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    Lourdes
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Lourdes
    Von Sascha Westphal

    Der Blick einer Kamera ist zunächst immer objektiv. Solange sie nicht digital bearbeitet und damit manipuliert werden, zeigen ihre Bilder nur das, was die Kamera aufzeichnet, was ihre Linse sieht. Nur filmt eine Kamera eben nicht von alleine. Sie wird immer von einem Filmemacher positioniert und bewegt. Sein Blick und seine Ideen verwandeln so aber auch die gefilmten Bilder. Aus einer reinen Aufzeichnung, einem visuellen Protokoll, wird zwangsläufig etwas Inszeniertes. Diesem Widerspruch wird das Kino nie entrinnen. Das muss es auch gar nicht. Schließlich liegt in diesem ewigen Wechselspiel der Kräfte durchaus auch ein beachtlicher Reiz. Nur verleugnen die meisten Filmemacher die Dualität, indem sie sich alleine ihrer Vision hingeben und ihr jedes Bild Untertan machen oder indem sie ihren eigenen Einfluss zu kaschieren suchen und damit Objektivität heucheln. Der Österreicher Otto Preminger (Faustrecht der Großstadt, „Anatomie eines Mordes“) war einer der wenigen Filmemacher, der diesen fortwährenden Gegensatz nicht nur ausgehalten, sondern auch immer wieder ins Zentrum seines Schaffens gerückt hat. Nun folgt ihm seine Landsmännin Jessica Hausner („Lovely Rita“, Hotel) auf diesem Weg. Ihr spirituelles Drama „Lourdes“ stellt in jeder seiner grandiosen Einstellungen aufs Neue die Frage nach dem Verhältnis von objektiver Wahrnehmung und subjektivem Blick und zwingt den Betrachter damit, sich ohne Vorbehalte den fundamentalen Widersprüchen des Kinos wie des Lebens zu stellen.

    Christine (Sylvie Testud, Jenseits der Stille, Vengeance) ist eigentlich nicht besonders religiös und schon gar nicht der Typ für eine Pilgerreise – sei es nun nach Lourdes oder zu einem anderen Wallfahrtsort. Doch seit einigen Jahren ist die 33-Jährige, die seit ihrer Jugend an Multiple Sklerose leidet, an einen Rollstuhl gefesselt und braucht ständige Betreuung. Wenn sie einmal verreisen will, bleiben ihr nicht mehr viele Möglichkeiten. Also nimmt sie an Fahrten teil, die der Malteser Orden organisiert. So war sie schon in Rom, und nun ist sie mit nach Lourdes gefahren. Anders als viele ihrer Reisegefährten, die hoffen, an dieser heiligen Stätte wenigstens eine Linderung ihrer Schmerzen zu erfahren, und sich insgeheim sogar nach einem Wunder sehnen, hat Christine keinerlei Erwartungen. Sie lässt das ganze Pilgerprogramm einfach über sich ergehen. Doch dann passiert ausgerechnet ihr etwas ganz und gar Erstaunliches.

    Es fällt schwer, sich das idyllisch in den französischen Pyrenäen gelegene Lourdes heute noch als einen spirituellen Ort, als Schauplatz von Marienerscheinungen und Wundern, vorzustellen. Außer Geld scheint hier, an dieser durch und durch kommerzialisierten Wallfahrtsstätte, kaum noch etwas heilig zu sein. Die Sehnsucht nach Zeichen und Wundern ist nun einmal hervorragend fürs Geschäft. Also können die Tag für Tag zu Tausenden durch die Gassen und Höhlen strömenden Touristen und Pilger überall Marienstatuen und anderen religiösen Nippes kaufen. In wunderbar klaren, ganz und gar natürlich wirkenden Bildern fangen Jessica Hausner und ihr Kameramann Martin Gschlacht den ganzen Trubel ein.

    Die Enge, die zugleich aus den Hoffnungen der Gläubigen und den bis ins Kleinste durchorganisierten Regeln und Ritualen einer Pilgerstätte erwächst, ist in jeder dieser fast schon erschreckend perfekten Einstellungen zu spüren. Aber Jessica Hausner urteilt nicht. Sie beobachtet nur ganz genau und hält das Sichtbare wie auch das Unsichtbare mit der Red One fest, jener neuen digitalen Kamera, mit der Steven Soderbergh Che - Revolucion und Che - Guerrilla gedreht hat. Ihre mäandernden Zooms und ihre eleganten Kamerafahrten organisieren genauso wie ihre immer makellos getimten starren Einstellungen den Raum, indem sie ihn verdichten und auf die Menschen in ihm hin konzentrieren. Trotzdem nehmen die ständig wiederkehrenden Räume und Schauplätze nie metaphorischen Charakter an. So wie Jessica Hausner objektiv bleibt, bleiben auch sie einfach sie selbst.

    Alles und jeder kommt in „Lourdes“ zu seinem Recht. Christine steht zwar im Zentrum des Geschehens, sie ist im wahrsten Sinne Dreh- und Angelpunkt einer fast schon in Thriller-Nähe rückenden Geschichte um ein mögliches Wunder und seine Auswirkungen. Aber auch sämtliche Figuren um sie herum, die Pilger und ihre Begleiter, die Priester und die Schwestern, haben extrem klare und scharfe Konturen. Jessica Hausner rückt sie alle immer wieder in den Fokus ihrer Betrachtungen und bleibt dabei konsequent neutral. Was sie sieht, sind Missgunst und Neid, Verzweiflung und Einsamkeit, ein ungebremster Hang zum Tratsch und nicht selten der Verlust des Glaubens. Niemand ist hier ein Heiliger, die meisten sind sogar eher das Gegenteil, was aber eben nur heißt, dass sie Menschen sind.

    Jeder, der sich klare Antworten von „Lourdes“ erhofft, wird enttäuscht sein. Jessica Hausner hat sich ganz einem Konzept der radikalen Offenheit verschrieben. Sie bezieht keine Stellung, sondern zeigt einfach nur verschiedene Positionen und Ideen. Keine von ihnen ist besser oder wahrer als die andere, keine richtig oder falsch. Sie sind einfach nur gleichberechtigt und verdienen damit die gleiche Aufmerksamkeit von Seiten der Filmemacherin wie auch von Seiten des Betrachters. Diese existentielle Ambivalenz, die hier mit einer bewundernswerten ästhetischen Geschlossenheit einhergeht, auszuhalten, ist nicht immer einfach. Aber diese Form von Offenheit zählt sicher zu den größten Geschenken, die das Kino seinem Publikum machen kann.

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