomas Ravelli (Tomas Milian) zeigt schnell ein besonderes Interesse an dem Fall. Schließlich kam bei einem ähnlichen Überfall vor Jahren in Marseille seine Frau im Kreuzfeuer der Banditen um. Obwohl Ravelli eigentlich nicht zuständig ist, reißt er gemeinsam mit seinem alten Freund und Kollegen Brigadiere Lavagni (Mario Carotenuto) die Ermittlungen an sich. Von Rache getrieben heftet sich das Duo an die Fersen der Täter…

    Der „Poliziesco“ entstand, auch inspiriert von dem Erfolg der Dirty Harry-Reihe, Anfang der Siebziger. Dank des Italo-Westerns boomte die italienische Filmindustrie eh, und hier bot sich ein weiteres Feld für harte, schonungslose Filme. Die Storys sind meist simpel, aber die Regisseure setzen halt andere Schwerpunkte: Optik und Action! Die Filme, die häufig mit Farbgebung und Kameraeinstellungen experimentieren, sehen fast alle gut aus. Im Vordergrund, noch vor der visuellen Ausgestaltung, steht aber natürlich die Action. In diesem Genre kracht es an allen Ecken und Enden, Verfolgungsjagten und Schießereien wohin man auch schaut. Nackte Frauenbrüste fehlen ebenso wenig wie Polizisten, die das Gesetz in die eigene Hand nehmen. Der Umgang mit dem Thema Selbstjustiz ist oft fragwürdig, sind die Protagonisten italienischer Polizeifilme doch nur selten Anhänger der Unschuldsvermutung im Speziellen und Bürgerrechten im Allgemeinen. Dennoch sind viele der Filme so unterhaltsam, dass selbst der aufgeklärte Zuschauer auch heute noch seinen Spaß an ihnen haben kann.

    „Der Einzelkämpfer“ folgt zu Beginn klar dem üblichen Schema des Genres. Nach einem imposanten Auftakt mit dem Überfall und der Vorstellung des Hauptcharakters und seiner Motive scheint die Sache klar. Doch dann überrascht die frühe Regiearbeit des langjährigen Kameramanns Stelvio Massi. Statt nun gleich zur gnadenlosen Jagd, wie es der deutsche Videotitel ankündigt, überzugehen, schlägt der Film zunächst deutlich ruhigere Töne an. Auf Inspektor Ravelli wartet erst einmal dröge Ermittlungsarbeit und ein langwieriges, schwieriges Sammeln von Indizien, die eine Spur bedeuten könnten. Das ist natürlich deutlich realistischer (aber auch weniger unterhaltsam) als der genretypische Aufbau, bei dem ein scheinbar unverwundbarer Cop die Bösewichte nach und nach aus dem Weg räumt. Die dialoglastige und actionarme erste Filmhälfte ist daher phasenweise sehr schwergängig. Allerdings hat dieser Aufbau auch seine positive Seite. Die beiden Protagonisten, Cop Ravelli und der mysteriöse Mann aus Marseille, werden detaillierter als üblich vorgestellt. Denn während Ravelli ihn sucht, plant der Anführer der Gangster gemeinsam mit seiner Geliebten Marta (Stefania Casini, Suspiria), den Rest der Bande übers Ohr zu hauen.

    Die zweite Hälfte bietet dann genau das, was die Fans erwarten: Action satt! Und die ist über weite Strecken hochklassig. Die Handlung verlagert sich zwar aus der Großstadt Mailand rauf aufs Land, aber auch dort kracht es gewaltig. Massi hatte ein für das Genre überdurchschnittliches Budget zur Verfügung und haut davon in spektakulären Actionszenen nun alles, was er im ruhigeren ersten Teil einsparen konnte, gnadenlos raus. Da spritzt nicht nur das rote Kunstblut, es gibt auch Explosionen und eine zwar sehr kurze, dafür aber extrem rasante (und blutige) Autoverfolgungsjagd.

    Fazit: „Der Einzelkämpfer“ macht trotz oder gerade wegen zweier unterschiedlicher Halbzeiten viel Spaß - in der ersten Hälfte ein eher realistischer und ruhiger Polizeithriller, in der zweiten ein harter und mit Kunstblut nicht geizender Poliziottesco. Dazu sind mit Tomas Milian (Der Gehetzte der Sierra Madre, Traffic) und Gastone Moschin (Der Pate II, Fahrt zur Hölle, ihr Halunken) zwei Top-Schauspieler in den Hauptrollen zu sehen. Sicher bleibt „Der Einzelkämpfer“ hinter den stärksten Genrevertretern ein Stück zurück, dennoch ist er ein Beweis dafür, dass das italienische Kino Mitte der 1970er Jahre eine Hochzeit erlebte.

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