Über den dunklen Fluten der Themse hängt, längst erschlafft, ein Mann am Galgenstrick. Was für ein grimmiges Bild! Es war Heath Ledgers letzter Auftritt und rückblickend liest sich Das Kabinett des Dr. Parnassus nahezu unvermeidlich als düstere Prophezeiung der Tragödie seines Todes. Ein Jahr später, im Dezember 2009, verstarb seine Schauspielkollegin Brittany Murphy - und der makabere Zufall wiederholte sich. Hier hat es das entsprechende Bild, das die leblos über einen Wannenrand gebeugte Schauspielerin zeigt, sogar auf das DVD-Cover von Sean McConvilles Grusel-Thriller „Deadline“ geschafft. Während auflagengeile Boulevard-Agenten bis zu 300.000 Dollar für ein authentisches Autopsiefoto boten, zog der US-Verleih Redbox das Cover samt Werbeplakatierung weihevoll aus dem Verkehr. Und produzierte damit erst recht Schlagzeilen. Die hehren Motive hinter der Rückrufaktion dürfen also zumindest angezweifelt werden. Abseits des traurigen Theaters entpuppt sich McConvilles Regie-Debüt als feinsinnig inszenierte Haunted-House-Variante. Zwar bedingen die formellen Grenzen des Subgenres eine bedenklich überraschungsarme Dramaturgie. Dafür entfaltet „Deadline“ dank wogendem Drone-Soundtrack, gespenstischer Ausleuchtung und taktvoll ergründetem Raum eine wahrhaftige Geisterhaus-Atmosphäre.
Auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Freund quartiert sich die Drehbuchautorin Alice (Brittany Murphy, Sin City, Love And Other Disasters) erst bei ihrer Freundin Rebecca (Tammy Blanchard, Cadillac Records, Der gute Hirte) und schließlich im Landsitz eines Bekannten ein. In der Abgeschiedenheit des alten Gemäuers findet Alice die nötige Ruhe, um sich ihrer Schreibblockade zu stellen. Als sie auf eine Truhe voller Videobänder stößt, beginnt sie die Vorgeschichte des Ortes zu ergründen. Es ist die Geschichte von Lucy (Thora Birch American Beauty, Ghost World) und David (Marc Blucas, Mensch, Dave!, Der Jane Austen Club), der die Euphorie einer jungen Ehe und der nahenden Geburt eines Kindes auf Video festhält. Doch als der krankhaft eifersüchtige David vor laufender Kamera immer besitzergreifender wird, entwickelt auch das Bauwerk um Alice herum ein aufdringliches Eigenleben. Schnell dämmert ihr, dass hier etwas Schreckliches geschehen sein muss - und dass sie im immerwährenden Halbdunkel des Herrenhauses nicht alleine ist...
Artig spult „Deadline“ Haunted-House-Konventionen ab, von zuscheppernden Türflügeln über distanziertes Wehklagen bis hin zu seitwärts durch ach so trügerisch ruhige Einstellungen rauschenden Schemen. Sympathisch ist, dass McConville mit seinen Versatzstücken aus der Mottenkiste des Paranormalen gleich zur Sache kommt. So spart er die Idiotie einer Protagonistenriege aus, die auch inmitten umherfliegender Einrichtungsobjekte noch nicht verstehen will, dass Gespenster eben doch existieren. Hier gibt es kein redundantes Detektivgehabe mit triumphaler Fluchdiagnose, sondern mit Murphys intensiv gespielter Alice eine Figur, die dem Publikum ausnahmsweise nicht meilenweit hinterherhinkt: „I think someone died here.“ Weniger clever ist allerdings die überdeutliche Fährte, die McConville gen Schlusstwist auslegt, wenn er die Exposition um Alices Gewalterlebnis aufbaut und dabei dennoch betont vage bleibt.
Was „Deadline“ an struktureller Raffinesse abgeht, gleicht McConville mit einem hochkonzentriert inszenierten Ambiente aus. Das Fundament jeder stimmigen Haunted-House-Revue, der Schauplatz selbst, ist mit dem stets im unwirklichen Dämmerlicht gehaltenen Interior mehr als solide. In langen Einstellungen lässt McConville die Ausleuchtung mit ihren suggestiven Schattenwürfen wirken, tastet sich mit einer schlafwandelnden Kamera durch die Flure des detailliert ausgestatteten Herrenhauses. Immer wieder zirkuliert er geduldig um Alice und spiegelt damit die zunehmend raubtierhaften Handkamera-Kreise, die David um Lucy zieht. Die von Alice auffällig obsessiv mitverfolgten Szenen einer Ehe sind zwar arg vorhersehbar, funktionieren mit Thora Birchs genüsslich zur Schau getragenem Opfergestus und Marc Blucas invasiver Körperlichkeit aber dennoch.
Im Genrekosmos verortet sich „Deadline“ weniger im unmittelbaren Kreischkino, wie es zuletzt der Überraschungserfolg Paranormal Activity praktizierte. McConville nutzt das Format - ähnlich wie Juan Antonia Bayona mit Das Waisenhaus – vielmehr zur Ausformulierung eines Traumas: das Haus als Bildnis einer gepeinigten Seele. Sobald die Spukerscheinung Beethovens Mondscheinsonate klimpert, ist der tragische Impetus nicht mehr zu überhören. Immerhin: Mit der psychologischen Lesart des Haunted-House-Motivs werden die formelhaften Poltergeist-Auftritte ein wenig entstaubt. Vom Gros der Direct-to-DVD-Konkurrenz kann sich „Deadline“ so auch ohne Horror-Momentum absetzen - ganz gleich, in welcher Pose Brittany Murphy nun das DVD-Cover ziert.