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    The Elephant King
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    The Elephant King
    Von Christian Schön

    Der Kapitalismus hat, wie die meisten Dinge, seine gute und seine schlechte Seite. Manchmal zeigt sich das an ein und derselben Eigenschaft. Zum Beispiel kennt das Kapital keine Grenzen. Das bedeutet zum einen, dass man mittels einer einheitlichen Währung in Europa sowohl hierzulande als auch zum Beispiel in Frankreich seine Brötchen kaufen kann. Wenn alles nach dem Willen der Erfinder läuft, bedeutet das in ferner Zukunft, dass sich auch so etwas wie eine geeinte europäische Kultur entwickeln könnte. Aber auch jenseits einer Währungszone kommt man mit Geld ziemlich weit. Der Tourismus beweist täglich, dass man, zumindest für eine begrenzte Zeit, fast überall überleben kann, wo Ware gegen Bares eingetauscht wird. Die Kehrseite dieses Umstandes liegt darin begründet, dass gerade in den ärmsten Ländern der Welt das Gefälle zwischen westlicher Währung und regionalem Gegenwert eklatant ist. Für die Besucher von armen Ländern, wozu auch das beliebte Urlaubsziel Thailand gerechnet werden kann, bedeutet das wiederum, paradiesartige Zustände vorzufinden. Plötzlich ist man Gott auf Erden und kann sich all seine Träume erfüllen. In Seth Grossmans „The Elephant King“ wird dies zur Ausgangslage für ein Familiendrama genommen.

    Jake (Jonno Roberts) stünde eine Karriere als Anthropologe bevor, wenn er sich nicht für ein völlig anderes Studium der Gattung Mensch entschlossen hätte. Er zieht es nämlich vor, sich nach Thailand abzusetzen, um dort sorglos die exzessive Seite des Lebens auszukosten. Gerne auch für immer. Seine Mutter (Ellen Burstyn) wünscht sich hingegen nichts sehnlicher, als ihren Sohn wieder zurück in Amerika zu haben. Hier wartet auf Jake neben beruflichen Erfolgsaussichten ein Gerichtsverfahren. Auf den Kosten bliebe im Zweifelsfall Jakes Mutter sitzen, die sich wiederum ebenfalls nach ihrem verdienten Ruhestand sehnt. Jakes Bruder und Nesthäkchen Oliver (Tate Ellington) wohnt noch zuhause bei seinen Eltern. Jake will ihm die Freuden der Welt näher bringen und versucht ihn zu überzeugen, ebenfalls nach Chiang Mai zu kommen. Olivers Mutter begrüßt dieses Vorhaben in der Hoffnung, Oliver könnte Jake zur Rückkehr bewegen. Als Oliver in Jakes neuer Wahlheimat ankommt, macht er sogleich Bekanntschaft mit den Vorzügen der fremden Welt. In der ersten durchfeierten Nacht lernt Oliver die schöne Lek (Florence Faivre) kennen und verliebt sich in sie. An Rückkehr ist nun auch für ihn nicht mehr zu denken. Olivers und Jakes Leben verwandelt sich in ein Fest. Alles ist möglich. So legen sich die zwei Brüder einen Babyelefanten als Haustier zu. Als die Tage ins Land streichen, Jake mehr und mehr die Kontrolle über sein Leben und sein Geld verliert, der Elefant zusehends verwahrlost, trübt sich das Bild im Paradies. Aus Sorge, sein kleiner Bruder könnte zu sehr verletzt werden, gesteht Jake Oliver, dass er Lek für jeden Tag mit ihm bezahlt habe. Nun droht alles zu eskalieren…

    Die Hauptelemente der Filmhandlung weisen frappante Parallelen zu zwei Büchern des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq auf, obwohl die Werke des Autors keineswegs Pate für „The Elephant King“ standen. Das ungleiche Brüderpaar Michel und Bruno aus Elementarteilchen, der unter der Regie von Oskar Roehler bereits 2006 seinen Weg auf die Leinwand fand, findet in Jake und Oliver Neuauflage ohne große Abstriche. Der eine, in diesem Falle Jake, ist klug, Wissenschaftler, gut aussehend, Frauenheld, charmant und genießt sein Leben in vollen Zügen. Der spiegelbildliche Bruder, Oliver, ist gerade mal Hobbyschriftsteller, lebt noch bei den Eltern und wird von der Mutter regelmäßig in die peinliche Situation versetzt, „attraktive“ Frauen im trauten Heim kennen lernen zu dürfen. Der Roman „Plattform“, der noch auf seine Verfilmung wartet, walzt das Thema Thailandtourismus in allen erdenklichen Variationen aus. Der Typus des perspektivlos gewordenen Bewohners der westlichen Welt, der im billigen und willigen Osten sein Paradies auf Erden gefunden zu haben scheint, liefert den nötigen Rest, um die Handlung von „The Elephant King“ zu vervollständigen.

