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    Sportsfreund Lötzsch
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Sportsfreund Lötzsch
    Von Jens Hamp

    Mit der richtigen Förderung hätte Wolfgang Lötzsch sie wahrscheinlich alle hinter sich gelassen. Den talentierten, aber trainingsfaulen Jan Ullrich. Deutschlands erfolgreichsten Sprinter Erik Zabel. Und mit etwas Glück hätte er auch Tour-de-France-Rekordgewinner Lance Armstrong ein Schnippchen schlagen können. Den 1952 geborenen Chemnitzer hinderte jedoch nicht nur die frühe Geburt an einem sportlichen Aufeinandertreffen. Von wesentlich größerer Bedeutung war eine Mauer, die in Deutschland hochgezogen wurde und das Land für fast dreißig Jahre auch optisch in zwei Teile trennte. Im Osten des Landes eckte „Sportsfreund Löstzsch“ an. Er lebte nicht nach den Vorstellungen der DDR-Sportführung und wurde schließlich von staatlicher Seite an einer Weltkarriere gehindert. Diesem unfreiwilligen Widerstandskämpfer widmeten Sandra Prechtel und Sascha Hilpert nun eine Dokumentation, die bereits den Publikumspreis auf der Dokumentarfilmwoche in Leipzig erringen konnte.

    Nach eindrucksvollen Erfolgen im Jugendbereich wurde der Chemnitzer als das größte Talent des DDR-Radsportes gefeiert. Die erste wegweisende Etappe in der Geschichte des vermeintlichen Volkshelden sollte die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1972 in München werden. Doch aus Angst vor Republikflucht wurde der neunzehnjährige Lötzsch zum Amateur degradiert. Eine Teilnahme an der Olympiade war somit unmöglich. Begründet wurde dieser einschneidende Schritt mit dem bisherigen Auftreten des Ausnahmetalents. Er verweigerte sich der Partei, kritisierte den Staat und hegt immer noch Kontakt zu seinem vor acht Jahren in den kapitalistischen Westen geflüchteten Cousin.

    In den folgenden Jahren begann für Lötzsch ein – eigentlich ungewollter – Kampf gegen das System. Sein einziger Lebensinhalt war das Radfahren und diese Leidenschaft ließ er sich auch nicht durch staatliche Hindernisse nehmen. Er trainierte mit großem Ehrgeiz weiter. Alleine, ohne staatliche Förderung, mit veraltetem Rennradrahmen und ohne Aussicht auf die Teilnahme an den prestigeträchtigen Radrennen. Im Amateurbereich, für den er noch startberechtigt war, fuhr er allen davon und selbst bei einem Qualifikationsrennen für die Olympischen Spiele 1976 in Montreal ließ er die gesamte DDR-Radsportspitze meilenweit hinter sich. Im Winter 1976 war schließlich eine Lappalie Auslöser für die vermeintlich endgültige Zugrunderichtung Lötzsch. Er wurde von der Volkspolizei aufgegriffen. Ihm platzte der Kragen, lautstark wetterte er gegen den unfähigen Staat und wurde schließlich zu einer zehnmonatigen Haftstrafe verurteilt.

    Die für das Drehbuch und die Regie verantwortlichen Sandra Prechtel und Sascha Hilpert unterhielten sich ausgiebig mit Lötzsch und den ihm nahe stehenden Zeitzeugen. Auf ziemlich sachliche Art und Weise wird dabei die Lebensgeschichte des Chemnitzers aufgerollt. Insbesondere in den Interviews mit dem Radsportler ist bestens zu erkennen, welche Auswirkungen diese schwere Zeit auf ihn hatte. Er ist ein schweigsamer Eigenbrödler geworden. Oftmals sitzt er stumm der Kamera gegenüber, die Antworten sind meist knapp und auf den Punkt gebracht. Selbst während eines Besuches der Zellen des Staatsgefängnisses bewahrt er die Contenance und berichtet nüchtern weiter. Einzig bei seiner heutigen Tätigkeit als Mechaniker des Milram-Continental-Rennstalls und einer flüchtig beobachteten Geburtstagsfeier bricht Lötzsch aus dieser reservierten Haltung aus. Hier umgeben ihn die Menschen, denen er vertrauen kann. Nicht wie die vermeintlichen Freunde der DDR-Zeit, die ihn hinterrücks für die Stasi ausspionierten.

