Die Hauptfigur von „Kleine Tricks“, dem zweiten Spielfilm des polnischen Regisseurs Andrzej Jakimowski, unternimmt den Versuch, in das Schicksal einzugreifen und das Glück herauszufordern. Den ganz eigenen Blick auf die Welt und ihren Lauf teilt der kleine Junge Stefek mit der Titelfigur von Jean-Pierre Jeunets Erfolgsfilm Die fabelhafte Welt der Amélie. Trotz großer Unterschiede in der Inszenierung entsteht auch in Jakimowskis tragikomischer Parabel vor der Kulisse eines polnischen Dorfes im Sommer der ein oder andere mit der Magie von „Amélie“ vergleichbare Moment – gute Laune inklusive. Das Glück kann eben doch das Schicksal bezwingen.
Der kleine, vaterlose Stefek (Damian Ul) ist ein verträumter Eigenbrötler. Es sind Sommerferien und er streift mit seinen Zinnsoldaten, einer Handvoll Kleingeld sowie einer gehörigen Portion Phantasie ausgestattet durch sein Dorf: zum Bahnhof, zum See, durch die Gassen. Seine ältere Schwester Elka (Ewelina Walendziak), die sich gerade um einen neuen Job bemüht und mit Jerzy (Rafal Guzniczak) anbändelt, kümmert sich mütterlich um den Kleinen. Eines Tages, als Stefek sich mal wieder am Bahnhof rumtreibt und den Zügen nachsieht, glaubt er seinen Vater (Tomasz Sapryk) zu erkennen, der die Familie vor geraumer Zeit verlassen hat, aber auf seinem Weg zur Arbeit jeden Tag in Stefeks Dorf umsteigen muss. Von nun an unternimmt der Junge den Versuch, seinen vermeintlichen Vater den Zug verpassen zu lassen, damit der ins Dorf kommt und die Familie wieder vereint wird.
Erich Kästner schuf mit dem bereits mehrfach verfilmten „Das doppelte Lottchen“ eine der berühmtesten Varianten eines in Kindergeschichten sehr häufig vertretenen Erzählmusters: Jungen oder Mädchen, die die Trennung der Eltern rückgängig machen wollen, setzen alles daran, die Familie wieder zusammenzuführen. Die Hindernisse sind meist so gut wie unüberwindbar und daher hat die Erfüllung des Wunsches der Kinder oft einen märchenhaften Aspekt. Auch in „Kleine Tricks“ ist das nicht anders und der Film ist zuweilen von einer fast magischen Atmosphäre durchdrungen. Dazu tragen nicht zuletzt zauberhafte Bilder des Sommers und der gelungene Musikeinsatz bei. Unterstrichen wird die Stimmung der märchenhaften Momente durch den Kontrast zur sonst sehr lebensnahen Inszenierung. Mit dem Einsatz von Handkameras und von Laiendarstellern sowie einer Skizze des sozialen Milieus wird ein realistisches Ambiente geschaffen, in welches das Phantastische in regelmäßigen Abständen einbricht – allerdings auf sehr dezente, sozusagen schwebende Art.
In der Schwebe ist Jakimowskis Film tatsächlich über die ganze Spieldauer: „Kleine Tricks“ verliert nie die Bodenhaftung, wird aber auch nie geerdet, was ihm eine ganz eigene Aura verleiht. Jakimowski wechselt permanent zwischen Sozialstudie und Märchen, ohne sich je einem von beiden auf Dauer zu verschreiben. Die Balance gelingt letztlich dadurch, dass die Charaktere Träumer sind - das gilt für Stefek genauso wie für Elka - und Jakimowski liebevoll deren Sicht auf die Dinge zur Entfaltung kommen lässt. So gibt es drei Szenen, in denen die Geschwister dasitzen und Leute beobachten. In einer davon schauen sie einem Apfelverkäufer zu, der sich vor einem Supermarkt positioniert hat, aber – heute ist ganz offensichtlich nicht sein Tag – keine Kunden anziehen kann. Elka parkt ihren Einkaufswagen kurz entschlossen direkt neben dem traurigen Obsthändler. Der einfache Trick funktioniert: Die Kunden des Supermarkts stellen ihre Wagen nun auch an dieser Stelle ab, schnell bildet sich eine zweite Schlange und der Standort des Händlers ist plötzlich sehr begehrt. Ruckzuck sind die Äpfel weg und selbst die nun leere Kiste bringt der Verkäufer noch an den Mann. Elka hat mit dem Glück im Bunde in das Schicksal eingegriffen.
Die Episode mit dem Apfelhändler illustriert den Grundantrieb des ganzen Films, der im Kern davon handelt, wie der kleine Stefek das Schicksal mit kleinen Tricks lenken will, ganz so wie Amélie. Dass zu einem solchen Unternehmen auch eine Portion Beharrlichkeit gehört, macht Andrzej Jakimowski durch zahlreiche Wiederholungen deutlich. So bemüht sich Stefek zunächst mehrmals erfolglos darum, den Vater zum Gang in das Dorf zu bewegen. Der Versuch, die Tauben seines Nachbarn aus ihrem Verschlag zu locken, will dem Jungen auch nicht auf Anhieb gelingen. Nicht aufgeben und nicht an Rückschlägen verzweifeln: Das ist so etwas wie die Botschaft von „Kleine Tricks“, die sympathisch vermittelte Moral von der Geschichte. Jakimowskis stimmungsvolle Inszenierung sorgt dafür, dass der ebenso beschauliche wie herzliche Film den geneigten Zuschauer über die gesamte Spieldauer verzaubert.