    Mehr als die thematische Ähnlichkeit kann Seth Grossman jedoch nicht mit Houellebecq teilen. So umstritten der Skandalautor, der in Bälde als Regisseur seines neuesten Romans „Die Möglichkeit einer Insel“ auftreten wird, auch sein mag, er trifft doch den Nerv unserer Zeit. Verwunderlich ist nun, dass „The Elephant King“ diese Schlagkraft der Problematik abhanden gekommen ist. Der Himmel auf fernöstlichem Boden ist von Beginn an mit einem grauen, trübenden Schleier verhangen. Die familiäre Rückbindung des geflohenen Jake, dessen Mutter ständig um ihn besorgt ist und versucht, den verlorenen Sohn zur Raison, also zur Rückkehr, zu bringen, ruft dem Zuschauer immer wieder die Wurzeln des Protagonisten ins Gedächtnis. Damit ist ein entscheidendes Kennzeichen der Helden des Films in Abgrenzung zu Houellebecqs Romanhelden ins Feld geführt. Ganz so verloren, verzweifelt und desillusioniert, wie die Figuren es vertragen hätten, sind Jake und Oliver bei weitem nicht. Das traute, amerikanische Heim mit all seinen zwanghaft faschistoiden Übeln bietet dennoch immer den nötigen Rückhalt. Als der schwächlichere Oliver die ersten Kontakte zu der thailändischen Bevölkerung aufnimmt, ist er ganz erstaunt, dass sie mit dem Begriff des „Patriotismus“ so wenig anfangen können. Insofern wird in „The Elephant King“ ein Kampf zweier Nationen ausgetragen, bei dem es um nichts weniger geht, als darum, welches Land die Fähigkeit besitzt, eine Identität zu stiften.

    Um ein letztes Mal den Vergleich zu bemühen, so muss man auch beim Formwillen deutliche Abstriche beim großen Grossman-Houellebecq-Wettstreit auf der Seite von Grossman verzeichnen. Nicht dass es dem Werk völlig an Struktur mangelt, ist es vielmehr so, dass mit „The Elephant King“ ein erstaunlich konventionell erzählter Film vorliegt, der eigentlich nur wegen seines unspektakulären Endes ein wenig enttäuscht. Da es keineswegs einen Mangel bedeutet, einen Film konventionell zu erzählen, resultiert das Erstaunen darüber, in einer anderen Tatsache begründet. Betrachtet man das bisherige Schaffen von Seth Grossman, der nun seinen ersten Langfilm präsentiert, hätte man ihm mehr Experimentierfreude zugetraut. Neben den prämierten Kurzgeschichten konnte Grossman im Bereich Film für seinen „Shock Act“, ein Kurzfilm, der die Todesstrafe thematisiert, kurz Aufsehen erregen. So fällt bei „The Elephant King“, der ohne Frage sauber erzählt ist, doch seine starre Geradlinigkeit ins Auge. Gerade für einen Abkömmling der schreibenden Zunft bietet doch die Konstellation der zwei ungleichen Brüder eigentlich ein gefundenes Fressen, das man konturierter ausarbeiten hätte können.

    Punkten kann „The Elephant King“ vor allem mit seiner Bilderwelt. Im wahrsten Wortsinn zeichnet sich hier Kameramann Diego Quemada-Diez (21 Gramm, Der ewige Gärtner) als wahrer Shootingstar des Films aus. Die zwei Welten, in denen die Filmhandlung angesiedelt ist, überzeugen in ihrer atmosphärischen Dichte. Eng, trist und grau wirkt die kleine amerikanische Vorstadt, was sich in starren Kamerapositionen und kühler Aufmachung widerspiegelt. Das Gegenbild, und Hauptschauplatz des Films, findet sich im ambivalenten thailändischen Sündenpfuhl Chiang Mai. Ambivalent deshalb, weil hier Abgrund und verführerische Schönheit in eins fallen. Beides vereinen die Bilder von der Stadt oft in einer Einstellung. In Abgrenzung dazu mischen sich rein poetische Momente, Ruhepunkte im Film, deren Inspirationsquelle die fernöstliche Kultur ist. Als Oliver gemeinsam mit Lek die Heimat seiner großen Liebe erkundet, taucht man als Zuschauer mit ein in die bunte Welt, die hauptsächlich von buddhistischen Ritualen und altertümlich wirkendem Straßenleben geprägt wird. Auch der symbolträchtige Elefant spielt in diesen Themenkreis hinein, und wird mit seinem Schicksal zur Metapher für den ganzen Film.

    Auch wenn in „The Elephant King“ die spannenden gesellschaftlichen Konflikte einer leicht weichgespülten Familienproblematik zum Opfer fallen, so kann diese doch mit den persönlichen Schicksalen des Brüderpaares Jake und Oliver aufwarten – sozusagen „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ auf sehr hohem Niveau. Darüber hinaus lässt sich Seth Grossmans Erstling darstellerisch nichts zu schulden kommen. Tate Ellington hat für die Darstellung des Oliver bereits den ersten Preis als „Bester Darsteller“ bekommen und wird eigentlich nur von Ellen Burstyn („Alice lebt hier nicht mehr“, „Resurrection“) übertroffen, die nach Requiem For A Dream erneut als hysterisch liebende Mutter vor der Kamera stand.

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