    Seine Weggefährten sind dagegen redseliger. Annerose Berger plaudert viel aus dem Nähkästchen. Sie erzählt von den vergangenen Tagen und dem Beginn der Radrennkarriere. Sie versuchte ihm Rückhalt zu geben und war – letztlich hoffnungslos – in Lötzsch verliebt. Ebenso von zerschlagenen privaten Träumen kann Gabriele Nitsche berichten. Sie war einst mit dem Sportler verheiratet. Doch seine Leidenschaft für das Radfahren war zu groß. Während ihrer Plauderei hat Nitsche auch den wohl menschlichsten Augenblick im gesamten Film. Als sie aus einem Brief der Haftanstalt vorliest, stößt sie auf eine Textpassage in der Lötzsch von seinen Zukunftsplänen berichtet. Er wolle mit ihr in die BRD übersiedeln und dort eine Familie gründen. Diese – ihr scheinbar unbekannten – Absichten bringen Gabriele Nitsche etwas aus der Fassung. Die Kamera blendet auf ihren Wunsch ab.

    Um einen runden und viel sagenden Eindruck vermitteln zu können, werden diese Impressionen des Privatmannes Lötzsch mit Zeitzeugen der „offiziellen“ Seite angereichert. Der einstige Trainer Werner Marschner, nunmehr fast neunzigjährig, berichtet von seinen Versuchen, dem jungen Talent die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1972 zu ermöglichen. Er wollte gar für Lötzsch Rückkehr bürgen. Doch jegliche Schreiben an die Verantwortlichen blieben erfolglos. Wolfgang Schoppe, damaliger Leiter der Betriebssportgruppe Aufbau Centrum Leipzig, weigerte sich Lötzsch für die Staatssicherheit auszuspionieren und wurde daraufhin seines Amtes enthoben. Aber nicht nur Freunde des Ausnahmetalents kommen zu Wort. Mit Heinz Engelhardt wird der ehemalige Stasileiter der Abteilung für Kultur, Kirche, Untergrund und Sport interviewt – und seine Aussagen zählen mit zu den interessantesten des gesamten Films. Er respektiert mittlerweile den aufopferungsvollen Kampf des Rennfahrers, wirkt aber noch immer etwas gefangen in der Ideologie der DDR. Er versucht das Vorgehen des Staates zu rechtfertigen, wirft im gewissen Maße Lötzsch vor, dass er stets mit dem Kopf durch die Wand zu gehen versuchte. Dabei hätte er doch mit ein wenig Anpassung seine Träume verwirklichen können.

    Aufgelockert werden die zahlreichen Interviews mit aussagekräftigen Zeitdokumenten. Der junge Lötzsch beim Trainieren, Kurzberichte über die Radrennen oder Einblicke in die Siegerehrungen. Diese Ausschnitte vermitteln ein stimmiges Bild der vergangenen Ereignisse und sind für eine Dokumentation über das Leben des Mannes, der nicht Weltmeister werden durfte, unersetzlich. Jedoch strecken Prechtel und Hilpert ihren Film auch mit unkommentierten Szenen, in denen Lötzsch beim steifen Tanzen in der Disko zu erleben ist. Sicherlich vermitteln diese Momente den eigenbrötlerischen Charme des Chemnitzers, diesen Eindruck gewinnt man allerdings auch schon während der Interviewszenen.

    Unter dem Strich bietet die mit eingängiger, bewegungsintensiver Elektromusik (komponiert von Jan Tilman Schade) unterlegte Dokumentation „Sportsfreund Lötzsch“ einen interessanten Einblick in das Leben des Radrennfahrers. Ohne unnötige Effekthascherei berichten Sandra Prechtel und Sascha Hilpert über die zahlreichen Tiefschläge, die Wolfgang Lötzsch als erfolgreichster Amateurradrennfahrer in der DDR hinnehmen musste. Das Sportlerporträt büßt allerdings an Qualität ein, weil die Filmemacher zu vehement versuchen, den Film auf Kinofilmlänge zu dehnen. Trotz dieses Mangels verbleibt „Sportsfreund Lötzsch“ für Freunde des Radrennsportes ein sehenswerter Blick in die Vergangenheit.

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