Mein Konto
    Pink
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Pink
    Von Sascha Westphal

    „Nach diesem künstlerischen Befreiungsschlag ist alles möglich“, hat Filmstarts über Rudolf Thomes Das Sichtbare und das Unsichtbare geschrieben. Diese enorme Offenheit in Richtung Zukunft, diese überraschende und auch verstörende „Tabula rasa“-Mentalität machte Thomes Künstlertragödie zu einem Ereignis, einem Höhepunkt in seinem Schaffen, aber auch im deutschen Kino, das mit dieser Art von Freiheit meist so seine Schwierigkeiten hat. Nun hat diese Zukunft also begonnen. Und sie erweist sich tatsächlich als rosig, und das nicht nur, weil Thomes neuester Film den Titel „Pink“ trägt. Alles ist möglich in dieser ganz und gar schwerelosen Komödie, mit der er sich an einer ganz eigenen Form des Kino-Märchens versucht. Die Selbstverständlichkeit und die Naivität, mit denen er diese Geschichte von einer jungen Frau und ihren drei Männern erzählt, sind absolut entwaffnend. So etwas würde sich nicht einmal Hollywood trauen, dessen romantische Konventionen Thome zitiert, um sie dann umso lustvoller wieder zu unterlaufen.

    Pink (Hannah Herzsprung, Vier Minuten, Der Baader Meinhof Komplex, Der Vorleser) schreibt Gedichte und wird dafür von allen geliebt. Bei den Lesungen der „Punk-Dichterin“ stehen ihre Verehrer nicht nur bildlich, sondern gleich auch wörtlich Schlange. An diesem Abend sind es wie schon so oft Carlo (Guntram Brattia, Gegenüber), ein erfolgreicher Geschäftsmann, Georg (Florian Panzner, Operation Walküre, Lichter, Tattoo), ein aalglatter Verleger, und Balthazar (Cornelius Schwalm, Rauchzeichen). Nach der Lesung warten sie, jeder einen Blumenstrauß in der Hand, einträchtig auf Pink und machen sich dabei Hoffnungen – diesmal sogar zu Recht. Pink hat die Stimme Gottes vernommen, und die hat ihr gesagt, dass sie sich endlich entscheiden muss. Nach genauen, das heißt in diesem Fall mathematischen, Überlegungen fällt die Wahl auf Carlo. Und schon bald läuten die Hochzeitsglocken. Doch an ein „... und lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ ist bei diesem ungleichen Märchen-Paar nun wahrlich nicht zu denken…

    In einer typischen romantischen Komödie würde sich alles um die Erkenntnis drehen, dass sich Liebe nicht berechnen lässt, dass sich Gefühle weder um Logik noch um deren Tochter, die Mathematik, scheren. Auch Pink muss das lernen. Aber Rudolf Thome macht daraus keinen Lehrsatz und auch nicht die Moral von der Geschicht’. Die Dichterin verrechnet sich, das gehört einfach dazu. Diese Irrwege und falschen Entscheidungen lassen sich nicht trennen von der Freiheit, von der Thome erzählt und die er zugleich auch selbst in Anspruch nimmt. Alles, was in „Pink“ geschieht, die Hochzeiten und die Affären, ein Selbstmord und eine Beerdigung, die Enttäuschungen und das Glück, geschieht ganz und gar beiläufig. Thome verzichtet auf jede dramatische Überhöhung. Selbst wenn Pink zur Pistole greift und so ihren zweiten Ehemann, der sie betrogen hat, aus der Wohnung jagt oder wenn der nach der Trennung untröstliche Carlo sich in seinem Büro über den Dächern Berlins erhängt, passiert das einfach nur so. Das Außergewöhnliche ist in dieser erstaunlich realistisch wirkenden Märchenwelt genauso selbstverständlich wie das Gewöhnliche.

    „Pink“ ist der schnellste von Rudolf Thomes Filmen. Sein Tempo übertrifft letztlich sogar das der Komödien von Howard Hawks. Nur ist diese extreme Beschleunigung weniger eine Frage der Dialoge, deren Tempo dem Betrachter allerdings auch das eine oder andere Mal den Atem rauben kann. Sie resultiert vielmehr aus den zahlreichen Auslassungen und extremen Verdichtungen, die Thomes 26. Spielfilm so nachhaltig prägen. Wie die Dichterin Pink, deren Werke der Film nur streift, kommt auch Thome immer sofort auf den Punkt. Auf die Hochzeitsnacht mit Carlo und das erste – eben nicht gemeinsame – Frühstück folgt quasi umgehend Pinks Auszug aus dessen Wohnung. Die Wochen, die dazwischen liegen, gerinnen zu einem einzigen Schnitt. Carlos Beerdigung mündet sogleich in die Vorbereitungen zu Pinks zweiter Ehe. Zeit ist etwas Kostbares, auch im Kino, besonders wenn es die Nähe zum Gedicht sucht.

    Jede Szene ist eine Zeile, jede größere Sequenz eine Strophe dieses ganz und gar freien Filmpoems. Die Ellipsen sind der Raum dazwischen, den jeder Betrachter alleine für sich erkunden kann. Und wer sich darauf wirklich einlässt, wer dieses „Alles ist möglich“ als einmalige Einladung empfindet, den wird Thomes Poesie umfangen und verzaubern. Schon die Klarheit, die Präzision und die Schönheit der von Ute Freund komponierten Bilder sind überwältigend. Dabei bleiben sie immer ganz dem Augenblick, der Situation verpflichtet. Sie und Hannah Herzsprungs kontrolliertes, auf äußere Effekte weitgehend verzichtendes Spiel beschwören diesen rätselhaften Eindruck von Natürlichkeit herauf, der in diesem so wundervollen, spannungsgeladenen Kontrast zu den eher märchenhaften Geschehnissen steht. Mit diesem Film beweist der nunmehr fast 70-jährige Rudolf Thome einmal mehr, dass er auch mehr als 40 Jahre nach seinem Debüt, immer noch einer der Jüngsten und der Mutigsten unter den deutschen Filmemachern ist.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top