Zu Beginn fällt ein Schuss. Er zerreißt die nächtliche Stille, die eben noch das elegante, von viel Geld, aber auch von einem erlesenen Geschmack zeugende Haus des erfolgreichen Arztes Samuel und seiner Frau Suzanne erfüllte. Ein Ehedrama ist an seinem tragischen Endpunkt angekommen. Nur bleibt in diesem Moment noch offen, was gerade geschehen ist. War es ein Mord oder ein Selbstmord? Die Geschichte springt daraufhin erst einmal ein paar Monate zurück, in eine Zeit, in der in diesem perfekten Haus noch alles in Ordnung war. Aber der Klang des Schusses hallt von diesem Augenblick an durch Catherine Corsinis überragende Dreiecksgeschichte „Die Affäre“. Dramen wie dieses wurden natürlich schon unzählige Male erzählt, im Kino wie auf der Bühne, in Romanen wie in Songs, und genau darauf baut die französische Filmemacherin, deren Filme („Les Amoureux“, „Die neue Eva“, „La Répétition“) in Deutschland bisher viel zu wenig Beachtung gefunden haben. Erinnerungen an Gustave Flauberts „Madame Bovary“ und Leo Tolstois „Anna Karenina“, an James M. Cains „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ und D.H. Lawrences „Lady Chatterley“ schwingen in jeder Szene von Catherine Corsinis erstaunlichem Meisterwerk mit und verstärken noch seine bittere Tragik wie auch seine analytische Tiefenschärfe.
Jahrein, jahraus hat sich Suzanne (Kristin Scott Thomas, Der englische Patient, So viele Jahre liebe ich dich) mit ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau begnügt. Wirkliche Liebe hat sie schon lange nicht mehr mit ihrem Mann, dem vom Erfolg verwöhnten und darüber selbstgefällig gewordenen Arzt Samuel (Yvan Attal, München, Anthony Zimmer), verbunden. Ihre Ehe ist nur noch Gewohnheit, eine Zweckgemeinschaft, aus der auszubrechen Suzanne aber nie eingefallen ist. Nun soll sich aber zumindest in beruflicher Hinsicht etwas für sie ändern. Sie möchte wieder als Physiotherapeutin arbeiten. Samuel unterstützt sie dabei sogar und finanziert den Umbau des alten Schuppens auf ihrem Grundstück. Dort soll Suzannes Praxis entstehen. Um Geld zu sparen, engagiert er den gerade aus dem Gefängnis kommenden Spanier Ivan (Sergi López, Malen oder Lieben, Pans Labyrinth). Suzanne fühlt sich vom ersten Moment an zu dem Arbeiter hingezogen. Zunächst zögert sie noch, aber schon bald lässt sie sich einfach fallen und stürzt so in eine ihr Leben bis in seine Grundfesten erschütternde Affäre…
Catherine Corsini bleibt immer an der Seite Suzannes. Nach dem Schuss ist vor dem Schuss, und die Drehbuchautorin und Regisseurin ist ausschließlich an der Perspektive ihrer tragischen Liebenden interessiert. Die Männer existieren alleine so, wie Suzanne sie wahrnimmt – als zwei Pole, in deren Spannungsfeld sie vergehen muss. Samuel ist ein kultivierter, alles genau berechnender Mann der Worte und des Geldes. Wenn er handelt, dann mit seinem Scheckbuch. Yvan Attal verströmt von Anfang an die Arroganz des Erfolgs. Aber wie so viele, die in ihrem tiefsten Herzen unsicher sind und an sich selbst zweifeln, benutzt er seine Arroganz zugleich wie eine Waffe und wie ein Schild. Suzannes Sicht auf ihren Mann ist alles andere als schmeichelhaft, und Attal scheut nicht einen Moment davor zurück, abstoßend zu sein. Sein Porträt dieses Mannes, der alles nur mit Geld regeln kann und auch Menschen für seinen Besitz hält, ist absolut furchtlos, und gerade deswegen letztlich doch in hohem Maße berührend.
Ivan ist ein enorm körperlicher, ganz und gar impulsiver Mann der Tat, einer, der immer erst handelt und sich gar nicht verstellen kann. Die Klarheit seines Tun, seiner Motive und seiner Gefühle ist es auch, die Suzanne so in ihren Bann schlägt, die ihre Leidenschaft schließlich zur Obsession und ihre Liebe zur Amour fou werden lässt. Von Sergi López geht in den von Agnès Godard so präzise und dabei mit ungeheuer viel Anteilnahme photographierten Filmbildern eine einzigartige Gravitationskraft aus. Seine physische Präsenz zieht nicht nur Kristin Scott Thomas’ Suzanne zu ihm hin, sie ist auch mächtiger als die Leinwand selbst. Das Massige von López’ Körper wird im Verlauf des Films zu einem immer wesentlicheren Faktor. Es verleiht den Sexszenen zwischen Suzanne und Ivan ein enormes Gewicht, sie wirken so natürlich wie kaum sonst einmal auf der Leinwand.
Zwischen diesen beiden Männern kann sich Suzanne überhaupt erst selbst finden und muss sich dann selbst verlieren. Die Affäre wird zum Akt des Erwachens, der soziale Abstieg, der mit ihr einhergeht, gleicht einer Befreiung. Aber beides, das Erwachen und die Befreiung, sind alles andere als selbstverständlich und fordern zudem einen enormen Tribut. Bis Suzanne und Ivan erstmals miteinander schlafen, betont Kristin Scott Thomas vor allem die Zerrissenheit ihrer Figur, dieses unwiderstehliche Drängen hin zu dem Fremden und das gleichzeitige Zurückschrecken davor. Die Blicke, mit denen sie Sergi López sucht, die sich dann nicht mehr von ihm lösen können, haben etwas beinahe Magisches. Ganz selten nur gelingt es einer Schauspielerin und einer Filmemacherin, das Keimen und dann das Aufblühen einer Liebe, die alle Grenzen missachtet, so perfekt einzufangen.
Der Schuss hallt zwar die ganze Zeit nach und erinnert an den Abgrund, in den diese Liebe führen muss. Aber trotzdem durchströmen die erste Hälfte dieser modernen Tragödie eine Zärtlichkeit und eine Hoffnung, wie sie reiner und bezaubernder nicht sein könnten. Sie sind das Fundament, das es Catherine Corsini dann erlaubt, einen in seiner Radikalität geradezu ungeheuerlichen Bruch zu riskieren. Die Zartheit, mit der sie das Befeiende, das Erlösende der Liebe feiert, weicht schließlich einer ungeheuren Wut. Natürlich haben Suzannes Absturz und ihre blinde Obsession ebenso wie Samuels Perfidie, seine schon ans Pathologische grenzenden Vorstellungen von Liebe und Partnerschaft etwas von Kolportage. Catherine Corsini treibt ihre Erzählung mit aller Macht in Richtung Tragödie. Aber hinter diesem Furor steht eine in ihrer Kälte und Schärfe schon erschreckende Analyse der bürgerlichen Institution Ehe, die letztlich nur einen Zweck hat, ein dauerndes Machtungleichgewicht zu sanktionieren. Suzannes Ausbruch aus ihrer Ehe und ihrer Familie ist auch ein Ausbruch aus der kapitalistischen Ordnung, daran lässt Catherine Corsini keinen Zweifel. Nur duldet diese Ordnung eben keine Rebellion.