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    Mahler auf der Couch
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Mahler auf der Couch
    Von Sascha Westphal

    So könnte es durchaus angefangen haben, mit der Kunst des 20. Jahrhunderts, mit der Moderne, mit dem Rausch der (Psycho-)Analyse. Der Komponist Gustav Mahler reist im Sommer 1910 Dr. Freud ins holländische Leyden hinterher. Er muss den berühmten Analytiker unbedingt sehen, aber sprechen will er eigentlich nicht mit ihm. Die Vorstellung, sich dem Anderen ganz zu öffnen, ist einfach zu beängstigend, zumal Freud ihm auch nicht gerade entgegenkommt. Dass sich der Komponist und der Psychoanalytiker getroffen haben, ist – wie eine Schrifttafel zu Beginn von Percy und Felix Adlons Künstlerdrama und Biopic „Mahler auf der Couch" verrät – historisch verbürgt. Doch was genau bei ihrer Begegnung geschehen ist, darüber gibt es keine Aufzeichnungen und Quellen. Alles, was während dieses Treffens geschieht, haben der einige Jahre lang recht erfolgreiche, trotz allem aber immer noch eher unbekannte Filmemacher Percy Adlon („Céleste", „Out of Rosenheim") und sein Sohn Felix („American Shrimps") – auch das verschweigt die Texttafel nicht – frei erfunden. Aber gerade das lässt die Geschehnisse umso wahrer erscheinen. Das erste gemeinsame Regieprojekt der beiden Adlons ist ein Fest der Imagination, ein modernistisches Delirium überhitzter Bilder und Emotionen, in denen sich ein ganzes Jahrhundert spiegelt.

    Seit Gustav Mahler (Johannes Silberschneider, „Silentium", „Die Perlmutterfarbe") einen vor Leidenschaft nur so brennenden Liebesbrief gefunden hat, den der junge Architekt Walter Gropius (Friedrich Mücke, „Schreibe mir - Postkarten nach Copacabana", „Friendship! (Friendship!)") an seine Ehefrau Alma (Barbara Romaner, „blindlings") geschrieben hat, ist er wie besessen von Eifersucht. Der Gedanke an Almas Affäre lässt ihn einfach nicht zur Ruhe kommen. Die Angst, er könnte seine beinahe 20 Jahre jüngere Frau an einen Anderen, Jüngeren, verlieren, treibt ihn an den Rand des Wahnsinns und gefährdet nebenbei noch seine Arbeit. In der Hoffnung, so Erlösung zu finden, sucht er Sigmund Freud (Karl Markovics, „Nanga Parbat", „Die Fälscher") in dessen Urlaubsdomizil in Leyden auf. Nur will er sich selbst eigentlich gar nicht analysieren lassen. Auf jeden Vorstoß des Psychoanalytikers reagiert er erst einmal abweisend. Doch schließlich lässt ihn seine Verzweiflung und seine immer weiter fortschreitende Zerrüttung gar keine andere Wahl. In Bruchstücken gibt er immer mehr von sich und seiner Ehe preis.

    Irgendwie passt „Mahler auf der Couch" so gar nicht ins das Bild, das der Name Percy Adlon heraufbeschwört. Natürlich gehörten schon seine gemeinsamen Arbeiten mit Marianne Sägebrecht, „Zuckerbaby", „Out of Rosenheim" und „Rosalie Goes Shopping", zu den skurrileren Produktionen des deutschen Kinos der 80er Jahre. Aber nichts in ihnen wies daraufhin, dass Adlon einmal in die Fußstapfen des englischen Regie-Enfant terrible Ken Russell treten würde. In den 70er Jahren hatte der streitbare Brite mit seinen Komponisten-Porträts „Tschaikowsky - Genie und Wahnsinn", „Mahler" und „Lisztomania" nicht nur das Genre des Biopic revolutioniert. Seine von bizarren Einfällen, melodramatischen Zuspitzungen und provokanten Thesen zur Geistesgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts nur so strotzenden Filme entdeckten zudem die klassischen Komponisten als frühe Popstars neu.

    Johannes Silberschneiders Mahler erinnert mit seinen perfekt in die Welt des Wiener fin de siècle passenden Zügen, die sogar ein wenig an die Werke Klimts gemahnen, zwar auf den ersten Blick nicht unbedingt an einen typischen Popstar. Ihm fehlt das Anarchisch-Schillernde von Russells Liszt genauso wie das Verträumte von dessen Tschaikowsky. Aber genau das ist auch sein Problem. Als in die Jahre gekommener Künstler, der nicht mehr zur Ikone der gerade angesagten (Jugend-)Kultur taugt, muss er in eine tiefe Sinn- und Schaffenskrise fallen. Seine von jugendlicher Leidenschaft genauso wie von einer manischen Sehnsucht nach Jugend getragene Ehe mit dem ersten echten Groupie der Kunst- und Kulturgeschichte nimmt dabei die typischen Popstar-Ehen und -Beziehungen vorweg. Wie Nico und Marianne Faithfull, an die Barbara Romaner nicht zufällig erinnert, schwankt auch Alma ständig zwischen den zwei Polen ihrer Persönlichkeit. Zum einen ist da dieser Wunsch, selbst als Künstlerin Anerkennung zu finden; zum anderen löscht sie sich in ihren Beziehungen und Affären mit berühmten Künstlern quasi selbst aus. Diese Zerrissenheit erweist sich dann auch in Freuds Analyse als zentraler Virus im System der Künstler-Ehe. Mahler will die Muse, das „Weibsbild", nicht die eigenständige Frau, die selbst komponiert. Bis zu einem gewissen Punkt kommt ihm Alma dabei entgegen, aber eben nicht ganz. Letztlich ist es also die kleinbürgerliche Mentalität des selbsternannten Genies, das es zu Fall bringt. Das ist dann nicht nur eine psychoanalytische Fiktion zweier Filmemacher, sondern auch der Befund eines Widerspruchs der die westliche Kultur bis zum heutigen Tag formt.

    Wie Ken Russell scheuen auch Percy und Felix Adlon nicht vor einer sich immer am Rand zum Kitsch bewegenden Melodramatik zurück. Dabei kommt ihnen die Musik Mahlers noch einmal entgegen. Benedict Neuenfels Kameraarbeit, diese irrwitzigen, immer leicht weichgezeichneten Bilder, die zudem meist noch ein wenig überbelichtet sind, und Esa-Pekka Salonens die erotischen Verstrickungen und großen Gefühlswallungen, die Mahlers Kompositionen durchziehen, noch einmal verstärkenden Interpretationen erzeugen eine innere emotionale Spannung, die sich zu jeder Zeit in einer emotionalen Eruption entladen könnte. Dieser ständige Überdruck, der im Kino der 70er Jahre fast eine Selbstverständlichkeit war, ruft in unserer Zeit der biederen Fernsehproduktionen, der geschmäcklerischen Amphibien-Filme und der in der Regel bewusst extrem zurückhaltenden Autorenfilme zunächst ein wenig Befremden hervor. „Mahler auf der Couch" fällt aus dem Rahmen und macht sich aufgrund seiner Naivität – Percy und Felix Adlon erweisen sich als große Naive des Kinos – angreifbar. Aber wer sich auf ihn einlässt, für den hat er etwas von einem erlösenden Befreiungsschlag.

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